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Sozialkürzungen für Flüchtlinge: Wie sinnvoll sind sie wirklich?


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Sozialkürzungen für Asylbewerber
"Flüchtlinge buchen ja keinen Urlaub"

InterviewVon Malte Bollmeier

Aktualisiert am 29.01.2024Lesedauer: 5 Min.
Flüchtlinge im Ankunftszentrum für Ukrainer am ehemaligen Berliner Flughafen Tegel: Die CSU fordert eine Asylwende und weniger Sozialleistungen für Asylbewerber.Vergrößern des Bildes
Flüchtlinge im Ankunftszentrum für Ukrainer am ehemaligen Berliner Flughafen Tegel: Die CSU fordert weniger Sozialleistungen für Asylbewerber. (Quelle: Maurizio Gambarini/FUNKE Foto Services/imago-images-bilder)
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Die Bundesländer wollen Deutschland für Geflüchtete unattraktiver machen. Migrationsforscher Jasper Tjaden erklärt im Interview, was an dem Vorhaben dran ist und warum viele Menschen gerade nach Deutschland fliehen.

Die Bundesländer sind mit Nachdruck dabei, Bezahlkarten für Asylbewerber einzuführen. So sollen die Bewerber kein Geld mehr ins Ausland überweisen können. In Kombination mit den Sozialkürzungen vom Bund-Ländergipfel im November soll Deutschland damit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein unattraktiverer Zufluchtsort werden. Das ist insbesondere das Ziel von CSU-Chef Markus Söder, der kürzlich eine "Asylwende" forderte.

Ob durch die Beschneidung von Sozialleistungen weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, erklärt der Migrationsforscher Jasper Tjaden im Interview mit t-online.

t-online: Herr Tjaden, die Bundesländer wollen Asylbewerbern nur noch Bezahlkarten ausstellen, damit sie kein Geld mehr an Verwandte im Ausland überweisen können. Meinen Sie, der Plan geht auf?

Jasper Tjaden: Eine Bezahlkarte würde es zumindest erschweren, Geld ins Heimatland zu überweisen. Allerdings reden wir da nicht von großen Beträgen. Es wird unterstellt, dass von dem Geld Schlepper bezahlt werden. Das stimmt auch in Einzelfällen. Aber das Geld unterstützt in vielen Fällen notleidende Familien im Heimatland. Wenn die Familie weniger Geld erhält, könnte das auch dazu führen, dass der Druck auszuwandern steigt.

Jasper Tjarden
Jasper Tjaden (Quelle: ASchaub)

Jasper Tjaden

Dr. Jasper Tjaden ist seit 2021 Professor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte sind Migrations- und Integrationsforschung, Bildungsungleichheit, Diskriminierung und die Evaluation politischer Maßnahmen. Zuvor arbeitete er als Analyst bei der UNO und bei der Weltbank als Forschungsberater.

Die Bezahlkarte ist Teil einer Debatte um Sozialkürzungen für Asylbewerber. Sie sollen so weniger Anreize sehen, nach Deutschland zu flüchten. Kann das funktionieren?

Diese Frage ist ein Dauerbrenner in der Wissenschaft und wird "Wohlfahrtsmagnet-Hypothese" genannt. Einige Studien zeigen, dass gekürzte Sozialleistungen Zuwanderung reduzieren, insbesondere von Flüchtlingen, aber das sind meist nur geringe Effekte. Andere Studien finden gar keine Wirkung. Daher würde ich mir durch Sozialkürzungen insgesamt keine wesentlichen Effekte auf die Zuwanderung erhoffen. In den USA zum Beispiel gibt es sehr geringe finanzielle Unterstützung, trotzdem wollen die meisten Menschen dorthin.

Eine Studie aus Dänemark von 2002 hat aber ergeben, dass weniger Sozialleistungen zu weniger Zuwanderung führen.

Ja, die Studie kenne ich. Sie wurde deswegen viel diskutiert, weil sie einen Effekt feststellt. Ähnlich gute Studien, die das Gegenteil feststellen, werden weniger zitiert. In der Schweiz etwa haben Forscher sehr genau untersucht, ob sich Flüchtlinge Kantone zum Leben aussuchen, in denen sie mehr Sozialleistungen erhalten. Das war nicht der Fall. Zudem kritisieren viele Wissenschaftler die dänische Studie, weil sie Reformen in Dänemark außer Acht ließ, die parallel zu den Sozialkürzungen stattfanden.

Welche?

Die dänische Regierung hat zu dem Zeitpunkt den Familiennachzug beschränkt. Es ist also unklar, was genau zu der geringeren Zahl an Asylbewerbern geführt hat. Außerdem hinkt der Deutschland-Dänemark-Vergleich. Dänemark hat von 2002 bis 2012 die Sozialleistungen für Asylbewerber radikal um 50 Prozent gekürzt. Wie gesagt, das wäre in Deutschland verfassungsrechtlich nicht möglich.

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Welche Möglichkeiten hat die Regierung denn, wenn sie die Fluchtbewegung begrenzen will?

Der Spielraum ist kleiner, als viele behaupten. Das Verfassungsgericht hat festgesetzt, dass beim Asylbewerberrecht ein menschenwürdiges Existenzminimum gesichert sein muss, ganz egal, wer der jeweilige Bewerber ist und welchen Aufenthaltsstatus er hat. Weiter runter geht es nicht. Die großen Stellschrauben sind die Fluchtursachen, Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern sowie aktuell diskutierte Asylverfahren außerhalb der EU.

