Sorge vor politischer Instabilität Massiver Machtverlust nach Wahl in Südafrika
Fast alle Stimmen bei der Wahl in Südafrika sind ausgezählt. Die Regierungspartei ANC hat die absolute Mehrheit verloren – wie es weiter geht, ist unklar.
Der politische Frust der Südafrikaner hat sich im Ergebnis der Parlamentswahl klar niedergeschlagen. Zum ersten Mal seit 30 Jahren hat die Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) die Mehrheit verloren. Die Bildung einer Koalitionsregierung wird wohl nicht einfach werden. Und gleichzeitig wächst die Sorge vor politischer Instabilität.
Nach dem massiven Machtverlust meldete sich der ANC erstmals zu Wort. "Es gibt nichts zu feiern", sagte Generalsekretär Fikile Mbalula während einer Pressekonferenz. Nach Auszählung von 99,91 Prozent der Stimmen lag die bisherige Regierungspartei nach Angaben der Wahlbehörde bei 40,21 Prozent – ein Verlust von rund 17 Prozentpunkten im Vergleich zu den letzten Parlamentswahlen 2019.
"Die Ergebnisse senden eine klare Botschaft", sagte Mbalula. "Wir möchten den Menschen in Südafrika versichern, dass wir sie gehört haben. Wir haben ihre Sorgen, ihre Frustrationen und ihre Unzufriedenheit gehört." Es ist das erste Mal in der demokratischen Geschichte des Landes, dass die Partei des einstigen Anti-Apartheid-Kämpfers Nelson Mandela nicht mehr allein regieren wird.
Gespräche mit möglichen Koalitionspartnern
Der ANC, der trotz der hohen Wahlverluste laut der vorläufigen Ergebnisse die meisten Stimmen erhielt, wolle nun eine stabile und effektive Regierung bilden, um grundlegende wirtschaftliche und soziale Reformen durchzusetzen, so der Generalsekretär. Die Partei werde in den kommenden Tagen Koalitionsgespräche mit den Parteien führen, die eine solche Agenda vorantreiben könnten. Welche Koalitionspartner dafür infrage kämen, sagte Mbalula nicht.
Die Zeit ist knapp berechnet: Innerhalb von 14 Tagen nach der Verkündung des amtlichen Endergebnisses, das am Sonntagabend stattfinden soll, müssen die 400 neugewählten Parlamentarier eine Regierung bilden und einen Präsidenten wählen.
Als Koalitionspartner kommt zum einen die wirtschaftsliberale Demokratische Allianz (DA) infrage, die den vorläufigen Teilergebnissen zufolge mit 21,78 Prozent die zweitstärkste Partei ist. Ihr folgt der politische Neuling, die erst vor sechs Monaten von Ex-Präsident Jacob Zuma gegründete Partei uMkhonto we Sizwe (MK), die 14,58 Prozent der Stimmen erhielt. Die marxistisch geprägte Partei Economic Freedom Fighters (EFF), die für entschädigungslose Enteignungen im großen Stil und Verstaatlichungen eintritt und vom ehemaligen Vorsitzenden des ANC-Jugendverbands, Julius Malema, geführt wird, liegt laut den vorläufigen Teilergebnissen bei 9,51 Prozent.
Sorge vor politischer Instabilität
Mbalula wies Gerüchte zurück, Präsident Cyril Ramaphosa werde aufgrund des schlechten Wahlergebnisses sein Amt niederlegen. "Wir wussten, dass wir in Schwierigkeiten stecken – es ist nicht so, dass wir es nicht wussten", so Mbalula.
Der haushohe Machtverlust des ANC ist politischen Kommentatoren zufolge einer schwachen Regierungsführung zuzuschreiben. Das 61-Millionen-Einwohner Land leidet seit Jahren an einer kränkelnden Wirtschaft, Massenarbeitslosigkeit, tiefgreifender Korruption, maroden Staatsunternehmen und einem bröckelnden Gesundheits- und Bildungssektor. Während seiner Zeit als Präsident untergruben Zuma und seine Regierung von 2009 bis 2018 systematisch den Staat durch Veruntreuung und Vetternwirtschaft. Trotz vieler Versprechungen konnte Zumas Nachfolger Ramaphosa dem kein Ende setzen.
Ein neu ermächtigter Zuma
So überraschend es auch klingen mag, der ANC hat Analysten zufolge viele Stimmen an die MK verloren. Zuma, der manchmal der "Donald Trump Südafrikas" genannt wird, ist trotz zahlreicher Korruptionsvorwürfe und laufender Gerichtsverfahren gegen ihn ein beliebter Politiker, vor allem in seiner Heimatprovinz KwaZulu-Natal. Dort schrammte die neu gegründete MK mit 45,91 Prozent der Stimmen knapp an einer absoluten Mehrheit auf Provinzebene vorbei.
Ein neu ermächtigter Zuma präsentierte sich am Samstagabend den Medien in der Wirtschaftsmetropole Johannesburg und forderte eine "Wiederholung der Wahl" aufgrund "sehr, sehr ernsthafter" Wahlmanipulation, begründete die Vorwürfe aber nicht. Die Wahlbehörde dürfe die Endergebnisse am Sonntagabend nicht wie geplant verkünden, forderte Zuma.
Der ANC, politische Kommentatoren und Lokalmedien fassten Zumas Aussage als Drohung auf. Der 82-Jährige gilt als Populist und Unruhestifter, der innerhalb kurzer Zeit große Menschenmassen mobilisieren kann. Nachdem Zuma 2021 eine 15-monatige Haftstrafe wegen Missachtung der Justiz antreten musste, kam es in Südafrika zu gewaltsamen Protesten, Plünderungen und Zerstörung von Infrastruktur, bei denen mehr als 300 Menschen ums Leben kamen.
Mbalula: Die Demokratie respektieren
Mbalula rief die Südafrikaner auf, die Grundregeln demokratischer Wahlen zu respektieren und "den Bemühungen jener Kräfte zu widerstehen, (…) die unsere Wahlprozesse untergraben wollen". Der ANC werde keine Bedrohung der Demokratie dulden. "Wir werden gemeinsam gegen diejenigen vorgehen, die mit Gewalt und Instabilität drohen", so Mbalula.
Welche Parteien in den kommenden Tagen die erste Koalitionsregierung in Südafrikas Geschichte bilden werden, ist auch für Deutschland und Europa relevant. Südafrika ist trotz seiner strauchelnden Wirtschaft die stärkste Volkswirtschaft des Kontinents. Es gilt politisch sowie wirtschaftlich als "Tor zu Afrika", als Zugangsland zu einem Kontinent, der aufgrund seiner für die Energiewende benötigten Rohstoffvorkommen international immer wichtiger wird. Südafrika ist zudem das einzige afrikanische Mitglied der Gruppe der großen Wirtschaftsnationen (G20).
- Nachrichtenagentur dpa