Streit um Brexit-Kurs Johnson: "EU hat Revolver nicht vom Tisch genommen"
Obwohl die Warnungen nicht abreißen, hält der britische Premier Boris Johnson an seinem Gesetz fest, mit dem er den gültigen Brexit-Deal aufbohren will. Eine erste Hürde im Parlament hat er nun genommen.
Das britische Parlament hat in erster Lesung für die umstrittene Änderung des Brexit-Vertrags gestimmt. Für die Gesetzesvorlage von Premierminister Boris Johnson votierten am Montagabend in London 340 Abgeordnete, dagegen 263. Zur Abstimmung stand ein neues Binnenmarktgesetz, das den im Januar mit der EU geschlossenen Brexit-Vertrag einseitig ändern würde.
Indem sie die Gesetzesvorlage billigten, machten die Abgeordneten den Weg für viertägige intensive Parlamentsberatungen in dieser und der kommenden Woche frei. In der Debatte vor der ersten Abstimmung hatte Johnson der EU vorgeworfen, die territoriale Integrität des Vereinigten Königreichs zu gefährden. Deshalb sei seine Regierung zum Handeln und damit zu dem neuen Gesetz gezwungen.
Die neuen Pläne, die die britische Regierung vor einigen Tagen überraschend angekündigt hatte, würden mehrere Schlüsselregelungen im Brexit-Vertrag zu Nordirland einseitig aushebeln. Dabei geht es um die Aussetzung von Zollregelungen im Warenhandel für die britische Provinz und von Vorgaben zu Staatsbeihilfen für britische Unternehmen.
Emotionen im Parlament kochen hoch
Die Abstimmung gilt als Stimmungsbarometer – erst in einer Woche steht die entscheidende Abstimmung an. Danach muss das Gesetz noch das Oberhaus passieren. Doch bereits am Montag kochten die Emotionen im Parlament hoch: "Was für eine Inkompetenz! Was für ein gescheitertes Regieren!", empörte sich etwa der Abgeordnete der oppositionelle Labour-Partei, Ed Miliband, zu einem kopfschüttelnden Regierungschef. Es gebe nur eine Person, die für all das verantwortlich sei – Johnson selbst. Dieser verteidigte sein Gesetz in der Debatte hingegen erneut als "Sicherheitsnetz", das notwendig sei, um die Beziehung zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens zu schützen. Das Gesetz sei auch notwendig, da die Europäische Union in den Verhandlungen den "Revolver" nicht vom Tisch genommen habe, sagte Johnson.
Die EU sieht darin einen klaren Verstoß gegen das Brexit-Abkommen, sie reagierte mit Empörung. Selbst die britische Regierung räumte bereits einen internationalen Rechtsbruch ein, bezeichnet ihn aber als nur "sehr spezifisch und begrenzt".
Johnson stößt auch in eigenen Reihen auf Widerstand
Mit dieser Argumentation stieß Johnson allerdings auch in den Reihen seiner eigenen Konservativen Partei auf massiven Widerstand: Viele Tories, darunter auch Brexit-Befürworter, wollen den geplanten Rechtsbruch nicht mittragen und forderten vor Beginn der Parlamentsberatungen eine Rücknahme des Gesetzentwurfs. Sie befürchten, der Bruch könnte das internationale Vertrauen in Großbritannien erschüttern und den fragilen Frieden in Nordirland gefährden. Der Ausgang der nun anstehenden weiteren parlamentarischen Beratungen gilt deshalb als ungewiss.
Ex-Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox etwa warf Johnson vor, das Ansehen Großbritanniens zu beschädigen. Die geplante Einführung des Binnenmarktgesetzes sei unzumutbar, sagte der Tory-Abgeordnete der "Times". Es gebe "keinen Zweifel" daran, dass die "unangenehmen" Folgen des Brexit-Abkommens schon bekannt gewesen seien, als Johnson es unterzeichnet habe.
- Nachrichtenagenturen afp und dpa