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Ukraine-Krieg: Energieembargo – Warum tun sie es denn nicht?


Ukraine-Krieg
Warum tun sie es denn nicht?

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier und Fabian Reinbold

10.03.2022Lesedauer: 5 Min.
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Olaf Scholz und Robert Habeck im Sicherheitskabinett: Warum beschließen sie kein Embargo?Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz und Robert Habeck im Sicherheitskabinett: Warum beschließen sie kein Embargo? (Quelle: Michael Kappeler/reuters)

Der Druck ist riesig: Mit einem Embargo für russisches Öl und Gas soll Deutschland Putin den Geldhahn zudrehen. Doch die Bundesregierung stemmt sich dagegen.

Die Rufe werden von Tag zu Tag lauter. Da ist die Ukraine, deren Präsident aus dem Bunker ganz Europa zu einem Energieboykott gegen Russland auffordert und deren Botschafter in Berlin das Nein Deutschlands nun als "moralisch nicht vertretbar" bezeichnete.

Und da ist der Schwung in der innenpolitischen Debatte. Erst verlangten einzelne Abgeordnete, den Import von russischem Gas und Öl wegen Wladimir Putins Angriffskrieg zu stoppen. Ein öffentliches Nein von Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag hat die Rufe allerdings nicht abgeschwächt, im Gegenteil.

Jetzt fordert die Unionsfraktion im Bundestag eine sofortige Stilllegung der deutsch-russischen Pipeline Nord Stream 1. Ein Bündnis von Aktivisten, Künstlern und Prominenten rief Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner namentlich auf: "Drehen Sie der russischen Führung den Geldhahn zu!"

Die Debatte um ein Energieembargo gegen Russland hat eine enorme Dynamik. Viele, die die Bilder des brutalen Angriffskriegs Putins in der Ukraine sehen, verstehen nicht, warum Deutschland mit seinen riesigen Importen von Gas, Öl und Kohle aus Russland diesen Krieg weiter mitfinanziert. Denn tatsächlich sitzt die Bundesregierung an einer Art Geldhahn: Ein Viertel aller russischen Gasexporte bezahlt Deutschland.

"Unerwünschte Nebenwirkungen"

Den hohen Druck spürt man auch in der Bundesregierung. Doch im zuständigen Wirtschaftsministerium lehnt man wie im Kanzleramt die Forderungen weiter ab – und hält sie schlimmstenfalls für kontraproduktiv. Zu groß ist die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl derzeit noch.

"So verständlich der Impuls hinter solchen Forderungen auch ist, müssen wir auch mögliche unerwünschte Nebenwirkungen solcher Schritte bedenken", sagt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Michael Kellner t-online.

Ähnlich formuliert es sein Minister Habeck. Er sei "emotional bei allen Menschen", die solche Forderungen erhöben, sagte er im ZDF-"heute journal". "Aber mein Job ist im Moment nicht, emotional zu handeln, sondern abgewogen, informiert und so umsichtig, dass dieses Land diese schwere Zeit bestehen kann."

Abhängig von Putins Gas

Argumente gegen ein Embargo gibt es durchaus. Besonders beim Gas. Das liegt daran, dass die Abhängigkeit hier am höchsten ist: 55 Prozent des deutschen Gasverbrauchs wird aus Russland bestritten, während es bei Kohle 50 Prozent und bei Öl 35 Prozent sind.

Aber noch entscheidender ist etwas anderes: Anders als Kohle und Öl ist Gas an Pipelines gebunden. Schiffe und Güterzüge mit Öl und Kohle können umgeleitet werden. Pipelines verlaufen dort, wo sie verlaufen. Und im deutschen Fall heißt das meist: nach Russland. Durch Flüssiggas, kurz LNG, lässt sich das derzeit bei Weitem nicht kompensieren. Auch weil Deutschland bislang nicht einmal eigene LNG-Terminals hat.

Kurzfristig, so die Analyse in der Bundesregierung, lässt sich russisches Gas deshalb nicht ersetzen. Oder zumindest nicht so ersetzen, dass die Preise nicht in astronomische Höhen steigen. Ganz genau lässt sich das tatsächlich gar nicht so leicht berechnen, denn das Wetter entscheidet in Deutschland ganz wesentlich über den Gasverbrauch.

Nicht nur "individuelle Komforteinschränkungen"

Mehr als die Hälfte unserer Gebäude wird noch mit Gas geheizt. Wenn es jetzt noch mal richtig kalt wird oder dann im nächsten Winter, steigt der Verbrauch. Weil man den Bürgern aber im Fall der Fälle nicht die Heizungen abdrehen kann, würde der zweite große Gasverbrauch leiden: die deutsche Industrie. Was dann bei Produktionsausfällen tatsächlich in die Rezession führen würde. Schwerer als in der Corona-Krise könnte diese ausfallen, fürchtet man im Wirtschaftsministerium.

