Nach Putschversuch in der Türkei Erster Deutscher wegen Terrorvorwürfen verurteilt
In der Türkei muss nach dem Putschversuch offenbar erstmals ein Deutscher für lange Zeit ins Gefängnis. Der Fall gibt Rätsel auf. Der 55-Jährige wurde laut einem Medienbericht schon im Juli 2017 verurteilt.
Nach dem Putschversuch in der Türkei vom Juli 2016 hat die dortige Justiz laut Medienberichten erstmals einen Deutschen wegen Terrorismusvorwürfen verurteilt. Bereits im Juli 2017 sei gegen Nejat U. eine Haftstrafe von neun Jahren und neun Monaten verhängt worden, berichteten WDR, NDR und "Süddeutsche Zeitung". Dem 55-Jährigen wurde demnach die Mitgliedschaft in einem Unternehmerverein zur Last gelegt. Dieser gehöre zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen und sei damit Teil einer Terrororganisation, argumentierte die Anklage.
Zudem habe er ein Konto bei einer Gülen-nahen Bank besessen, und seine Kinder hätten eine Gülen-nahe Schule besucht. Der türkische Staat beschuldigt den in den USA lebenden muslimischen Prediger, Drahtzieher des Putschversuchs gewesen zu sein.
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Weshalb der Fall erst jetzt öffentlich wurde, ist unklar. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, das deutsche Konsulat in Izmir betreue den Gefangenen. Nach dem gescheiterten Umsturzversuch hatte die Staatsführung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan tausende vermeintliche Putschisten verhaften lassen.
Nach Informationen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" war U. einst zum Studium nach Deutschland gekommen und lebte viele Jahre in Aachen. Seine Frau ist Ärztin, gemeinsam haben die beiden drei Kinder.
Im Jahr 2000 kehrte er demnach in die Türkei zurück. Dort gründete er eine Firma, die er bis zu seiner Festnahme im April 2017 leitete. Die Terrorismusvorwürfe der Staatsanwaltschaft wies U. laut den Berichten entschieden zurück. Vor Gericht habe er darauf hingewiesen, dass er ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit besitze.
Journalist aus Österreich verhaftet
Außer U. sind derzeit noch sieben weitere Deutsche namentlich bekannt, die aus politischen Gründen in türkischer Haft sitzen. Bislang wurde jedoch keiner von ihnen verurteilt. Drei der Inhaftierten besitzen ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft.
Unterdessen wurde am Mittwoch in Ankara der österreichische Journalist, Student und Autor Max Zirngast unter dem Vorwurf des "Terrorismus" verhaftet. Der Mitarbeiter des linksradikalen "re:volt magazin" veröffentliche unter anderem Beiträge über die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) protestierte gegen die Festnahme. Die österreichische ROG-Vorsitzende Rubina Möhring erklärte: "Andere politische Meinungen dürfen nicht Grundlage für Verhaftungen oder Einschüchterungen sein! In der Türkei passiert das gerade aber zunehmend." Zirngast müsse umgehend freigelassen werden.
Das Außenministerium in Wien bestätigte die Festnahme und erklärte, die österreichische Botschaft in Ankara stehe in Kontakt mit den türkischen Behörden und Zirngasts Angehörigen.
Linke verurteilt Annäherung
In Deutschland wächst derweil die Kritik an der derzeitigen Wiederannäherung zwischen der Bundesregierung und der türkischen Regierung. Nach einem Treffen mit der Spitze der türkischen Oppositionspartei HDP erklärten die Linken-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger: "wer über Wirtschaftshilfe mit einem Despoten verhandelt, ohne die Einhaltung der Menschenrechte zu verlangen, der schlägt der verfolgten demokratischen Opposition in der Türkei offen ins Gesicht".
Die Türkei sei längst kein Rechtsstaat mehr, sondern ein "islamistisches Unrechtsregime", hieß es in der Erklärung weiter. Wer das nicht offen und klar ausspreche, mache sich mitschuldig am Abbau der Pressefreiheit und der Grundrechte. In Berlin waren Sezai Temelli, Leyla Imret, Mithat Sancar und Sinan Önal aus der Parteiführung der prokurdischen Demokratische Partei der Völker (HDP) zu Gast.
Kipping und Riexinger forderten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) auf, "nicht der neuen Charmeoffensive des Despoten vom Bosporus" zu erliegen und bei ihren Gesprächen nicht allein die Wirtschaft in der Türkei zu stützen, "sondern vor allem die Demokratie und Menschenrechte zu stärken". Weiter verlangten sie einen Stopp sämtlicher Waffen- und Rüstungsgeschäfte und jeglicher militärischer Zusammenarbeit mit der Türkei. Zudem dürfe es keinerlei "finanzielle und infrastrukturelle Unterstützung an ein Regime" geben, das Oppositionspolitiker und kritische Journalisten ins Gefängnis sperre.
142 Jahre Haft für Demirtas?
Der frühere HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtas wurde in der vergangenen Woche laut seiner Partei wegen angeblicher "Terrorpropaganda" zu vier Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Er war im Oktober 2016 zusammen mit anderen HDP-Abgeordneten festgenommen worden. Es laufen gegen ihn eine ganze Reihe von Prozessen, wobei er im Februar 2017 bereits zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Im Hauptverfahren drohen ihm bis zu 142 Jahre Haft.
Bei der Präsidentschaftswahl am 24. Juni war Demirtas als Kandidat für die HDP angetreten und hatte 8,4 Prozent der Stimmen erhalten, obwohl er aus dem Gefängnis heraus keinen Wahlkampf führen konnte. Demirtas und seine Partei sehen die Vorwürfe gegen ihn als politisch motiviert an und werfen der islamisch-konservativen Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan vor, damit einen unbequemen politischen Konkurrenten ausschalten zu wollen.
- afp
- dpa