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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Olympische Winterspiele Der endgültige Absturz von Chinas Staatspropagandisten
Einst galt er als Arthouse-Sensation, inzwischen bezeichnet man ihn als Propagandist: Dieser Regisseur sorgt bei der Olympischen Eröffnungsfeier dafür, dass sich Chinas Diktatur global in Szene setzen kann.
Wenn am Freitag die Olympischen Winterspiele beginnen, wird Peking in die Geschichte eingehen als die erste Stadt, die Sommer- und Winterspiele ausgerichtet hat. 2008 fanden in Peking bereits die Olympischen Sommerspiele statt.
Doch die Winterspiele 2022 markieren noch eine weitere Premiere. Sie werden Zhang Yimou zum ersten Menschen machen, der die Eröffnungs- und die Abschlussfeier von Olympischen Sommer- und Winterspielen inszeniert hat. Zhang führte bereits im Jahr 2008 Regie. Und auch dieses Jahr wird der Chinese bei der Eröffnungs- und Abschlussfeier die Fäden in der Hand halten.
Herr der olympischen Ringe
Zhang ist Chinas Herr der olympischen Ringe, er inszeniert die Selbstdarstellung des chinesischen Parteistaats. Kritiker werfen dem ehemals im Ausland verehrten Arthouse-Regisseur deswegen vor, er habe sich von Macht und Geld korrumpieren lassen. Er sei zum Staatsregisseur verkommen, der dafür sorge, dass sich die chinesische Diktatur mit hübschen Fernsehbildern global in Szene setzen kann.
Zwischen Chinas Entwicklung und Zhangs Werk gibt es einige Parallelen. Zhang begann seine Karriere als Regisseur in den 80er Jahren. Seine erste Regiearbeit, "Rotes Kornfeld", katapultierte ihn gleich nach Berlin – wo er 1988 den Goldenen Bären gewann. Zhang zeigte ein China, das man im Westen so noch nie gesehen hatte: Es feierte die Stärke des Individuums, es war eigensinnig, vital, kreativ und doch voller Mehrdeutigkeiten.
In "Rote Laterne" aus dem Jahr 1991 führte er viele Motive aus seinem Debüt fort. Es stand eine Frau im Mittelpunkt, die sich gegen einen Patriarchen auflehnte. Und wieder spielte die Farbe Rot – die Farbe der Kommunisten – eine gewichtige Rolle. Mit ästhetisch und erzählerisch anspruchsvollen Filmen wie diesen stieg Zhang wie ein Komet zum Liebling europäischer Feuilletonisten und Kunstfilmfestivals auf. Er galt als genialer Filmemacher. Und als großer Erneuerer des chinesischen Kinos.
Chinas vorsichtiger Öffnungskurs
Die Geschichte vom Erneuerer des chinesischen Kinos fügte sich nahtlos ein in die Entwicklung des Landes. Denn in den späten 70er Jahren hatte die Volksrepublik ihr Verhältnis zu den USA normalisiert und einen vorsichtigen Öffnungskurs eingeschlagen. Die 80er Jahre waren geprägt von kultureller Offenheit und Neugier am Westen.
1985 trat das britische Duo Wham!, bestehend aus George Michael und Andrew Ridgeley, als erste westliche Band in China auf – und wurde überschwänglich gefeiert. Auch im Westen wuchs der Hunger auf chinesische Kunst und Kultur. Zhang Yimou war einer der ersten, der ihn stillte. Das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 verpasste dieser Entwicklung zwar einen Dämpfer, stoppte sie aber nicht.
Umbruch um die Jahrtausendwende
Denn nach nur ein bis zwei Jahren normalisierten sich die Wirtschaftsbeziehungen zum Westen wieder. In den 90er Jahren wuchs das chinesische Bruttoinlandsprodukt zum Teil zweistellig. Das Land wurde zur Werkbank der Welt – und galt als Markt der Zukunft. Kein großes Unternehmen aus den USA und Europa konnte es sich leisten, dort nicht vertreten zu sein. 2001 trat die Volksrepublik der Welthandelsorganisation WTO bei. Der Weg, den China eingeschlagen hatte, schien vorgezeichnet: Er schien auf eine Annäherung an den Westen herauszulaufen.
Doch um die Jahrtausendwende ist eine Wende in Zhangs Werk zu beobachten. Im Jahr 2000 hatte der taiwanisch-amerikanische Regisseur Ang Lee das chinesische Genre des Kung-Fu-Romans auf die Leinwand gebracht – und mit "Tiger and Dragon" gleich vier Oscars gewonnen. Zhang sprang auf diesen Zug auf und legte 2002 "Hero" vor, einen ausladenden Historienfilm über den ersten Kaiser von China.
