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Wie Russland die Angst vor Atomwaffen schürt


"Macht nichts Dummes"
Wie Russland die Angst vor Atomwaffen schürt

Von dpa
Aktualisiert am 13.06.2022Lesedauer: 3 Min.
Teststart einer Sarmat-Interkontinentalrakete (Archiv): Die Waffe hat eine Reichweite von 18.000 Kilometern und kann nuklear bestückt werden.Vergrößern des Bildes
Teststart einer Sarmat-Interkontinentalrakete (Archiv): Die Waffe hat eine Reichweite von 18.000 Kilometern und kann nuklear bestückt werden. (Quelle: RU-RTR Russian Television/AP/dpa)
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Das Risiko einer nuklearen Konfrontation zwischen Russland und dem Westen wächst. Friedensforscher sind besorgt. Indes gewährt eine Dokumentation ungewohnte Einblicke.

Kerzengerade steigt die Interkontinentalrakete Sarmat aus dem Schacht vom Kosmodrom Plessezk in den russischen Himmel. Hinter sich zieht sie einen langen Feuerschweif. Dazu läuft Action-Musik. Aus dem Off schwärmt der staatliche Fernsehsender Rossija 24 von einer neuen "schrecklichen Waffe", dem Stolz der russischen Raketenbauer, einem "verlässlichen Schutz des Landes vor jedwedem äußeren Angriff".

Mit der 40-minütigen Dokumentation, die am Sonntag zum Nationalfeiertag im Staatsfernsehen zu sehen war, betonte die Atommacht nicht nur ihre Unabhängigkeit, sondern zeigte auch ihre nuklearen Massenvernichtungswaffen. Die Sarmat hat eine Reichweite von 18.000 Kilometern und ist mit atomaren Sprengköpfen bestückbar. Damit kann Russland sowohl über den Nord- als auch über den Südpol fast alle Ziele der Welt erreichen.

Raketenstreitkräfte seit Monaten in Alarmbereitschaft

Die Dokumentation des Filmemachers Alexander Rogatkin erlaubte ungewohnte Einblicke in das Leben der strategischen Raketenstreitkräfte, die im Zuge des Angriffskriegs gegen die Ukraine nun schon dreieinhalb Monate in erhöhter Alarmbereitschaft sind. Kremlchef Wladimir Putin hatte erstmals überhaupt in mehr als 20 Jahren an der Macht einen solchen Befehl erteilt – als Warnung an die Nato, sich nicht einzumischen. Als Grund nannte er "aggressive" Äußerungen von Führungspersönlichkeiten der Nato-Staaten. Putin sprach von "Selbstverteidigung".

Ende April unterstrich er, dass es ihm mit dem möglichen Einsatz von Atomwaffen ernst sei. Demonstrativ ließ er eine Sarmat (Nato-Codename: SS-X-30 Satan 2) testen. "Das ist eine wirklich einzigartige Waffe", sagte Putin dazu. Es werde auf lange Zeit nichts Ebenbürtiges geben auf der Welt. Die Rakete könne unabhängig von allen internationalen Sanktionen in Serie gehen – und zwinge "jene zum Nachdenken, die im Feuereifer einer abgebrühten, aggressiven Rhetorik versuchen, unser Land zu bedrohen".

Experten: Erhöhtes Risiko für Nuklearwaffen-Einsatz

Die USA reagierten irritiert auf die Wortwahl, aber ansonsten gelassen – wie der Rest der Nato. Man will den Russen keinen Vorwand geben, die Stimmung noch mehr aufzuheizen. Beim Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri wird indes mit Blick auf den Ukraine-Krieg ein erhöhtes Risiko für den Einsatz von Atomwaffen gesehen. Diese Gefahr besteht demnach weniger im Gebrauch solcher Waffen in der Ukraine, sondern vielmehr darin, dass sich der Krieg in eine Konfrontation zwischen Russland und Nato ausweiten könnte.

Neu sei das nicht, dass Russland dem Westen mit nuklearen Waffen drohe – dies habe Moskau seit 2005 bereits viele Male getan, sagte Sipri-Experte Hans M. Kristensen der Nachrichtenagentur dpa. Neu sei jedoch, dass solche Drohungen zeitgleich mit einem konventionellen Krieg in Europa kämen. Es gebe jedoch keinerlei Hinweise auf Schritte zum Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine. Die Drohungen richteten sich vielmehr gegen die Nato. "Sie erinnern die Leute daran: 'Wir haben Atomwaffen. Macht nichts Dummes.'"

Gleichwohl sorgt in Moskau für Alarmstimmung, dass ukrainische Regierungsvertreter eine Wiederherstellung des Status eines Atomwaffenstaats in Betracht ziehen. Die Ukraine habe dazu die Technik und auch das Wissen, warnte Putin. Die einstige Sowjetrepublik hatte 1994 auf ihre Atomwaffen verzichtet – im Gegenzug garantierte Russland dem Land territoriale Unversehrbarkeit. Wert ist das nichts mehr.

Das Vertrauen in Russland ist zerstört

Das Risiko einer nuklearen Konfrontation habe sich durch die Spannungen zwischen Russland und der Nato erhöht, sagte Kristensen. Hinzu kommen Konflikte anderswo auf der Welt. "Es ist also angemessen zu sagen, dass wir uns im Moment in einem sehr prekären Zustand befinden." Eine indirekte Folge des Kriegs sei die Erkenntnis der Russen, dass ihre konventionellen Streitkräfte nicht so gut seien wie gedacht. Deshalb dürfte sich Russland wahrscheinlich künftig stärker auf taktische Atomwaffen verlassen.

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Wie aus dem neuen Sipri-Jahresbericht hervorgeht, verfügen Russland (5.977) und die USA (5.428) nach wie vor über rund 90 Prozent aller Atomsprengköpfe in der Welt. Notwendig sei nun vor allem eine Entspannung der nuklearen Rhetorik, sagte Kristensen. Auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete die Gefahr eines Atomkriegs als real. Dabei betont Russland stets, dass es – anders als die USA – in seiner Militärdoktrin kein Erstschlagrecht verankert habe. Aber das Vertrauen ist seit dem Einmarsch in die Ukraine zerstört.

Die Spannung wird von Moskau seit Monaten hochgehalten und geschürt, wie auch der Film im Staatsfernsehen zeigt. Da werden Atomkoffer gezeigt und Befehlsketten erklärt. Rogatkin klettert vor den Toren Moskaus in unterirdische Bunkeranlagen, wo die Kommandozentrale der strategischen Streitkräfte liegt, besteigt Raketen, zeigt Silos und Startrampen, trifft Kommandeure und Konstrukteure. Und erhält Zugang zum Heiligtum der Atommacht: eine gigantische Halle mit Interkontinentalraketen verschiedener Epochen und Typen. Die Menschen davor wirken wie Zwerge.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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