Umstrittener Plan der Regierung Wahl mitten in Corona-Krise? Polen droht der große Boykott
In Polen stehen wichtige Wahlen an. Die Corona-Krise bringt große Unsicherheit mit. Und die Regierungspartei PiS versucht trotz aller Widrigkeiten einen schnellen Wahltermin durchzudrücken – nicht ohne Grund.
Ob sie wie geplant am kommenden Sonntag einen neuen Präsidenten für ihr Land wählen können, werden Polens Wähler erst wenige Tage vorher wissen. Denkbar ist durchaus, dass der Urnengang kurzfristig verschoben wird. Auf den 17. Mai, den 23. Mai – das signalisierte die nationalkonservative Regierungspartei PiS zuletzt. Oder vielleicht auf einen Termin im Herbst. Die chaotische Situation spiegelt wider, wie verhärtet die Fronten in Warschau sind.
Trotz Corona-Epidemie, rechtlicher Unklarheiten und Boykottaufrufen ist die PiS eigentlich entschlossen, die Wahl am 10. Mai durchzuziehen. Sie will ihrem Kandidaten, Amtsinhaber Andrzej Duda, eine zweite Amtszeit sichern. Genauso entschlossen will die Opposition die Wahl verschieben. Ein Kompromiss ist nicht in Sicht. Höchstens eine kurzfritsige Verschiebung um zwei Wochen ist drin. In letzter Minute bastelt die PiS noch an einem neuen Wahlrecht. Dem Land, das wegen der umstrittenen Justizreform ohnehin schon im Dauerclinch mit der EU-Kommission liegt, droht eine Staatskrise – und eine Beschädigung seines Rufs als Demokratie.
Die PiS hatte die Briefwahl abgeschafft – nun will sie sie wieder
Voraussichtlich am Mittwoch oder Donnerstag (6. oder 7. Mai) wird das Parlament über eine Änderung des Wahlrechts entscheiden. Sie sieht vor, die Präsidentenwahl ausschließlich per Brief abzuhalten. Dabei hatte die PiS vor zwei Jahren die Briefwahl abgeschafft – mit der Begründung, sie sei zu anfällig für Fälschungen.
Nun sollen mehr als 30 Millionen Wähler ihre Unterlagen mit der Post bekommen, die in Polen als unzuverlässig gilt. Weil die Zeit für eine Rücksendung nicht mehr reicht, sollen sie ihre Stimmzettel am Wahltag in eigens aufgestellte und bewachte Briefkästen im Freien einwerfen.
Das hastig zusammengestoppelte Wahlgesetz sei "voller Löcher" und weder logistisch noch rechtlich umsetzbar, warnt der Warschauer Politologe Jaroslaw Flis. "Wer immer diese Wahl verliert, wird hinterher behaupten, dass Betrug im Spiel war." Ähnlich sieht das sein Kollege Antoni Dudek. "Wir werden einen gigantischen Konflikt um die Frage bekommen, ob das überhaupt ein legaler Präsident ist."
Vize-Präsident ist gegen Vorhaben des Regierungslagers
Doch noch ist die Briefwahl nicht beschlossen. Zweifel an dem Vorhaben gibt es auch im Regierungslager. Vize-Ministerpräsident Jaroslaw Gowin trat kürzlich aus Protest zurück. Er plädierte dafür, den Wahltermin um zwei Jahre zu verschieben und Andrzej Dudas Amtszeit zu verlängern. Gowin vertritt die Gruppierung "Porozumenie" innerhalb der PiS, die 18 Abgeordnete stellt. Mit Spannung wird erwartet, wie sich diese Gruppe bei der Abstimmung über das Wahlgesetz verhält. Die PiS hat 235 von 460 Stimmen im Parlament. Wenn die Gowin-Leute nicht mitziehen, kippt die Regierungsmehrheit. Das Wahlgesetz fällt durch.
Doch was dann? Für eine herkömmliche Wahl in Wahllokalen am 10. Mai ist nichts vorbereitet. Auch wäre das Risiko wegen der Epidemie zu hoch. Beobachter rechnen damit, dass PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski dann die Regierung drängt, den Ausnahmezustand zu verhängen. Damit würde die Wahl nach der Verfassung um drei Monate verschoben.
Geht das Briefwahl-Gesetz durch, so erlaubt es der Parlamentspräsidentin, den Wahltermin auf den 17. oder den 23. Mai zu verlegen. Dieses Schlupfloch hat sich die PiS gelassen, sollte es organisatorisch zu knapp werden für den 10. Mai – und dass das so ist, sieht mittlerweile selbst die PiS ein. Der ursprünglich angesetzte Termin sei schwierig zu halten, sagte Vize-Ministerpräsident Jacek Sasin am Montag dem Radiosender Zet.
Ehemalige Staats- und Regierungschefs rufen zum Boykott auf
Die Präsidentschaftskandidatin des größten Oppositionsbündnisses Bürgerkoalition (KO), Malgorzata Kidawa-Blonska, hat bereits angekündigt, dass sie bei einer reinen Briefwahl nicht antreten wird. Und mehrere ehemalige polnische Staats- und Regierungschefs haben die Bürger in einem offenen Brief aufgefordert, die Wahl zu boykottieren.
"Wir werden (...) nicht teilnehmen. Und wir hoffen, dass sich alle Kandidaten und Wähler ähnlich verhalten werden, wenn sie unsere Sorge um eine demokratische Zukunft Polens teilen", heißt es in dem Brief, den die Ex-Präsidenten Lech Walesa, Aleksander Kwasniewski und Bronislaw Komorowski gemeinsam mit sechs ehemaligen Ministerpräsidenten unterzeichnet haben.
Derzeit liegen die Umfragewerte von Amtsinhaber Andrzej Duda bei 52 bis 59 Prozent. Der von der PiS gestellte 47 Jahre alte Jurist könnte die Wiederwahl in der ersten Runde schaffen. Bei einer Verschiebung der Wahl auf den Herbst, wenn Polen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu bewältigen hat, wäre das weniger sicher.
- Nachrichtenagentur dpa