Schon in der Pandemie ist zudem deutlich geworden, wie anfällig die weltweiten Lieferketten inzwischen sind. Auch ohne Energieembargo fürchtet das Wirtschaftsministerium jetzt schon Ausfälle, weil etwa einzelne Vorprodukte fehlen, im Zweifel nur eine wichtige Schraube. Selbstgemachte Ausfälle durch ein Energieembargo würden diesen Effekt noch verschlimmern.

Deshalb betont Habeck nun ständig, es gehe nicht um "individuelle Komforteinschränkungen", sondern um gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Schäden "schwersten Ausmaßes". Deutschland müsse die Sanktionen im Zweifel "lange durchhalten". Und das, so die Einschätzung in der Bundesregierung, klappt mit einer Wirtschaftskrise und horrenden Energiepreisen eher nicht.

Kein "Magic Fix", nirgendwo

Zumal niemand sagen kann, ob die Sanktionen Putin wirklich schnell vom Krieg in der Ukraine abbringen würden. Wie viel er bereit ist, zu zahlen (oder seine Bevölkerung zahlen zu lassen), weiß niemand. Auch das spielt in den Überlegungen der Bundesregierung eine wesentliche Rolle. Zumal Sanktionen, das ist ein offenes Geheimnis in der Forschung, im Idealfall mittelfristig und eher nicht kurzfristig wirken.

Manche könnten sogar ziemlich unerwünschte Effekte haben. "Bei einem Ölembargo kann es etwa passieren, dass die Rohölpreise stark steigen und dass Russland sein Öl dann zu diesen höheren Preisen an andere Staaten verkauft", warnt der parlamentarische Staatssekretär Kellner. Mit anderen Worten: Durch einen deutschen Boykott könnte Putin am Ende noch mehr Geld verdienen.

Ein "Magic Fix", ein Wundermittel, sind Sanktionen jedenfalls nicht. Das hat sich auch in dieser Krise schon gezeigt. Wochenlang etwa wurde noch vor der Eskalation über ein Aus für Nord Stream 2 gesprochen, so als sei es doch genau das: ein Wundermittel. Als die Bundesregierung ihr vorläufiges Aus dann nach der russischen Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken verkündet hatte, hat das Putin nicht im Geringsten davon abgehalten, seine Truppen loszuschicken.

Später nahm der Ausschluss aus dem Zahlungsnetzwerk Swift zumindest in der medialen Wirklichkeit diesen Platz als Wundermittel ein. Als die internationale Gemeinschaft dieses angeblich "schärfste Schwert" dann zog (mit Ausnahme der Banken, die für den Rohstoffimport wichtig sind), stellte sich heraus, dass die Sanktionen gegen die Zentralbank wahrscheinlich ein noch schärferes Schwert sind. Und Putin machte immer noch weiter.

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Deutschland hamstert

Trotz des ziemlich harten Neins zum Embargo beschäftigt sich das Wirtschaftsministerium ironischerweise gerade mit kaum einem Thema intensiver, als sich für den Fall der Fälle vorzubereiten. Nicht nur mittelfristig, also durch den schnelleren Ausbau von Erneuerbaren oder die Ansiedlung zweier deutscher LNG-Terminals. Sondern eben auch kurzfristig.

Kohlekraftwerke werden in Reserve gehalten. Und auf dem Weltmarkt wird quasi alles an fossilen Energien aufgekauft, was zu kriegen ist. Öl, Kohle und vor allem: Gas. Allerdings haben auch diese Hamsterkäufe ihre Grenzen.

"Schon im Dezember haben wir begonnen, die deutschen Erdgas-Speicher aufzufüllen", sagt der parlamentarische Staatssekretär Kellner. "Doch gefüllte Speicher allein werden nicht den Bedarf des kommenden Winters decken."

Wirklich ausschließen, dass es doch noch zum Importstopp kommt, kann aber faktisch niemand. Allein schon, weil ja auch Putin selbst die Lieferungen stoppen könnte.

Aber eben auch, weil bei einer weiteren Eskalation des Krieges der politische Druck noch größer werden könnte, irgendwas zu tun. Und eine der letzten schmerzhaften Sanktionen, die man überhaupt noch hat, wie jemand aus den Ampelfraktionen eingesteht, ist eben ein Energieembargo.

Verwendete Quellen
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