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Corona-Pandemie: Wie China sich als Retter der Welt inszeniert


Kampf gegen Corona
Wie China sich als Retter der Welt inszeniert

Von Maximilian Kalkhof

Aktualisiert am 19.10.2020Lesedauer: 5 Min.
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Medizinisches Personal in Schutzanzügen wird im Süden Chinas desinfiziert: China hat nach offiziellen Angaben das Coronavirus im Griff.Vergrößern des Bildes
Medizinisches Personal in Schutzanzügen wird im Süden Chinas desinfiziert: China hat nach offiziellen Angaben das Coronavirus im Griff. (Quelle: VCG/imago-images-bilder)

Erst Masken, jetzt Impfstoffe: China verfolgt eine konsequente "Corona-Diplomatie". Mehreren Staaten hat die Regierung bereits den bevorzugten Zugang zu chinesischen Mitteln zugesagt.

Vor wenigen Wochen, am 1. Oktober, feierte die Volksrepublik ihren ersten Nationalfeiertag seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Auf den Feiertag folgte das, was man in China die "goldene Woche" nennt: eine Woche Urlaub. Man muss sich diesen Urlaub als Völkerwanderung vorstellen. Im vergangenen Jahr waren alleine in den ersten vier Tagen der "goldenen Woche" mehr als 540 Millionen Chinesen auf Inlandsreisen unterwegs. In diesem Jahr – unter den Vorzeichen der Pandemie – war das Reiseverhalten also ein Indiz dafür, wie sicher sich die Chinesen derzeit unter den Maßnahmen ihrer Regierung fühlen.

Die Antwort ist: Sie fühlen sich sicher.

Zwar sank die Zahl der Reisenden im Vergleich zum Vorjahr etwas. Aber eine andere Zahl macht deutlich, dass man sich in China in der Öffentlichkeit nicht mehr vor dem Virus fürchtet. Der kanadische Kinobetreiber IMAX verkündete am 4. Oktober, dass die chinesischen Kartenverkäufe am ersten Wochenende der "goldenen Woche" im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent gestiegen waren – obwohl wegen der Pandemie 25 Prozent weniger Sitzplätze angeboten worden waren.

Tests und Propaganda

Doch auch jenseits dieser Zahlen strahlt China derzeit die Zuversicht aus, dass Corona vorbei ist. Das Leben hat sich normalisiert, die Großstädte entlang der Ostküste beben wieder vor Betriebsamkeit.

Zwar gibt es gelegentlich lokale Ausbrüche. Doch inzwischen haben die Behörden einen gigantischen Testapparat aufgebaut. Dann wird auch schon mal angekündigt, innerhalb von wenigen Tagen mehrere Millionen Einwohner zu testen. Man darf solche Ankündigungen nicht für bare Münze nehmen; sie gehören zur Propaganda des chinesischen Krisenmanagements. Offiziell hat China rund 90.000 Infektionen gemeldet. Aber auch diese Zahl ist mit Vorsicht zu genießen. Asymptomatische Fälle zählt Peking zum Beispiel nicht.

Längst richtet sich das Augenmerk der chinesischen Staatsführung auf ein anderes Thema: einen Impfstoff. Donald Trump kündigte im September an, dass die USA noch im Oktober – und damit vor der US-Präsidentschaftswahl am 3. November – einen Impfstoff zulassen könnten. Amerika ist der größte geopolitische Rivale der Volksrepublik. Wenn Peking Washington im großen Rennen um einen Impfstoff noch überholen würde, wäre das ein geopolitischer Paukenschlag – vergleichbar mit dem "Sputnikschock", der Überraschung in der westlichen Welt nach dem sowjetischen Start des ersten künstlichen Erdsatelliten in den Fünfziger Jahren. Und tatsächlich berichtete der "New Yorker" jüngst unter Berufung auf chinesische Quellen, dass Peking noch im Oktober einen Impfstoff zulassen werde.

In China wird bereits geimpft

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es aktuell mehr als 170 Unternehmen, die an einem Impfstoff arbeiten. Unter denen, die die entscheidende dritte Phase der klinischen Tests durchlaufen, stammen vier aus China. Zählt man das deutsche Unternehmen Biontech dazu, sind es sogar fünf. Denn das Unternehmen aus Mainz hat sich für die Entwicklung eines Impfstoffs mit dem chinesischen Unternehmen Fosun zusammengetan.

Doch obwohl noch keines der chinesischen Unternehmen die klinischen Tests abgeschlossen hat, wird in China schon geimpft. Das gab die Nationale Gesundheitskommission im September bekannt. Sie rechtfertigte ihre Entscheidung mit Notgebrauchsregeln der WHO.

