Nach Tod von Mahsa Amini Aufruf zum "Tod des Diktators": Erneut Ausschreitungen im Iran
Im Iran ist es erneut zu Ausschreitungen bei Protesten gegen das Regime gekommen. Auch das Parlament ist gespalten.
Protestierende werfen Steine, zünden Polizeiautos an und setzen öffentliche Gebäude in Brand. In mehreren Städten legen Frauen ihre Kopfbedeckung ab, zünden sie an oder schneiden sich die Haare ab: Im Iran ist es erneut zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und aufgebrachten Demonstranten gekommen. Ausschreitungen wurden am Dienstag aus Dutzenden Städten gemeldet. In einigen Fällen habe die Polizei Tränengas eingesetzt, berichtete das Staatsfernsehen. Augenzeugen zufolge haben die Demonstranten in Großstädten eine neue Strategie entwickelt. Sie treten in kleineren Gruppen auf, dafür aber an mehreren Orten. Die Absicht sei, die Kontrolle der Polizei und Sicherheitskräfte zu erschweren.
Beim harten Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten sind nach Angaben der in Oslo ansässigen NGO Iran Human Rights (IHR) mindestens 76 Menschen getötet worden. Gemäß Videoaufnahmen und Sterbeurkunden, welche die Organisation erlangt habe, werde "scharfe Munition direkt auf Protestierende abgefeuert", erklärte IHR-Direktor Mahmood Amiry-Moghaddam am Montag. Trotz Hunderter Festnahmen und massiver Drohungen seitens der Regierung reißen die Proteste im Iran nach dem Tod der jungen Mahsa Amini nicht ab.
Amiry-Moghaddam rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, "entschieden und vereint konkrete Schritte" gegen die "Tötung und Folter" von Demonstranten zu unternehmen. Der Organisation zufolge seien in 14 Provinzen des Landes Todesfälle gezählt worden, 25 allein in Masandaran am Kaspischen Meer. In Teheran seien drei Tote zu beklagen, hieß es.
Iran meldet 1.200 Festnahmen
Iranische Behörden meldeten am Montag mehr als 1.200 Festnahmen und mindestens 41 Tote, darunter zahlreiche Sicherheitskräfte. "Bei den Unruhen in den vergangenen Tagen wurden in Masandaran 450 Randalierer festgenommen", erklärte der Generalstaatsanwalt der nordiranischen Provinz, Mohammed Karimi, laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna am Montag. Am Samstag hatten iranische Behörden bereits 739 Festnahmen gemeldet.
Auch in der südlichen Provinz Hormosgan wurden 88 Menschen festgenommen, wie die Nachrichtenagentur Fars berichtete – außerdem gab es Dutzende Festnahmen in den Städten Sandschan im Nordwesten, Kerman im Südosten und Karadsch westlich von Teheran.
In den sozialen Medien kursieren vermehrt auch Gerüchte über geplante Streiks. Damit soll die bereits von den internationalen Sanktionen schwer getroffene Wirtschaft noch weiter geschwächt werden. Diese Gerüchte können nicht unabhängig verifiziert werden.
Auslöser der Proteste war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini. Sie war vor eineinhalb Wochen in Teheran in Polizeigewahrsam gestorben. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie gegen die strenge islamische Kleiderordnung verstoßen und ihr Kopftuch nicht angemessen getragen haben soll. Bei der seitdem anhaltenden Protestwelle kamen nach offiziellen Angaben 41 Menschen ums Leben. Menschenrechtsgruppen gehen von höheren Zahlen aus.
Dass sich die Proteste mittlerweile auch allgemein gegen eine Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte und die Führung im Iran richteten, wurde auch am Dienstag deutlich. Videos, die in sozialen Medien aus dem Iran heraus gepostet wurden, zeigten Demonstranten, die "Frau, Leben, Freiheit" oder "Ich werde die töten, die meine Schwester getötet haben" skandierten. Andere riefen "Tod dem Diktator" in Anspielung auf den obersten Führer Irans, Ajatollah Ali Chamenei.
Uni-Professoren treten zurück
In einigen Social-Media-Beiträgen hieß es, mehrere Universitätsdozenten seien aus Protest gegen Aminis Tod von ihren Posten zurückgetreten. In einigen Universitäten seien Studenten den Vorlesungen ferngeblieben. Weder die Videos zu den Protesten noch die Angaben zu den Vorgängen an den Hochschulen ließen sich unabhängig überprüfen.
Das iranische Parlament ist nach dem harten Vorgehen von Justiz und Sicherheitskräften gegen die Protestwelle im Land gespalten. "Die jüngsten Randalen sind von den Feinden des Irans organisiert worden", sagte die Abgeordnete Sohreh Saadat-Ladschewardi laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna am Dienstag. Sie forderte ein konsequentes Durchgreifen gegen die Demonstranten.
Dagegen sagte Dschalah Raschidi Kutschi, Mitglied des innenpolitischen Ausschusses: "Solange wir uns nicht sachlich mit den aktuellen Themen befassen, wird im Land auch nichts funktionieren." Wilde Verschwörungstheorien, gegenseitige Unterstellungen, Gewalt und politische Heuchelei würden weder die Probleme lösen noch das Land weiterbringen.
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters