Zäune durchbrochen Migration via Belarus - Neue Sanktionen nahen
Brüssel/Warschau (dpa) - Angesichts steigender Migrantenzahlen an der östlichen EU-Außengrenze bereiten die EU-Staaten den Boden für Sanktionen gegen beteiligte Fluggesellschaften.
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki warf der belarussischen Führung in Minsk Staatsterrorismus mit dem Ziel einer Destabilisierung der EU vor.
Von der Leyen: Das ist "hybrider Angriff"
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen macht der belarussischen Führung angesichts der sich zuspitzenden Lage schwere Vorwürfe. "Das ist keine Migrationskrise", sagte von der Leyen nach einem Treffen mit US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus in Washington. "Wir teilen absolut die Einschätzung, dass es sich um einen hybriden Angriff eines autoritären Regimes handelt, mit dem versucht wird, demokratische Nachbarn zu destabilisieren. Das wird nicht gelingen. Wir werden unsere Demokratien schützen."
Von der Leyen sprach von "einer Herausforderung für ganz Europa". Die Kommissionspräsidentin betonte: "Wir werden unsere Sanktionen gegen Belarus Anfang nächster Woche sehr schnell ausweiten." Die Kommission arbeite in der Krise sehr eng mit Litauen, Lettland und Polen zusammen. Sie habe mit den Regierungschefs der drei Ländern gesprochen und weitere Hilfe angeboten.
Merkel fordert Lukaschenko zum Handeln auf
Die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko zum Handeln auf. Die Vereinten Nationen sollten vor Ort helfen können, sagte Merkel nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen am Mittwochabend bei Beratungen der Unionsfraktion im Bundestag. Merkel bat zudem den russischen Präsidenten Wladimir Putin in einem Telefonat darum, Einfluss auf die belarussische Regierung zu nehmen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: "Was da von der Regierung in Minsk, dem Regime in Minsk veranstaltet wird, ist natürlich staatliches Schleuser- und Schleppertum."
Angespannte Lage
Die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze ist angespannt. Mehrere Gruppen von Migranten durchbrachen polnischen Medienberichten vom Dienstagabend zufolge die Grenze von Belarus nach Polen. Zahlreiche weitere Menschen kampieren den Angaben nach auf belarussicher Seite im Grenzgebiet. Diese Angaben lassen sich derzeit kaum verifizieren, der Zugang zur Grenze ist abgeriegelt. Das EU-Mitglied Polen hat Tausende Soldaten an der Grenze stationiert, die einen Durchbruch an den Anlagen mit Stacheldraht verhindern sollen.
Ein dpa-Journalist, der im Grenzgebiet unterwegs war, erhielt eine englischsprachige Push-Nachricht des polnischen Innenministeriums, die offenbar weiträumig verschickt wurde und auf Migranten abzielte: "Die polnische Grenze ist abgeriegelt. Die belarussischen Behörden haben Ihnen Lügen erzählt. Gehen Sie zurück nach Minsk!"
In ihrem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Putin habe Kanzlerin Merkel unterstrichen, dass die Instrumentalisierung von Migranten gegen die Europäische Union durch Machthaber Lukaschenko unmenschlich und vollkommen inakzeptabel sei, teilte Regierungssprecher Seibert mit. Merkel habe Putin gebeten, "auf das Regime in Minsk einzuwirken".
Putin habe vorgeschlagen, dass sich die Europäische Union direkt mit der Führung in Belarus um eine Lösung des Problems bemühen sollte, teilte der Kreml in Moskau mit. Kremlsprecher Dmitri Peskow wies Vorwürfe als "absolut unangebracht" zurück, dass Russland etwas mit dem Konflikt zu tun habe. Er bekräftigte zugleich, dass Russland den Bruderstaat in seiner Konfrontation mit dem Westen unterstütze.
1246 illegale Einreisen nach Deutschland
Trotz der immer schärferen Sicherung der EU-Außengrenzen kommen weiter Hunderte Migranten auf der Route über Belarus und Polen nach Deutschland. Seit Anfang November registrierte die Bundespolizei insgesamt 1246 unerlaubte Einreisen mit Bezug auf Belarus, wie die Behörde mitteilte. Seit Jahresbeginn waren es inzwischen 9087. Über Belarus kommen seit dem Sommer vor allem Iraker, aber auch Syrer, Afghanen und andere Migranten.
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte prangerte die verstärkte Truppenpräsenz und die "hetzerische Rhetorik" im Konflikt an der Grenze an. Sie sei entsetzt, dass Migranten und Flüchtlinge in verzweifelter Lage bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ihrem Schicksal überlassen würden, teilte Michelle Bachelet in Genf mit. "Ich beschwöre die beteiligten Länder, umgehend Schritte zu unternehmen, die die Lage deeskalieren und die nicht hinnehmbare Situation lösen".
Bachelet rief zudem dazu auf, humanitäre Helfer in die Gebiete vorzulassen, ebenso Anwälte, Journalisten und andere Angehörige der Zivilgesellschaft. Das internationale Recht schreibe vor, dass niemand davon abgehalten werden dürfe, Asyl zu beantragen oder Schutz zu suchen.
Polen will Grenze komplett schließen
Polen erwägt laut Regierungssprecher Piotr Müller, die Grenze zu Belarus komplett zu schließen. Dies werde als Option in weiterreichenden Szenarien berücksichtigt, sagte er im Interview mit dem Portal "Wirtualna Polska". Die belarussischen Behörden seien informiert worden, dass eine solche Möglichkeit bestehe, wenn sie ihre Aktivitäten nicht einstellten. Eine Rückmeldung von belarussischer Seite habe es dazu bislang nicht gegeben.
Nach Medienberichten gelang es zwei größeren Gruppen von Migranten, die Grenze von Belarus nach Polen zu durchbrechen. Mehreren Dutzend von ihnen sei es gelungen, Zäune in der Nähe der Dörfer Krynki und Białowieża zu zerstören und die Grenze zu passieren, berichtete die polnische Nachrichtenagentur PAP unter Berufung auf die Polizei in der Woiwodschaft Podlachien. Einige der Menschen seien nach Belarus zurückgebracht worden.
Der Sender zitierte eine Sprecherin des Grenzschutzes, dass in beiden Fällen Zäune und Barrieren gewaltsam niedergerissen worden seien. Die Migranten hätten verschiedene Arten von Gerät und Werkzeug gehabt, wurde ein weiterer Grenzschutzbeamter zitiert. Laut Vorwürfen polnischer Behörden erhalten die Menschen Werkzeug von der belarussischen Seite. Immer größere Migrantengruppen, versuchten, die Grenzen zu durchbrechen, sagte eine Grenzschutzsprecherin.