Wie viele Chinesen bereits geimpft sind, ließ die Kommission offen. Aber Experten gehen von mehreren Hunderttausend Impfungen aus, wenn nicht sogar mehr als eine Million. So gab etwa das Unternehmen Sinopharm an, seinen noch nicht genehmigten Impfstoff an 350.000 Menschen verabreicht zu haben. Sinovac, ein anderes Unternehmen, teilte mit, rund 90 Prozent seiner Mitarbeiter geimpft zu haben – inklusive deren Familien. Auch die chinesische Volksbefreiungsarmee, die Armee des Landes, impft ihre Soldaten mit einem noch nicht zugelassenen Impfstoff der Firma CanSino.

Wer lässt sich impfen und wer nicht?

Zudem haben Firmen wie Huawei und der Fernsehsender Phoenix TV angekündigt, ihre Mitarbeiter zu impfen. Der Notgebrauch gilt unter Experten nicht nur aus gesundheitlicher Sicht als riskant. Er wirft auch ethische Fragen auf. Denn laut Medienberichten herrscht in chinesischen Staatsbetrieben ein gewisser Impfdruck. Ein Nein kann demnach zu beruflichen Nachteilen führen.

Experten vermuten, dass die Volksrepublik mit dieser Praxis nicht nur ihre Impfstoffe, sondern auch die Impfbereitschaft ihrer Bevölkerung testen will. Russland etwa präsentierte der Welt im August mit viel Tamtam den Covid-Impfstoff "Sputnik V". Das Vakzin war zugelassen worden, obwohl es noch nicht alle klinischen Tests durchlaufen hatte. Ein propagandistischer Schachzug, lautete das Urteil von Experten. Doch der Schachzug scheint nach hinten loszugehen. Denn laut Umfragen lehnen mehr als 70 Prozent der Russen eine Covid-Impfung ab.

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Dass das Infektionsrisiko in China derzeit praktisch bei Null liegt, ist für die Bevölkerung gut. Doch für die Entwicklung eines Impfstoffes ist es schlecht. So lässt sich nämlich nicht herausfinden, ob ein Impfstoff tatsächlich vor einer Ansteckung schützt. Die chinesischen Impfstoffentwickler testen ihre Vakzine deswegen in mehr als einem Dutzend anderen Ländern, darunter Peru, Argentinien, Brasilien, Bahrain, Marokko, Saudi-Arabien, Indonesien, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE).

Neue Versprechen, neue Allianzen

Im Gegenzug verspricht Peking diesen Ländern bevorzugten Zugang zu einem Impfstoff. Experten haben für dieses Gebaren den Namen "Corona-Diplomatie" gefunden – in Anlehnung an die "Masken-Diplomatie", mit der sich China im Frühjahr als Retter in der Not inszenierte, indem es Masken und Krankenhauspersonal in alle Welt exportierte. Tatsächlich führt die chinesische "Corona-Diplomatie" zu neuen Allianzen. Als erstes Land nach der Volksrepublik führten jüngst die Vereinigten Arabischen Emirate, ein historischer Partner der USA, einen chinesischen Impfstoff für den Notgebrauch ein. Auch mehreren Staaten in Afrika und Asien hat Peking bereits bevorzugten Zugang zu einem Impfstoff zugesagt.

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Einerseits unterläuft diese "Corona-Diplomatie" ein Versprechen Chinas. Der chinesische Präsident Xi Jinping kündigte im Mai auf einem Treffen der WHO an, sein Land werde der Welt einen Impfstoff als "globales öffentliches Gut" zur Verfügung stellen. Die bevorzugten Zugänge der "Corona-Diplomatie" sind mit diesem Versprechen nicht zu vereinbaren.

Andererseits engagiert sich China tatsächlich auf globaler Bühne. Vor wenigen Tagen schloss sich das Land der Covax-Initiative an. Diese will unter Federführung der WHO die Entwicklung und die Verbreitung bezahlbarer Impfstoffe fördern. Chinas Engagement steht in scharfem Kontrast zum Isolationismus der USA. Washington beteiligt sich nicht an der Initiative. Im Juli traten die USA sogar aus der WHO aus.

Sollte China als erstes Land in großem Maßstab einen wirksamen Impfstoff herstellen, werde das symbolisches Gewicht haben, sagt Jacob Mardell. Der Experte forscht beim privaten Berliner China-Institut Merics. "Allerdings ist es für Peking nicht ohne Risiken, sich in einer Post-Corona-Welt als globaler Retter zu präsentieren", fügt er hinzu.

Nicht nur könne es mit dem Impfstoff – wie auch mit den Masken bei Chinas "Masken-Diplomatie" – Qualitätsprobleme geben. Auch laufe Peking Gefahr, aus Großmannssucht zu viel zu versprechen. Und nicht zuletzt stehe das Land nach der Pandemie ökonomisch nicht gut da. "Aufgrund innenpolitischer Zwänge", sagt Mardell, "ist China nicht mehr in der Lage, als wirtschaftlicher Retter zu fungieren, wie es das nach der Finanzkrise 2008 tat."

Verwendete Quellen
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