Rettungsschiff konfisziert Kapitänin der "Sea Watch 3" droht mehrjährige Haft
Weil kein Land die Flüchtlinge aufnehmen wollte, hat die Kapitänin der "Sea Watch 3" Fakten geschaffen und ihr Schiff in den Hafen von Lampedusa gesteuert. Das könnte schwerwiegende Folgen haben.
Die Kapitänin der "Sea Watch 3" befindet sich im Hausarrest, nachdem sie mit dem Rettungsschiff unerlaubt im Hafen der italienischen Insel Lampedusa angelegt hat. Ihr droht eine mehrjährige Haftstrafe. Das berichtet die italienische Nachrichtenagentur Ansa. Wie Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer bestätigte, wurde zudem das Schiff der deutschen Hilfsorganisation beschlagnahmt. Die Migranten seien von Bord gegangen. Sie waren vor mehr als zwei Wochen vor der libyschen Küste von der Organisation gerettet worden. Seitdem wartete Sea Watch vergeblich auf die Zuweisung eines sicheren Hafens in Europa.
Die Kapitänin Rackete war Mitte der Woche trotz Verbots der italienischen Regierung in die Hoheitsgewässer des Landes gefahren. "Ich fahre in italienische Gewässer und ich bringe sie (die Migranten) in Sicherheit auf Lampedusa", hatte sie betont. Laut Sea-Watch-Sprecherin Giorgia Linardi haben sich vier Länder – Deutschland, Portugal, Frankreich und Luxemburg – bereit erklärt, Migranten von dem Schiff zu aufzunehmen.
Die "Sea Watch 3" hat eine lange Tour hinter sich
Bei der Crew und den Geretteten lagen die Nerven nach 17 Tagen auf See blank: Die jüngste Odyssee der "Sea Watch 3" hatte am 12. Juni begonnen, als die Seenotretter vor Libyen 53 Bootsflüchtlinge an Bord nahmen. Wenige Stunden zuvor hatte das Kabinett in Rom sich auf eine drastische Verschärfung der Regeln für die Helfer verständigt. Ein umstrittenes Sicherheitsdekret stellt das unerlaubte Einfahren von privaten Schiffen in italienische Hoheitsgewässer unter eine satte Geldstrafe.
Sea Watch ließ sich nicht davon abhalten und fuhr mit den Geretteten in Richtung Italien. Nach tagelangem Warten an der Seegrenze sah sich die Kapitänin Mitte vergangener Woche gezwungen, die "Sea Watch 3" auf Lampedusa zuzusteuern. Ungeachtet einer Blockade fuhr sie das Schiff in der Nacht auf Samstag schließlich in den Hafen – und stieß dabei auch noch mit einem Boot der Finanzpolizei zusammen.
"Es war der verzweifelte letzte Versuch, die Sicherheit der Menschen sicherzustellen", begründete Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer die Entscheidung der Kapitänin, den Hafen anzufahren, obwohl sich eine Lösung für die Migranten anbahnte: Mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, hatten sich bereit erklärt, die Schutzsuchenden aufzunehmen. Bei der Finanzpolizei soll sich Rackete bereits entschuldigt haben. "Meine Absicht war, meine Mission zu erfüllen, natürlich nicht, euch zu rammen", sagte sie der Nachrichtenagentur "Adnkronos" zufolge.
"Wir sind stolz auf unsere Kapitänin"
Die Sea Watch twitterte am Samstagmorgen, man habe vor fast 60 Stunden den Notstand ausgerufen. "Niemand hörte uns zu. Niemand übernahm Verantwortung. Einmal mehr ist es an uns, (...), die 40 Geretteten in Sicherheit zu bringen." Sea Watch-Geschäftsführer Johannes Bayer lobte Rackete: "Wir sind stolz auf unsere Kapitänin, sie hat genau richtig gehandelt. Sie hat auf dem Seerecht beharrt und die Menschen in Sicherheit gebracht", schrieb er auf Twitter.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Am Freitag hatte die italienische Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung und Verletzung des Seerechts gegen Rackete eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft in Agrigent wirft der 31-Jährigen der Nachrichtenagentur Ansa zufolge auch Widerstand gegen die Staatsgewalt vor.
Die italienische Nachrichtenagentur Ansa berichtete, ein italienisches Zollboot habe versucht, das Rettungsschiff vom Anlegen abzuhalten, es hätte dann aber ausweichen müssen. Neugebauer sagte, man habe die Hafenpolizei informiert, dass das Schiff in den Hafen der sizilianischen Insel fahren werde. "Die Menschen an Bord sind völlig erschöpft und verunsichert." Nun sei man erleichtert, den Hafen erreicht zu haben. Die Menschen sollten schnellstmöglich von Bord an Land und in Sicherheit gebracht werden.
Für Salvini ist klar: "Das sind Verbrecher"
Für Innenminister Salvini ist die Aktion der Beweis, dass es sich bei den Seenotrettern um Kriminelle handelt. "Sie haben die Maske abgelegt: Das sind Verbrecher", sagte Salvini – und ging so weit, den Seenotrettern vorzuwerfen, den Tod der italienischen Ordnungskräfte riskiert zu haben. "Es ist schön, dass sie sagen, wir retten Leben, (dabei) haben sie fast Menschen getötet, die ihre Arbeit gemacht haben."
Der deutsche Außenminister Heiko Maas erklärte auf Twitter: "Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden. Es ist an der italienischen Justiz, die Vorwürfe schnell zu klären." Menschenleben zu retten, sei eine humanitäre Verpflichtung.
Es sei eine "Sprachverdrehung orwell'schen Ausmaßes", wenn Italiens Innenminister Rackete Unterstützung von Menschenhändlern und Piraterie vorwerfe, sagte Grünen-Chef Robert Habeck dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Der eigentliche Skandal ist das Ertrinken im Mittelmeer, sind die fehlenden legalen Fluchtwege und ein fehlender Verteilmechanismus in Europa."
Die Evangelische Kirche verurteilt die Festnahme
Der Parteivorstand der Linken forderte die Bundesregierung auf, die Geretteten in Deutschland aufzunehmen. "Es darf keine Rückführungen nach Libyen geben", erklärte die Partei.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, nannte Racketes Festnahme "eine Schande für Europa". "Eine junge Frau wird in einem europäischen Land verhaftet, weil sie Menschenleben gerettet hat und die geretteten Menschen sicher an Land bringen will", erklärte der Landesbischof. Dies mache ihn traurig und zornig.
Salvini ist mit dem Vorgehen der Regierung zufrieden
Wie es langfristig für Sea Watch weitergeht, ist unklar. Für die Organisation ist es nicht das erste Mal, dass sie ihr Schiff verliert. Am Samstag wurde das Boot aus dem Hafen von Lampedusa gefahren und sollte Salvini zufolge in einen anderen Hafen gebracht werden.
Salvini wertete das Vorgehen gegen Rackete als Erfolg: "Die Linie der Strenge der italienischen Regierung dieser Tage hat geholfen, Europa aufzuwecken."
- Ursachen: Auch Deutschland hat Schuld an Flucht und Terror
- Schnell erklärt: Woran die Flüchtlingsverteilung in Europa scheitert
- Problem Flucht?: Wir müssen keine Lösung suchen – weil es keine gibt
Wie die EU-Länder mit den Bootsflüchtlingen künftig umgehen soll, ist nach dem Vorfall ebenso unklar wie vorher. Und während der Streit um die Seenotrettung eine neue Eskalationsstufe erreicht, haben sich zwei Rettungsschiffe auf dem Weg ins Mittelmeer vor Libyen gemacht. An die deutsche Organisation Sea Eye und die spanische Proactiva Open Arms gerichtet sagte Salvini: "Macht, was ihr wollt, aber haltet uns nicht mehr zum Narren."
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP