Paris-Attentäter Abdeslam Wie der IS in Europa Massenmörder rekrutiert
Salah Abdeslam gilt als letzter Überlebender der Terrorzelle, die für die tödlichen Anschläge vom November 2015 in Paris verantwortlich gemacht wird. 130 Menschen starben damals. Jetzt beginnt sein Prozess in Belgien. Der Fall zeigt, wie der IS bewusst Kleinkriminelle rekrutiert.
Ein Fahrzeugkonvoi der französischen Elitepolizei hat in der Nacht kurz vor 4 Uhr das Gefängnis Fleury-Mérogis am Rande von Paris verlassen. Offenbar unter hohen Sicherheitsvorkehrungen bringen die Franzosen einen gefährlichen Gefangenen nach Belgien. Gegen Salah Abdeslam beginnt am Montag der Prozess in Belgien – der 28-Jährige gilt als letzter Überlebender der zehnköpfigen Terrorzelle des sogenannten Islamischen Staats, die im November 2015 ein Blutbad in Paris anrichtete. 130 Menschen starben bei den Anschlägen.
Schusswechsel mit der Polizei
Bevor Abdeslam allerdings wegen der Pariser Anschläge in Frankreich der Prozess gemacht wird, muss er sich vor einem belgischen Gericht verantworten, weil er auf seiner Flucht in Belgien auf Polizisten geschossen haben soll. Der Mann, der ihm mit Schüssen aus einer Automatikwaffe die Flucht ermöglichte, wurde damals getötet. Er selbst wurde vier Tage später im Brüsseler Stadtteil Molenbeek gefasst – jenem Stadtteil, wo er und viele seiner Komplizen aufgewachsen waren.
Es ist der erste öffentliche Auftritt des vor seiner Festnahme meistgesuchten Mannes Europas. Am Morgen begann der Prozess. Hunderte schwer bewaffnete und zum Teil maskierte Mitarbeiter von Polizei und Streitkräften sicherten den Brüsseler Justizpalast. Bei der Ankunft des Angeklagten kreiste ein Helikopter mit Suchscheinwerfern über dem Gebäude. Gepanzerte Fahrzeuge waren in der Nähe postiert.
Seit fast drei Jahren sitzt Abdeslam in Frankreich in Haft – und schweigt. Zu den tödlichsten Terroranschlägen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg: kein Wort. Das behielt er auch am Montag bei. Er werde keine Fragen beantworten, sagte Abdeslam. Vor den Richtern weigerte er sich, sich zu erheben.
Der Terrorverdächtige soll auch an den Vorbereitungen der Anschläge in Brüssel beteiligt gewesen sein. Erneut starben 32 Menschen. All das ist aber nicht Gegenstand des derzeitigen Prozesses. Trotzdem drohen Abdeslam bereits jetzt 40 Jahre Haft.
Verbindung aus Kriminalität und Terror
Die meisten der Täter stammten aus Paris und Brüssel – und waren zuvor vor allem als Kleinkriminelle auffällig geworden. Ähnlich wie der Terrorist Anis Amri, der einen Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt verübte. Es ist diese Verbindung aus Kriminalität und Religion, die sich immer wieder bei IS-Terroristen in Europa zeigt.
Abdeslam und sein Bruder standen im Verdacht, über die von ihnen betriebene Bar Drogen umgeschlagen zu haben. Der mutmaßliche Kopf der Zelle, Abdelhamid Abaaoud, war auch ein Kleinkrimineller in Molenbeek, wo er Kämpfer für den IS rekrutierte.
Kriminelle Fertigkeiten hilfreich für Terrorlogistik
Und unter den jungen Männern, die Abaaoud für den IS gewann, fanden sich ebenfalls viele, die zuvor schon mit kleineren Delikten strafrechtlich in Erscheinung getreten waren. Ihre Fähigkeiten wie das Beschaffen von Waffen auf dem Schwarzmarkt, das Fälschen von Dokumenten oder das Abwickeln der Logistik im Verborgenen waren enorm hilfreich für die Machenschaften des IS.
Nach dem Blutbad von Paris waren sieben der Terroristen tot. Drei waren auf der Flucht: Abdeslam, Abaaoud und Chakib Akrouh, der ebenfalls aus Molenbeek stammte. Es waren Freunde, Verwandte und mehrere Dealer, die ihnen halfen, sich zu verstecken.
Abaaoud und Akrouh kamen in einem Versteck im Pariser Stadtteil Saint-Denis unter, unweit des Fußballstadions Stade de France, das sie wenige Tage zuvor angegriffen hatten. Doch die Polizei spürte sie auf. Beim Sturm des Verstecks am 18. November zündete Akrouh einen Sprengstoffgürtel und tötete sich, Abaaoud und einen weiteren Helfer.
Bei dem Prozess gegen die drei Personen, die Abaaoud und Akrouh beim Untertauchen geholfen hatten, erklärte einer der Dealer vor Gericht: "Ich passe nicht in die Terroristenschublade. Ich bin ein Gangster, ein Mistkerl." Doch er muss sich nun als Terrorhelfer verantworten.
Experte: Großteil des europäischen IS sind Kriminelle
Die Grenzen zwischen Terroristen und Kriminellen seien heute undeutlicher denn je, erklärt Terrorexperte Peter Neumann, Leiter des International Centre for the Study of Radicalisation in London. "Der IS ist vielleicht die erste dschihadistische Organisation, die explizit diese Bevölkerungsgruppe ins Visier nimmt. Und das tun sie sehr bewusst und ganz besonders in Europa", sagt der deutsche Wissenschaftler, der auch Terrorbeauftragter der OSZE ist.
"Was wir in Brüssel und Paris erlebt haben, ist kein isolierter Fall. Das reflektiert die Situation in Europa", erläutert Neumann weiter. "Wenn man nach Schweden, Norwegen, Holland, Deutschland geht, wird man zu hören bekommen, dass 50 Prozent und mehr jener Menschen, die nach Syrien gehen oder in ihrer Heimat in Anschläge verwickelt sind, zuvor straffällig geworden sind, oft als Kleinkriminelle."
Auch Mohamed Belkaid, der das Geld bereitstellte, damit Abdeslam versteckt werden konnte, war in Schweden wegen Diebstahls auffällig geworden, bevor er sich dem IS anschloss. Er war es auch, der Abdeslam in Brüssel die Flucht ermöglichte, indem er das Feuer auf die Polizei eröffnete, als diese den Unterschlupf stürmte. Belkaid wurde erschossen, Abdeslam entkam zunächst durch ein Dachfenster.
Medienberichten zufolge hatte Abdeslam auf seinem Computer vor den Anschlägen eine Abschiedsnachricht gespeichert. Darin erklärte er laut dem Radiosender France Inter, dass sein Sprengstoffgürtel in Paris nicht funktioniert habe. Deswegen träume er davon, nach Syrien zu gehen. Er sei zu dem Schluss gekommen, "dass es das Beste wäre, den Job gemeinsam mit seinen Brüdern zu Ende zu bringen". Der Prozess soll bis Freitag dauern.
- AP
- AFP