"Nicht richtige Reaktion" Brüssel gegen pauschales Reiseverbot nach Großbritannien
Brüssel (dpa) - Pauschale Flug- und Reiseverbote von und nach Großbritannien, wie sie einige EU-Staaten zuletzt verhängt haben, sind aus Sicht der EU-Kommission nicht die richtige Reaktion auf eine neue Variante des Coronavirus.
"Pauschale Reiseverbote sollten Tausende EU-Bürger und Briten nicht daran hindern, nach Hause zurückzukehren", sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders am Dienstag. Frankreich kündigte daraufhin an, seine coronabedingte Sperre für Reisende aus Großbritannien zu lockern, wegen der Tausende Lastwagen im Süden Englands auf ihre Ausreise warten mussten.
Die EU-Kommission stellte mit Blick auf die Verbreitung des mutierten Virus in Großbritannien klar, dass Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und nicht-notwendige Reisen vermieden werden sollten. Auch der Warenverkehr darf aus Sicht der Behörde nicht unterbrochen werden. Deutschland hatte schon zuvor entschieden, den Reiseverkehr aus Großbritannien und Südafrika weitgehend einzuschränken - allerdings mit einigen Ausnahmen.
In Großbritannien war zuletzt eine neue Variante des Coronavirus aufgetaucht, die möglicherweise deutlich ansteckender als die bisher bekannte Form sein ist. Die meisten EU-Staaten hatten daraufhin vorübergehend entschieden, Reisen aus und nach Großbritannien weitgehend einzuschränken. Frankreich hatte seine Grenzen auch für den Frachtverkehr geschlossen, um die Verbreitung der Virus-Mutation zu verhindern.
In Südostengland warteten deshalb Tausende Lastwagen auf die Ausreise. Sowohl der Hafen Dover als auch der Eurotunnel waren gesperrt. Etwa 2180 Fahrzeuge seien auf dem still gelegten Flughafen Manston geparkt worden, sagte eine Sprecherin der Kommunalverwaltung der Grafschaft Kent am Dienstag. Etwa 630 weitere Lastwagen parkten auf mehreren Spuren der Autobahn M20 zwischen London und dem Hafen Dover. Handelsverbände gingen sogar von 4000 Lastwagen aus, die in der Gegend warten. Fahrer klagten über fehlende Sanitäreinrichtungen und Lebensmittel.
Die EU-Kommission betonte nun in einer unverbindlichen Empfehlung: "Flug- und Zugverbote sollten eingestellt werden, da unverzichtbare Reisen sichergestellt und Unterbrechungen der Lieferketten vermieden werden sollten."
Die Regierung in Paris reagierte noch am Dienstag auf die Lage. Flugzeuge, Schiffe und der von London aus fahrende Eurostar-Zug könnten vom Mittwochmorgen an wieder verkehren, teilte der Beigeordnete Minister für Verkehr, Jean-Baptiste Djebbari, am Dienstagabend via Twitter mit. Französische Staatsbürger, Menschen mit Wohnsitz in Frankreich und andere autorisierte Reisende müssten einen negativen Corona-Test haben. "Das Ziel ist, den Warenverkehr wieder anlaufen zu lassen", sagte Djebarri im Nachrichtensender BFMTV.
Die Bundesregierung hatte sich schon vor den Empfehlungen der EU-Kommission auf ein deutlich strikteres Vorgehen festgelegt: Seit diesem Dienstag ist Transportunternehmen die Passagierbeförderung aus Großbritannien und auch aus Südafrika per Flugzeug, Schiff, Bahn oder Bus nach Deutschland weitgehend verboten. Das legt eine im Bundesanzeiger veröffentlichte Verordnung des Gesundheitsministeriums fest, die bis zum 6. Januar gilt. In Südafrika ist eine ähnliche Virus-Variante aufgetaucht, die aber unabhängig von der britischen entstanden ist.
Menschen mit Wohnsitz und Aufenthaltsrecht in Deutschland dürfen von Verkehrsunternehmen ab 1. Januar aus Großbritannien und Südafrika befördert werden. Dafür geplante Flüge sind aber beim Bundesinnenministerium oder einer seiner Behörden drei Tage vorher anzuzeigen und zu genehmigen. Ausgenommen vom generellen Beförderungsverbot sind unter anderem reine Frachttransporte, Rückführungen von Flugzeugen, Schiffen und Crews sowie Transporte mit medizinischem Personal oder aus humanitären Gründen.
Schon zuvor hatte das Verkehrsministerium als erste Schutzvorkehrung ab Montag fast alle Flüge aus Großbritannien nach Deutschland vorerst bis zum 31. Dezember untersagt.
In den Empfehlungen der EU-Kommission heißt es, dass alle nicht-notwendigen Reisen nach und von Großbritannien bis auf Weiteres vermieden werden sollten. Unter anderem für EU-Bürger und Briten mit Wohnsitz in einem EU-Staat solle es jedoch Ausnahmen geben, falls sie einen Corona-Test machten oder in Quarantäne gingen. Medizinisches Personal und andere unverzichtbare Arbeitnehmer sollten nicht in Quarantäne gehen müssen. Für Piloten, Lkw-Fahrer oder Schiffskapitäne sollten Ausnahmen von Test- und Quarantänepflichten gelten. Sollten in den kommenden Tagen Corona-Schnelltests für Transportarbeiter eingeführt werden, sollten diese nicht zu Störungen führen. Der Warenverkehr müsse ungestört weiterlaufen.
Die Niederlande, die am Wochenende ein Einreiseverbot für Passagiere aus Großbritannien verhängt hatten, erklärten am Dienstag bereits, Reisende aus Großbritannien und Südafrika in Kürze wieder ins Land lassen zu wollen. Voraussetzung sei, dass sie ein negatives Testergebnis vorweisen könnten, sagte die Ministerin für Transport, Cora van Nieuwenhuizen, in Den Haag dem TV-Sender NOS. Reisende müssten dann noch für zehn Tage in Heimquarantäne.
Die EU-Staaten diskutierten am Dienstag erstmals bei einer Sitzung der 27 EU-Botschafter in Brüssel über die Empfehlungen der EU-Kommission. Ein EU-Diplomat sagte anschließend, dass es breite Unterstützung dafür gegeben habe, den Warenverkehr wieder herzustellen und auch die Grenzen im kontrollfreien Schengen-Raum offenzuhalten.
Die jetzigen Empfehlungen der EU-Kommission haben allerdings nur eine geringe Halbwertszeit. Die Behörde betonte, dass die Regeln der Freizügigkeit für Großbritannien noch bis Ende der Brexit-Übergangsphase am 31. Dezember gelten. Vom 1. Januar an falle Großbritannien dann unter jene Drittstaaten, für die die allermeisten EU-Staaten in der Corona-Krise weitgehende Einreisesperren verhängt haben. Es gibt zwar eine Liste mit Ländern, aus denen nicht-notwendige Reisen wieder problemlos möglich sein sollen. Dort werden derzeit allerdings nur sieben Länder genannt.