Corona-Lage in Großbritannien Mediziner warnen Johnson vor dramatischer Entwicklung
In England gelten seit Montag fast keine Corona-Beschränkungen mehr. Gleichzeitig explodieren die Fallzahlen. Forscher warnen deshalb jetzt Premier Johnson: Es ist höchste Zeit, umzudenken.
Führende Mediziner haben den britischen Premier Boris Johnson zu einer Umkehr in der Corona-Politik aufgerufen. "Es ist Zeit für ein dringendes Umdenken, anstatt auf dem gleichen Weg zu bleiben", sagte der Vorsitzende der British Medical Association, Chaand Nagpaul, am Freitag dem "Guardian" zufolge.
Trotz massiv steigender Infektionszahlen gelten seit Montag in England fast keine Corona-Beschränkungen mehr, sogar Abstandhalten und Masken sind an vielen Orten freiwillig. Diese Strategie führe zu "explodierenden Fallzahlen" und deutlich mehr Patienten in den Krankenhäusern oder in Quarantäne, sagte Nagpaul. Die medizinische Versorgung sei gefährdet und nicht-dringende Behandlungen müssten verschoben werden.
"Die Regierung muss aufwachen", so Nagpaul. Die Zuspitzung der Situation sei eine direkte Folge der fehlenden Maßnahmen einer Regierung, "die dem Virus erlaubt, durch das Land zu ziehen".
Vor allem junge Erwachsene stecken sich derzeit an
Aktuell erkranken im Vereinigten Königreich täglich fast 50.000 Menschen an dem Virus. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 488. Vor allem unter jungen Erwachsenen steigen die Infektionszahlen rasant. Die Gesundheitsbehörde Public Health England registrierte in dieser Altersgruppe innerhalb einer Woche 1.155 Neuinfektionen auf 100.000 Menschen – der höchste je festgestellte Wert seit Ausbruch der Pandemie im vergangenen Jahr.
Gründe für die hohe Ansteckungsrate dürfte nach Ansicht von Experten unter anderem sein, dass die Impfrate bei jüngeren Menschen niedriger ist als bei den Älteren. In Großbritannien wurde streng nach Altersgruppen geimpft, angefangenen bei den Ältesten. Knapp 60 Prozent der 20- bis 29-Jährigen haben erst eine Impfung bekommen. Hinzu komme, dass Menschen dieser Altersgruppe mehr soziale Kontakte pflegen als ältere Menschen.
Versorgungsengpässe in Supermärkten drohen
Der sprunghafte Anstieg der Infektionen führte zuletzt dazu, dass sich Millionen von Menschen für zehn Tage in Quarantäne begeben mussten. Die Folge waren unter anderem leere Regale in Supermärkten, weil auch hunderttausende Mitarbeiter im Einzel- und Großhandel davon betroffen waren. Den Personalmangel bekamen auch die Industrie oder Spediteure zu spüren. Die Fleischindustrie warnte vor einem Zusammenbruch der Lieferketten.
Die Presse spricht bereits von der "Pingdemie" – benannt nach dem Geräusch des Smartphones, wenn die Corona-Warnapp den Kontakt zu einem Corona-Erkrankten meldet. Der britische Regierungschef Boris Johnson aber setzt voll darauf, dass die Impfungen gegen das Corona-Virus die Zahl der schweren Krankheitsfälle und Todesfälle begrenzen. In England sind knapp 70 Prozent der Bevölkerung über 18 Jahren zweimal geimpft.
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters