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Regionalwahl: Wählen die Schotten den Scexit?


Regionalwahl als Gradmesser
Wählen die Schotten den Scexit?

Von dpa
02.05.2021Lesedauer: 5 Min.
Demonstranten schwenken Fahnen während einer Kundgebung für die schottische Unabhängigkeit auf dem George Square.Vergrößern des Bildes
Demonstranten schwenken Fahnen während einer Kundgebung für die schottische Unabhängigkeit auf dem George Square. (Quelle: Jane Barlow/dpa-bilder)
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Es ist keine gewöhnliche Parlamentswahl, die in Schottland ansteht. Das Ergebnis gibt einen Eindruck, ob die Schotten unabhängig sein wollen – oder nicht. Letztlich entscheiden wie beim Brexit wohl die Emotionen.

Nein, wie ein erhabener Grenzfluss wirkt der Sark nicht. Eher träge schlängelt er sich durch die grünen Felder, Fahrzeuge brausen ohne Halt über eine kleine, steinerne Brücke hinüber. Und doch verläuft hier eine Grenze, unsichtbar und unscheinbar – sie trennt Schottland von England. Wenn es aber nach dem Willen vieler Menschen nördlich des Sark geht, wird aus dieser unsichtbaren schon bald eine sehr sichtbare Grenze.

Es sind Menschen wie Angus Robertson oder Tanja Bueltmann. Sie wollen raus aus dem Vereinigten Königreich, weg von London mit dem britischen Premier Boris Johnson und dem Brexit. Zurück in die EU – zurück in die Zukunft, so sehen sie es.

Aber von ihnen soll später die Rede sein. Denn nahe dieser Grenze steht nun Ami und sagt: "Das ist doch Quatsch."


Man muss ein bisschen ausholen. Zwar stimmen die Schotten an diesem Donnerstag (6. Mai) gar nicht über die Unabhängigkeit ab, sondern wählen ein neues Regionalparlament. Doch tatsächlich gilt das Ergebnis als Gradmesser, als eine Art Vor-Referendum: Wollen die Schotten wirklich raus aus dem Vereinigten Königreich? Die Schottische Nationalpartei (SNP) von Regierungschefin Nicola Sturgeon ist dafür. Dass sie die Wahl gewinnen wird, gilt als sicher, ebenso eine Pro-Unabhängigkeitsmehrheit gemeinsam mit den Grünen.

Wichtig ist aber vor allem, wie viele Sitze die SNP bekommt. Reicht es zur absoluten Mehrheit? Nur dann nämlich wird es Boris Johnson nach Einschätzung von Experten schwer haben, ein zweites Unabhängigkeitsreferendum zu verweigern. Und deshalb macht sich Ami, die mit Mann und drei Kindern in England wohnt, aber im schottischen Ort Gretna Green gleich hinter der Grenze arbeitet, vor der Wahl so ihre Gedanken. "Warum sollen wir das hier auseinander reißen?", fragt sie. "Das lässt sich doch auch nicht voneinander lösen", ist die End-Zwanzigerin überzeugt.

Unabhängigkeit könnte immense Kosten haben

Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Schottland und dem Rest des Königreichs sind riesig, der Handel beträgt ein Vielfaches des schottischen Handels mit der EU. Bis zu drei Mal teurer als die Kosten des Brexits sei eine Unabhängigkeit für Schottland, bis zu 2.800 Pfund würde sie jeden Einwohner kosten, haben Wissenschaftler der London School of Economics errechnet. Das gelte selbst für den Fall, dass Schottland – wie von SNP-Chefin Sturgeon angepeilt – wieder der EU beitritt.

Es ist vor allem diese wirtschaftliche Problematik, die der schottische Ableger von Johnsons Konservativer Partei stets betont. Was wird aus dem Handel zwischen Schottland und seinem wichtigsten Markt England, welche Währung wird Schottland haben, zumal ohne Zentralbank? "Es gibt eine Menge unbeantworteter Fragen in Bezug auf die EU, die die SNP beantworten muss", sagt Murdo Fraser, finanzpolitischer Sprecher der Konservativen.

In die Hände spielen könnte der Partei auch eine Spaltung der Unabhängigkeitsbefürworter. Sturgeons Vorgänger als Regierungs- und Parteichef, Alex Salmond, hat erst kürzlich seine eigene Partei gegründet: Alba, nach dem schottisch-gälischen Wort für "Schottland". Zwar betont Salmond, dass sein Ziel eine "Super-Mehrheit" für die Unabhängigkeit ist. Doch aufgrund des schottischen Wahlsystems aus Direkt- und Listenmandaten, das dem deutschen ähnelt, könnte seine neue Partei seiner alten Stimmen wegnehmen, selbst wenn sie den Sprung ins Parlament verpasst. Ja, die Alba-Gründung komme den Unabhängigkeitsgegnern zugute, sagt Fraser.

Unionsanhänger leicht in Führung

Das Rennen ist völlig offen, wie auch Politologe Peter Lynch sagt. Umfragen zeigten zuletzt zwar eine leichte Mehrheit für die Anhänger der Union, nachdem monatelang die Befürworter einer Loslösung vorne gelegen hatten. Die Folgen des Brexits seien nicht so schlimm ausgefallen wie von vielen befürchtet, sagt Lynch. Zudem habe Großbritannien wegen des Erfolgs der Corona-Impfkampagne an Ansehen gewonnen. Doch andererseits weist Lynch auf die große Beliebtheit von Regierungschefin Sturgeon hin, die ihr Land mit klarer Führung durch die Pandemie gesteuert hat.

Im direkten Vergleich mit Boris Johnson würde Sturgeon vermutlich einen Erdrutschsieg landen. Schon in der Vergangenheit hat die SNP mit Johnsons Konterfei Wahlwerbung gemacht. Da passt es den Konservativen, dass der Premierminister nicht beim Wahlkampf im Norden mitmischt. "Ich denke, dass wir nicht allzu enttäuscht waren, dass er nicht gekommen ist", sagt Fraser und muss schmunzeln. Doch letztlich weiß er: Bei einer Debatte wie jener um die Unabhängigkeit zählen am Ende vor allem Emotionen – und darauf setzt die SNP.

Für eine Volksbefragung muss London mitspielen

In Edinburgh steht Angus Robertson vor einem Supermarkt und verteilt Flugblätter. Im wichtigen Wahlbezirk Edinburgh Central will der Ex-Journalist, der eine deutsche Mutter hat, den Konservativen ihren Sitz abnehmen. "Ich bin der proeuropäische, der internationale Kandidat, und mein Gegenüber von den Tories ist für Boris Johnson und die ganze Brexit-Katastrophe", sagt er im Gespräch mit der dpa. Es sei Zeit, dass die Schotten ihren eigenen Weg gehen könnten, denn die britische Regierung kümmere sich nicht um den nördlichen Landesteil. "Wir werden von den Tories regiert in London, die seit 1955 keine einzige Wahl in diesem Land, in Schottland, gewonnen haben."

Das zentrale Problem aber: Für eine neue Volksbefragung muss London mitspielen. Ohne Johnsons Zustimmung ist kein Referendum möglich. Und der Premierminister hat deutlich gemacht, dass er nicht zustimmen wird. Das Votum von 2014, als eine knappe Mehrheit für den Verbleib im Königreich stimmte, sei eine Generationenentscheidung. Das will wiederum die SNP nicht akzeptieren. Sie betont, mit dem Brexit habe sich die Ausgangsbedingung verändert.

Das Argument: Die britische Regierung verhalte sich demokratiefeindlich, wenn der Wille der Menschen in Schottland ignoriert wird. "Dann hat London ein Riesenproblem, weil das, was bis jetzt eine Unabhängigkeitsherausforderung ist, eine demokratische Herausforderung wird", betont Robertson. Und er sieht die Umstände aufseiten der SNP. Denn wählen dürfen auch viele Ausländer, die in Schottland leben.

So wie Tanja Bueltmann. Die deutsche Historikerin, mittlerweile auch britische Staatsbürgerin, ist entschiedene Anhängerin der Unabhängigkeit und SNP-Mitglied. Schottland sei ein ganz anderes Land, sagt Bueltmann. Sozial, umweltbewusst, nachhaltig, in vielen Punkten das Gegenteil eines als engstirnig, nationalistisch und teilweise anachronistisch empfundenem England unter konservativer Führung.

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Löst die Zeit das Problem?

"Die Beteiligung in der Gesellschaft ist für alle offen, die hier zu Hause sind, egal woher sie kommen", sagt Bueltmann. Mögliche wirtschaftliche Schwierigkeiten schrecken sie nicht. "Das Ideal ist wichtiger als die praktischen Probleme", sagt sie. Ansonsten müsse Schottland permanent eine Politik verfolgen, die es nicht will. Als Beispiel nennt Bueltmann das Brexit-Referendum 2014. Damals stimmten knapp zwei Drittel der Menschen in Schottland für den Verbleib. 314 Jahre nach der Vereinigung von England und Schottland bestehe keine echte Union mehr.

Für Menschen wie Tanja Bueltmann oder Angus Robertson steht fest, dass die Unabhängigkeit kommen wird, früher oder später. Dafür spricht allein die Demografie. Zu fast drei Vierteln sprechen sich junge Schotten für die Loslösung von London aus, während ältere Menschen die Union beibehalten wollen. "Wir werden gewinnen", sagt Robertson. Dann geht er die Straße entlang, Flugblätter verteilen.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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