Welche Gründe sehen Sie denn als entscheidend an, weshalb Menschen nach Deutschland fliehen?

Um diese Gründe, die sogenannten Pull-Faktoren, zu verstehen, müssen wir uns in die Menschen aus den Hauptfluchtländern hineinversetzen. Aus Syrien fliehen die Menschen vor Krieg, Verfolgung und Instabilität. In Afghanistan gab es riesige Überschwemmungen und die Machtübernahme der Taliban. Im Irak herrscht nach wie vor Gewalt. In vielen afrikanischen Herkunftsländern gibt es Armut und ebenfalls Gewalt und Instabilität. Wenn sich diese Menschen überlegen "Ich muss hier weg", wo gehen sie hin? Natürlich in die reichsten und größten Länder.

Also nach Deutschland?

Nein, zuerst denken die meisten an die USA. Viele wollen auch nach Großbritannien, weil sie dort Englisch sprechen können. Vom Nahen Osten oder Afrika aus ist Deutschland aber einfacher zu erreichen. Die Migranten überlegen sich zudem, wo es ihre Kinder besser haben können. Und dann wählen sie Deutschland mit seiner starken Wirtschaft, dem Rechtsstaat und der Freiheit. Das sind die größten Pull-Faktoren. Dass Menschen hier versorgt werden, spielt auch eine Rolle, aber es ist nicht der wesentliche Grund, warum Menschen hierherkommen.

Und die starke Wirtschaft, den Rechtsstaat und die Freiheit wollen wir natürlich nicht reduzieren.

Eben. Man könnte etwas sarkastisch sagen: Die effektivste Art, die Zahl der Flüchtlinge zu verringern, wäre, unseren Wohlstand zu reduzieren. Die Leute kommen wegen der Möglichkeiten, zu arbeiten und Geld zu verdienen. Ein paar Sozialkürzungen spielen eine unwesentliche Rolle.

Andersherum formuliert: Um die Zahl der Flüchtlinge langfristig zu reduzieren, sollten wir Wirtschaft, Rechtsstaat und Freiheit der Herkunftsländer fördern?

Das ist die viel genannte Bekämpfung der Fluchtursachen. Regierungskritiker machen es sich aber sehr leicht, wenn sie von der Politik fordern, sie müsse ja "nur" endlich einmal diese Ursachen angehen. Denn Politiker können nicht über Nacht die Fluchtursachen auflösen. Maßnahmen von heute kommen erst weit in der Zukunft zum Tragen – wenn überhaupt. Die Regierung aber hat den Eindruck, dass es den Leuten nach schnellen, pragmatischen Maßnahmen dürstet. Also suchen sie nach Möglichkeiten, die sie nun schnell in Gesetze gießen können, und daher haben wir jetzt diese kleinteiligen Diskussionen über Bezahlkarten und Ähnliches.

Kritiker bemängeln, dass die Sozialleistungen in Deutschland deutlich höher sind als in anderen Staaten. Kennen die Asylbewerber überhaupt die Unterschiede zwischen den Sozialsystemen der europäischen Länder?

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Studien zufolge sind die Leute wenig informiert und wissen nichts über konkrete Maßnahmen. Flüchtlinge buchen ja keinen Urlaub. Sie haben nur vage Vorstellungen, wissen etwa, dass Deutschland ein großes, freies Land ist. Häufig läuft das über Kontakte, etwa die Familie hier. Die Verwandten sagen nicht "Laut Paragraf 15 erhältst du hier das und das", sondern eher: "Hier gibt es Möglichkeiten, komm her."

Gilt das auch für Flüchtlinge, die bereits in der EU sind? Wenn die italienische Regierung Sozialleistungen für Asylbewerber kürzt, ziehen diese dann nach Deutschland weiter?

Es gibt wenig Forschung, was die Sekundärmigration angeht. Aber ich denke schon, dass es eine Rolle spielt, aber das ist vor allem Hörensagen. Ziel darf allerdings auch nicht sein, dass sich die EU-Staaten nun unterbieten, was Sozialleistungen angeht. Da schieben auch die in der EU geltenden Menschenrechte einen Riegel vor. Das bringt nicht viel.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Am besten wäre natürlich, mit einem gemeinsamen europäischen Ansatz die Leistungen und das Asylsystem anzugleichen. Aber das alles scheitert ja seit Jahrzehnten. Das europäische Asylsystem hat versagt und das ist auch ein Grund, warum die Länder sich überhaupt in diesem Wettbewerb um die geringsten Sozialleistungen befinden oder zumindest denken, sie seien in einem Wettbewerb. Die Migrationskrisen sind nicht nur Ursache von Konflikten, sie sind auch Symptom der Uneinigkeit in der EU.

Handelt es sich bei der ganzen Debatte um Sozialleistungen für Asylbewerber also um Augenwischerei?

So weit würde ich nicht gehen. Die Politik versucht wirklich, die Zahlen zu begrenzen. Ich denke nur, dass man da realistische Erwartungen haben muss. Sozialkürzungen sind nur kleine Stellschrauben. Die Politik muss sich aber den großen zuwenden.

Herr Tjaden, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
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