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Pressestimmen zum Johnsons Brexit-Debakel: "Logische Konsequenz kollektiven Versagens"


Pressestimmen zum Johnson-Debakel
"Populismus hat die älteste Demokratie zu Schande geritten"

Von afp, dpa, ds

Aktualisiert am 05.09.2019Lesedauer: 4 Min.
Premierminister Boris Johnson im Parlament: In der Presse muss er viel Kritik an seinem Politik-Stil einstecken.Vergrößern des Bildes
Premierminister Boris Johnson im Parlament: In der Presse muss er viel Kritik an seinem Politik-Stil einstecken. (Quelle: UK Parliament/Jessica Taylor)

Kein No-Deal-Brexit und keine Neuwahlen. Das britische Parlament hat sich erfolgreich gegen Johnson und seinen Hauruck-Ausstieg gestellt. Doch nicht nur der Premier muss von der internationalen Presse viel Kritik einstecken.

Boris Johnson wollte seinen Brexit, komme was da wolle – und bekam vom britischen Parlament die Grenzen aufgezeigt. Die Abgeordneten stimmten für ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit und gegen die von Johnson verlangten Neuwahlen. Für die Presse ist klar: Das Gebaren des Premierministers zeigt seine Rückwärtsgewandtheit – und der gestrige Tag, dass sein Traum von einem neuen britischen Empire geplatzt ist. Doch auch der Oppositionsführer kommt mitunter nicht gut weg.

In in der niederländischen Zeitung "De Telegraaf" steht: "Der britische Premierminister Boris Johnson hat seine Feuertaufe hinter sich. Sie ging für den sonst so selbstsicheren Johnson nicht gut aus. Ein zutiefst zerstrittenes Unterhaus hat ihm Mittwochabend alle Fallstricke des Parlaments vorgeführt. Ähnlich wie schon bei seiner ersten Fragestunde als Premierminister schien Johnson seiner Aufgabe kaum gewachsen zu sein."

Die linksliberale slowakische Tageszeitung "Pravda" schreibt: "Nach der verantwortungslosen Entscheidung von (Ex-Premier) David Cameron, ein internes Problem der konservativen Partei auf die Schultern der Wähler abzuwälzen, kam Theresa May, die gegen die Mauer der Realität anrannte wie ein Nachtfalter, der eine ganze Nacht seines kurzen Lebens damit verschwendet, unentwegt gegen das geschlossene Fenster eines erleuchteten Zimmers zu fliegen. Und jetzt ist die Zeit von (Premierminister) Boris Johnson angebrochen, verglichen mit dem May wie eine erfahrene Realistin aussieht und Cameron wie ein reifer Staatsmann. (...) Mit der Niederlage im Parlament sind Johnsons Clownereien und sein Servieren von billigen Bonmots anstelle von wohlüberlegten Gedanken und Fakten vorerst hart auf den Boden des britischen Unterhauses aufgeschlagen."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "... deswegen war es richtig, dass eine Mehrheit des Unterhauses ihm die Kontrolle über die Tagesordnung entriss, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern. Die 21 Dissidenten in den Reihen der Konservativen, die sich gegen den Premierminister stellten, ... , haben die Interessen des Landes über den Machtanspruch des Regierungschefs gestellt. Dessen Reaktion, sie aus der Partei zu werfen und von künftigen Wahlen als Kandidaten der Konservativen auszuschließen, sagt viel über seinen Regierungsstil; sie offenbart einen feudalen Loyalitätsanspruch und sein wahres Verständnis von Politik in einem parlamentarischen System. Er kennt nur Sieg und Gehorsam, und wenn es beides nicht gibt, wird mit der Keule "Kapitulation" gefuchtelt. Dass er ein Abkommen mit der EU erreichen könne, das ganz seinen Vorstellungen entspräche, ist irreal ..."

"Stuttgarter Zeitung": "Es hätte verantwortungsbewusste und kompromissbereite Politiker gebraucht, um den Brexit-Prozess zu gestalten. Das war nicht der Fall, und so ist die Brachialpolitik Boris Johnsons die logische Konsequenz eines kollektiven Versagens. Der Populismus hat die älteste Demokratie der Welt zu Schande geritten, der Traum vom neuen Empire ist jäh geplatzt, das Land steckt in einer existenziellen Krise. Das ist ein Fanal."


t-online.de: " Brexit, Brexit, komme was wolle. Bis über die Schmerzgrenze geht Boris Johnson seinen Weg. Und erntete gestern Abend die ehrliche Antwort: Das Parlament verweigerte ihm die Gefolgschaft. Einen Brexit ohne Vertrag wird es am 31. Oktober nach Willen des Unterhauses nicht geben. Damit erreichte Johnson mehr Klarheit als Theresa May sie jemals im Parlament bekommen hat."

"Corbyn war immer ein unangenehmer Dummkopf und Lügner"

Die britische Boulevard-Zeitung "The Sun" geht hart mit Labours Weigerung, sofort Neuwahlen abzuhalten, ins Gericht und schreibt: "'Hühnchen' Jeremy Corbyn blockiert Boris Johnsons kurzfristige Neuwahlen und den No-Deal-Brexit. Zwei Jahre lang hat Labour die Tories zu Neuwahlen angestachelt. Jetzt – unglaublicherweise – rennt der erbärmliche, weinerlich feige Corbyn davon. Corbyn war immer ein unangenehmer Dummkopf und Lügner."

Die "Times" aus London warnt davor, Boris Johnson abzuschreiben: "Es ist falsch anzunehmen, dass der Plan von Johnson fehlgeschlagen ist. Boris Johnson wollte diese historische Abstimmung verlieren. Die Schlagzeilen, die erklären, er hat die Kontrolle verloren, sind nur zur Hälfte richtig. Johnson und sein Chefstratege Dominic Cummings haben die Niederlage von letzter Nacht absichtlich geplant und durchgeführt und das Parlament dazu angestiftet, sich gegen ihn zu stellen. Neuwahlen, von denen er behaupten kann, er wollte sie nicht, sind genau das, was er versucht hat zu erreichen, seit er im Amt ist. Und obwohl Teile seiner Strategie in dieser Woche böse schiefgingen, ist es durchaus plausibel, dass Johnsons Taktik der Täuschung doch noch erfolgreich sein kann."


Die "Financial Times" mahnt die Oppositionsparteien zur Vorsicht nach dem Abstimmungserfolg: "Selten ist die Strategie eines britischen Premierministers so schnell und so spektakulär in sich zusammengebrochen. (...) Eine Neuwahl scheint unvermeidlich zu sein – nun aber unter gänzlich anderen Bedingungen und mit einer Konservativen Partei, die zu einem kümmerlichen Rest englischer Nationalisten geschrumpft ist. In der Tat bedeutet der Zusammenbruch der Regierungsmehrheit, dass die Bevölkerung Großbritanniens nun sicherlich ihren Willen zum Ausdruck bringen muss. Problematisch ist aber das Timing. Die Oppositionsparteien müssen ihren Wunsch, Johnson herauszufordern, gegen das Risiko abwägen, dass er eine Wahl nutzt, um während des Wahlkampfes für einen No-Deal-Brexit zu sorgen – oder, sollte er gewinnen, das Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit rückgängig macht. Abgeordnete, die entschlossen sind, den schlimmsten Brexit zu verhindern, haben einen beachtlichen Sieg errungen. Sie müssen sicherstellen, dass er sich nicht in einen Pyrrhussieg verwandelt."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa, AFP
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