Wirtschaftliche Konsequenzen EU-Ratschef für Brexit-Sondergipfel im November
Brüssel/London (dpa) - Die Brexit-Unterhändler könnten einige Wochen mehr Zeit bekommen, um einen Austrittsvertrag der EU mit Großbritannien zuwege zu bringen. Ratspräsident Donald Tusk will beim EU-Treffen in Salzburg ab Mittwoch eine längere Frist bis zu einem Sondergipfel im November vorschlagen.
Irland pocht indes auf eine Einigung schon bis Mitte Oktober - so wie bisher geplant. Auch EU-Verhandlungsführer Michel Barnier sagte am Dienstag: "Der Oktober wird die Stunde der Wahrheit."
Ziel ist ein Abkommen, das die Bedingungen des für März 2019 angekündigten Brexits regeln und eine Übergangsfrist bis Ende 2020 gewähren soll. Doch stocken die Verhandlungen seit Monaten. Wichtigster Knackpunkt bleibt, wie politisch heikle Kontrollen an der künftigen Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden können. Käme der Vertrag nicht zustande, gäbe es auch keine Schonfrist, sondern einen harten und vermutlich chaotischen Bruch.
Der irische Außenminister Simon Coveney sagte in Brüssel, nötig seien nun intensivere Verhandlungen, um vor allem die irische Grenzfrage zu lösen. Das sei durchaus möglich. Von einer Fristverlängerung halte er nichts. "Wir wollen substanzielle Fortschritte und Entscheidungen beim Gipfel im Oktober sehen", betonte er. Sonst könnten politisch schwierige Entscheidungen verschleppt werden.
Barnier äußerte sich in einer Pressekonferenz am Dienstagabend ähnlich. Der reguläre EU-Gipfel am 18. Oktober sei "der Schlüsselmoment". Die EU sei bereits dabei, ihre Vorschläge zur Vermeidung einer "harten Grenze" in Irland nachzubessern. Wenn Waren über Nordirland in die EU kämen, müssten sie zwar kontrolliert werden, aber nicht notwendigerweise direkt an der Grenze.
Großbritannien hat große Bedenken gegen den bisherigen EU-Vorschlag und will eine andere Lösung über möglichst enge und reibungslose Handelsbeziehungen. Premierministerin Theresa May will ihre Position am Mittwoch bei einem Abendessen beim EU-Gipfel in Salzburg noch einmal darlegen. Die 27 bleibenden Staaten wollen dann am Donnerstag ohne May ihre Linie für die Schlussphase der Verhandlungen beraten - wohl auch Tusks Vorschlag für einen Sondergipfel.
Der britische Brexit-Minister Dominic Raab ging schon am Dienstag mit einer Serie von Interviews in die Offensive und betonte, Großbritannien habe sich bereits bewegt, nun sei die EU-Seite dran: "Wir haben Kompromisse gemacht und Flexibilität gezeigt. Das müssen wir jetzt auch von der europäischen Seite sehen." Der Ball liege nun eher im Feld der Europäer als der Briten, sagte Raab der "Welt".
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber sagte nach einem Treffen mit May in London am Dienstag: "Ich glaube, dass bei uns Bereitschaft da ist, aufeinander zuzugehen." Doch schränkte er ein, Zugeständnisse dürften nicht die Grundprinzipien der EU aufs Spiel setzen - darunter die vier Freiheiten des EU-Binnenmarkts einschließlich Freizügigkeit.
May will für Güter - nicht aber für Dienstleistungen - quasi weiteren Zugang Großbritanniens zum Binnenmarkt und bietet dafür die Einhaltung von EU-Standards an. Zudem will sie eine besondere Zollpartnerschaft. Die EU nennt das Rosinenpicken und lehnt es ab.
Da keine Lösung in Sicht ist, werden die Warnungen vor einem Scheitern der Verhandlungen dringlicher. "Leider ist ein 'No-Deal-Szenario' immer noch durchaus möglich", erklärte Ratspräsident Tusk. "Aber wenn wir alle verantwortungsvoll handeln, können wir eine Katastrophe vermeiden."
Der deutsche Staatsminister Michael Roth sagte in Brüssel: "Wir bleiben nach wie vor optimistisch, dass wir bis November eine vernünftige Lösung hinbekommen, aber wir brauchen jetzt entsprechend eine Dynamik in den Verhandlungen. Ich habe den Eindruck, es geht in die richtige Richtung."