Massenszenen im Mittelpunkt
An diesem Film war alles anders als zuvor: Er ist opulent, spielt nicht unter einfachen Chinesen, sondern bei Hofe und ist in längst vergangenen Dynastien angesiedelt. Zudem traten aufwendig choreografierte Massen- und Kampfszenen in den Mittelpunkt – und ersetzten die Psychologie.
"Hero" konnte mit nur einer Oscarnominierung nicht an den Erfolg von "Tiger and Dragon" anknüpfen. Aber seinem neuen Stil, den Massenchoreografien, blieb Zhang treu. Auch in "House of Flying Daggers" (2004) und "Der Fluch der goldenen Blume" (2006) reproduzierte er ihn.
Kritische Reaktionen auf "Hero"
Mit "Hero" musste sich Zhang erstmals vehementer Kritik stellen. Denn Chinas erster Kaiser, der König von Qin, war ein Despot. Er einte das Land, aber ging als Schlächter in die Geschichte ein. Konfuzianische Gelehrte ließ er lebendig begraben. Am Ende von "Hero" gibt der namenlose Held des Films, ein Attentäter, seinen Plan auf, den König von Qin zu ermorden. Er opfert sein Leben, nur um den König in seiner Macht zu stärken. Es ist der Triumph des Kollektivs über das Individuum. Kritiker warfen Zhang vor, mit dem Film die totalitäre Politik des chinesischen Regimes zu rechtfertigen – und sogar das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens.
Vor dem Hintergrund dieser Wende in Zhangs Werk war es deswegen nicht völlig überraschend, dass er zum Regisseur der Eröffnungs- und Abschlussfeier von Olympia 2008 gemacht wurde. Auch 2008 herrschte in China noch Aufbruchstimmung, die Spiele boten dem Land die Chance, sich der Welt erstmals als aufsteigende Wirtschaftsmacht zu präsentieren. Zhang bebilderte den Aufstieg Chinas – natürlich mit opulenten Massenchoreografien.
Kritiker nennen ihn die Leni Riefenstahl Chinas
Zwar gab es auch 2008 schon Einwände von Menschenrechtsaktivisten. Die Spiele, so das Argument, gäben der Volksrepublik die Gelegenheit, unter dem Banner der Völkerverständigung von Menschenrechtsverletzungen abzulenken. Deswegen haftet Zhang seitdem der Ruf an, die Leni Riefenstahl Chinas zu sein. Die deutsche Regisseurin drehte mit "Olympia" eine propagandistische Dokumentation über die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin – ein Sportereignis, mit dem sich das Nazideutschland unter Hitler in ein gutes Licht rückte.
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Doch seit 2008 hat sich die Stimmung gegenüber China drastisch gewandelt. Spätestens seit dem Amtsantritt von Staats- und Parteichef Xi Jinping strebt das Land keine Annäherung an den Westen mehr an. Die Volksrepublik tritt nach innen und außen hochgradig autoritär auf. In ihrem aktuellen Demokratieindex gibt die Nichtregierungsorganisation Freedom House der Volksrepublik gerade einmal neun Punkte – schlechter schneiden nur Äquatorialguinea, Eritrea, Nordkorea, Saudi-Arabien, Somalia, Südsudan, Syrien und Turkmenistan ab. Vor nur fünf Jahren kam China noch auf 15 Punkte.
Rückfall in Zeiten der Konfrontation
Die USA, Großbritannien, Kanada, Japan und Australien werden dieses Jahr keine Regierungsvertreter zu den Winterspielen nach Peking schicken. Damit beteiligen sich vier Staaten der G7, der bedeutendsten Industrienationen der westlichen Welt, an einem diplomatischen Boykott.
Sie werfen Peking vor, die muslimische Minderheit der Uiguren zu unterdrücken, das Demokratieversprechen für Hongkong gebrochen und die Unterwerfungsrhetorik gegenüber dem de facto unabhängigen Taiwan hochgefahren zu haben. Und damit ist die Liste der Konflikte noch nicht zu Ende.
Unterm Strich wird Olympia 2022, anders als Olympia 2008, nicht bekannt werden als Fest der Völkerverständigung in Zeiten der Annäherung. Stattdessen stehen die Winterspiele für einen Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten der Konfrontation. Und für Zhang Yimou markieren sie den endgültigen Absturz zum Staatspropagandisten.
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- Eigene Recherche