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Großbritannien: Boris Johnson lässt sich auf Parteitag als "Weltkönig" feiern


Johnson redet die Krise schön
"Schau her, Boris! Du tötest unsere Branche!"

dpa, Von Christoph Meyer

06.10.2021Lesedauer: 3 Min.
Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien: Er verkauft die Probleme als Teil seines Plans.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien: Er verkauft die Probleme als Teil seines Plans. (Quelle: Phil Noble/Reuters-bilder)

Der Brexit hat Großbritannien mit wachsenden Engpässen eingeholt. Doch Boris Johnson tut, als wäre das Teil des Plans – und lässt sich auf dem Parteitag der britischen Konservativen als Anführer feiern.

Fehlende Fachkräfte, schwindelerregend hohe Energiepreise und eine wachsende Inflationsgefahr: Großbritannien steht womöglich ein harter Winter bevor. Doch beim Parteitag der britischen Konservativen in Manchester, der am Mittwoch zu Ende ging, ist davon nichts zu spüren. Bei seiner Abschlussrede lässt sich Parteichef Boris Johnson kräftig feiern.

Hunderte Tory-Mitglieder ohne Masken und Abstand bejubeln Johnson in einem eigens für die Rede hergerichteten Saal als unangefochtenen Anführer – alle anderen Kabinettsmitglieder hatten sich bei ihren Auftritten mit einem kleineren Raum zufriedengeben müssen. Ein britischer TV-Journalist spricht sogar davon, Johnson habe sich zumindest für die Dauer der Parteikonferenz den Kindheitstraum erfüllt, ein "Weltkönig" zu sein.

Johnson prahlt mit seinem "Mumm"

Höhere Löhne, höhere Produktivität, höhere Qualifikationen, mehr Wachstum und niedrigere Steuern – das alles werde mit einem von der Regierung herbeigeführten Wandel der britischen Wirtschaft erreicht werden, so Johnson in seiner mit Gags gespickten Ansprache. Noch keine Regierung vor ihm habe "den Mumm gehabt", die Probleme anzugehen, die er nun bewältigen wolle, prahlt der Premier. "Unkontrollierte Einwanderung" werde es hingegen nicht mehr geben.

Mit der Weigerung, die nach dem Brexit verschärften Einwanderungsregeln zu lockern, geht Johnson auf Konfrontation mit der Wirtschaft. Zahlreiche Unternehmensverbände kritisieren die Position der Regierung. Ein Verbandsvertreter spricht gar von einer "ziemlich beängstigenden" Botschaft.

Auch draußen vor dem Konferenzgelände ist vielen kaum zum Feiern zumute. Während des Parteitags versammeln sich dort wütende Schweinebauern und Schlachter, die sich von Johnson ans Messer geliefert fühlen. Auf Plakaten sind Sprüche zu lesen wie: "Schau her, Boris! Du tötest unsere Branche!"

Johnson: "Haben Sie schon mal ein Bacon-Sandwich gegessen?"

Corona und der Brexit – dieser Mix habe seinen Betrieb an den Rande des Ruins gebracht, klagt Adam Cheale, der in der Grafschaft Essex einen Schlachtbetrieb leitet. Während der Pandemie seien seine ausländischen Angestellten nach Hause gegangen, um nicht ohne Arbeit in Großbritannien steckenzubleiben, sagt er. Nun kämen sie wegen der seit dem Brexit verschärften Einwanderungsregeln nicht mehr zurück. Die Folge dürfte sein, dass schon bald Zehntausende Schweine gekeult und verbrannt werden müssen. Die Einreiseregeln für Fachkräfte aus dem Ausland müssten gelockert werden, so Cheale, doch Johnson höre einfach nicht zu.

Getötet werden, das sei, was eben üblicherweise mit Schweinen in diesem Land passiere, witzelt Johnson in den zahlreichen TV- und Radiointerviews der vergangenen Tage. Einem Radiomoderator, der ihn auf das Problem anspricht, antwortet er beharrlich mit der Gegenfrage: "Haben Sie schon mal ein Bacon-Sandwich gegessen?" In seiner Abschlussrede erwähnt er die Not der Schweinefarmer mit keinem Wort.

Das Problem mit dem Fachkräftemangel steckt auch hinter der Kraftstoffkrise, die Großbritannien seit bald zwei Wochen im Griff hat. Dem Land fehlen schätzungsweise 100.000 Lastwagenfahrer. Doch das Angebot der Regierung in London, befristete Visa für einige Monate Arbeit in Großbritannien auszustellen, haben bislang gerade einmal rund 130 Fernfahrern angenommen.

Johnsons "magic touch"

David Henig, ein Handelsexperte von der Denkfabrik UK Trade Policy Project, hält Johnsons vorgeblichen Pläne zur Reform der Wirtschaft für "reine Rhetorik" und ad hoc ausgedacht. Die Chancen, dass aus der Krise tatsächlich besser bezahlte Arbeitsplätze entstehen könnten, seien "sehr gering", sagt er.

Trotzdem scheine Johnson damit durchzukommen. "Er hat einfach den 'magic touch'", so Henig weiter – damit meint er die magisch wirkende Fähigkeit Johnsons, Menschen von seinen Argumenten zu überzeugen. Es müsse nur gut klingen, ob es auch stimme, sei schon in wenigen Monaten nicht mehr von Bedeutung, wenn die Schlagzeilen wieder von anderen Themen bestimmt werden, sagt Henig.

"Hoffen wir's"

Suzie Morley, eine Bezirksratsvorsitzende aus der ostenglischen Grafschaft Suffolk, die sich beim Parteitag für mehr Kompetenzen auf lokaler Ebene einsetzt, hält Johnsons Argumentation hingegen für plausibel – und das, obwohl sie sich als Brexit-Gegnerin einst über den Politiker und seine Halbwahrheiten sehr geärgert hat. "Ich hab' die Slogans einfach nicht geglaubt", sagt sie.

Auf die Frage, warum Johnson inzwischen vertrauenswürdiger geworden sein sollte, kommt sie ein wenig ins Grübeln. "Weil wir ein Team sind", sagt sie schließlich. Hinter Johnson und seinem Kabinett stehe eine ganze Riege kompetenter Abgeordneter, Mitarbeiter in Ministerien und Lokalpolitiker, die mit ihrer Expertise zur Verfügung stünden. Ob sie Vertrauen hat, dass man ihnen auch Gehör schenken wird? Da lacht sie, kreuzt die Finger und sagt: "Hoffen wir's."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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