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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mehr Sanktionen gegen Putin Operation Eisscholle
Die Bundesregierung legt nach: Finanzminister Christian Lindner hat weitere Schritte ergriffen, um Russland zu isolieren. Auch die Oligarchen sollen noch drastischere Konsequenzen zu spüren bekommen.
Die Nachricht, die am Donnerstag im Berliner Regierungsviertel kursierte, wirkt technisch. Doch sie hat eine enorme Wucht. Mitarbeiter aus dem Bundesfinanzministerium von Christian Lindner riefen mehrere Finanzpolitiker des Bundestages an und teilten mit, dass Russland keinen Zugang mehr zum internationalen Austausch über Finanzkonten (AIA) habe.
Diesen globalen Standard der Industrieländer-Organisation OECD nutzen mehr als 100 Staaten weltweit, um die Steuertransparenz zu erhöhen und grenzüberschreitende Steuerhinterziehung zu verhindern. Die Entscheidung zum Ausschluss Russlands war bereits am 24. Februar gefallen, doch erst jetzt ist sie offiziell. Das Land wird damit vom internationalen Informationskreislauf abgekoppelt.
Russland könnte die Daten in der aktuellen Situation etwa auch dafür nutzen, Jagd auf ukrainische Bürger zu machen: Wer wird von wem finanziert? Über welche deutschen Konten floss Geld? Wer rückt damit auf die russischen Fahndungslisten? Für die Beamten von Wladimir Putin gibt es auf diese Fragen bis auf Weiteres keine Antworten mehr. Mit dem Verbergen von Zahlungsströmen sollen Menschenleben geschützt werden.
"Das ist bitter nötig"
Das Aussetzen von "AIA" ist einer von zwei Vorstößen von Finanzminister Christian Lindner, um Russland finanziell weiter zu isolieren. Zwar wurde das Land bereits weitgehend vom internationalen Zahlungssystem "SWIFT" ausgeschlossen. Doch jetzt sollen weitere Maßnahmen folgen. Auch die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, kurz FIU, wurde dazu eingeschaltet: Russland soll künftig noch stärker kontrolliert werden. Vor allem, wenn große Summen transferiert werden, kann nun Alarm geschlagen werden.
Intern nennt manch ein Finanzpolitiker Lindners Vorstoß bereits die "Operation Eisscholle": Hauptsache, Russland wird weitgehend von allen internationalen Finanzströmen entkoppelt, kann dabei gut beobachtet werden und schwimmt ohne Verbindung zur restlichen Welt herum. Die parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium Katja Hessel sagt t-online: "Damit erhöhen wir den Druck auf Russland weiter. Und das ist bitter nötig. Man kann nicht einen Angriffskrieg beginnen und gleichzeitig läuft der finanzielle Datenstrom unbeeinflusst weiter."
"Am Ende lachen die Oligarchen"
Besonders der AIA-Ausschluss ist dem Finanzministerium wichtig: Schon länger herrschte die Sorge, dass die Datenströme aus Deutschland und anderen Staaten von Russland missbraucht werden könnten. Denn über das System werden die Daten von Steuerpflichtigen inklusive ihrer Einkünfte und Vermögenswerte regelmäßig übermittelt. Staaten, die dabei mitmachen, haben entsprechenden Zugriff auf die Informationen. Dass das missbrauchsanfällig ist, liegt nahe. Und das ist einer der Hauptgründe, den russischen Zugang zu kappen.
Künftig soll das System grundlegend überarbeitet werden. Gerade was künftige Auseinandersetzungen und mögliche Kriege angeht: Die Kontrolle der Daten müsse verbessert werden, heißt es in Wirtschaftskreisen. Jedes Mal einfach ein Land zu isolieren, könne nicht die Lösung sein.
Christian Görke, finanzpolitischer Sprecher der Linkspartei, sagt t-online: "Putin wird so zwar weiter isoliert, aber wenn Staaten keine Informationen austauschen, lachen am Ende die Steuerkriminellen bis hin zu den Oligarchen. Da brauchen wir für die Zukunft eine Lösung." Antje Tillmann, die für die Union im Finanzausschuss sitzt, fordert zudem: "Das Finanzministerium muss jetzt schnell handeln und sein unilaterales Vorgehen umgehend innerhalb der OECD mit seinen internationalen Partnern abstimmen."
"Im besten Fall bröckelt Putins Unterstützung"
Doch der Ausschluss von Informationen über Geldflüsse ist nicht der einzige Vorstoß des Finanzministers in diesen Tagen. Zudem soll die FIU, eigentlich so etwas wie die Zentralstelle für Geldwäschebekämpfung, in eine Art erhöhte Alarmbereitschaft versetzt werden. Die Kontrolleure sollen verstärkt russische Finanzströme in den Fokus nehmen – und damit vor allem den Geldadel in Putins Reich.
Die FIU soll, wie t-online erfuhr, künftig verdächtige Überweisungen stoppen, Informationen über auffällige Transaktionen an Ermittlungsbehörden geben und so verhindern, dass auch Oligarchen ihr Vermögen noch in Sicherheit bringen können. Es ist ein überfälliger Schritt: Etliche finanzstarke Putin-Getreue dürften ihr Geld in den letzten Tagen außer Landes gebracht haben. Zumal sie häufig eh einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens im Westen angelegt haben.
In der Ampelkoalition will man den Druck trotzdem weiter erhöhen. Markus Herbrand, finanzpolitischer Sprecher der FDP, ist überzeugt, so "Putins reiche Claqueure an ihrer empfindlichsten Stelle" zu treffen. Er glaubt sogar: "Im besten Fall erreichen wir damit Absetzbewegungen, die Putins Unterstützung bröckeln lassen."
Man könnte auch sagen: Die finanzielle Eisscholle, auf die Putin mit seinen Getreuen verbannt werden soll, soll möglichst weit weg vom Ufer treiben.
- Eigene Recherche, persönliche Gespräche mit Finanzpolitikern