Nahost Gaza-Krieg: Offenbar 200 Tote innerhalb von 24 Stunden
Im südlichen Gazastreifen wird weiter heftig gekämpft. Baerbock fordert die Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Und Israel droht eine Niederlage vor dem höchsten UN-Gericht. Der Überblick.
Inmitten der schweren Kämpfe im Gazastreifen fiel heute vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine erste Vorentscheidung im brisanten Völkermord-Verfahren gegen Israel.
Dabei geht es noch nicht um den Hauptvorwurf des Völkermordes, sondern zunächst um einen Eilantrag über Schutzmaßnahmen für die Palästinenser. Der Internationale Gerichtshof verpflichtet Israel nicht zum Ende des Militäreinsatzes im Gazastreifen. Das höchste Gericht der Vereinten Nationen beauftragte Israel aber, mehr Schutzmaßnahmen für Palästinenser zu ergreifen.
Entscheidungen des Gerichtshofs sind bindend. Auch wenn er keine Machtmittel hat, diese durchzusetzen, wäre eine Zurechtweisung durch das höchste UN-Gericht doch eine Schlappe für Israel. Der internationale Druck würde wohl weiter zunehmen. Die Richter können auch anordnen, dass Israel Bericht erstatten muss über Maßnahmen zum Schutz der Palästinenser. Auch das hätte eine beträchtliche Außenwirkung.
Israel: Recht auf Selbstverteidigung genommen
Südafrika hatte Ende Dezember Klage gegen Israel eingereicht und dem Land die Verletzung der Völkermord-Konvention vorgeworfen. Es ist das erste Mal, dass sich Israel vor dem UN-Gericht einem Völkermord-Vorwurf stellen muss. Bei der Anhörung im Den Haager Friedenspalast vor etwa zwei Wochen hatte Israels Vertreter die Vorwürfe entschieden zurückgewiesen.
"Israel ist im Krieg mit (der Islamistenorganisation) Hamas, aber nicht mit dem palästinensischen Volk", hatte der Rechtsberater des israelischen Außenministeriums, Tal Becker, gesagt. Israel wies auch die Forderung nach einem Ende des Militäreinsatzes zurück. Damit würde dem Land das Recht auf Selbstverteidigung genommen, hieß es zur Begründung.
Anlass für den Gaza-Krieg war ein verheerendes Massaker der Hamas und anderer Extremisten am 7. Oktober 2023. Dabei wurden rund 1200 Menschen getötet und etwa 250 aus Israel entführt worden. Israel macht die Hamas für die Opfer und das Leiden der Zivilbevölkerung im Gazastreifen verantwortlich.
Heftige Kämpfe im südlichen Gazastreifen
Derweil seien allein in den letzten 24 Stunden 200 Menschen in dem Küstengebiet getötet und 370 weitere verletzt worden, teilte das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium mit. Damit stieg die Zahl der Toten seit Kriegsbeginn am 7. Oktober auf 26.083. 75 Prozent von ihnen seien Frauen, Kinder oder ältere Männer gewesen. Die Zahl der Verletzten stieg auf 64.487. Die Zahlen lassen sich kaum unabhängig überprüfen.
Das israelische Militär und palästinensische Gesundheitsdienste berichteten von weiteren schweren Kämpfen im Westen der Stadt Chan Junis im südlichen Gazastreifen. Das israelische Militär hatte zu Wochenbeginn eine Offensive im Westteil von Chan Junis gestartet, in den es bislang noch nicht vorgedrungen war. Die größte Stadt im südlichen Gazastreifen gilt als eine Hochburg der Hamas.
Israelische Einheiten hätten die Umgebung des Amal-Krankenhauses bombardiert und beschossen, teilte die Hilfsorganisation Palästinensischer Roter Halbmond mit. Die Klinik sei völlig umstellt. Rettungskräfte und Hilfesuchende könnten sie nicht mehr erreichen. Auch in der Umgebung des Nasser-Krankenhauses trieb das israelische Militär Augenzeugen zufolge seine Vorstöße intensiv voran. Tausende Menschen seien auf der Flucht.
Das israelische Militär teilte in der Nacht mit, um den Betrieb der Nasser-Klinik und des Amal-Krankenhauses in Chan Junis sicherzustellen, sei man in Kontakt mit deren Direktoren sowie dem medizinischen Personal vor Ort. Vor den Einsätzen gegen die Hamas in der Gegend sei zudem sichergestellt worden, dass beide Krankenhäuser mit ausreichend Treibstoff und Vorräten versorgt seien.
Israels Armee setzt nach eigenen Angaben auch heute ihre intensiven Kämpfe in der Stadt Chan Junis im Gazastreifen fort. Soldaten hätten dort Dutzende Ziele der Hamas angegriffen, teilte das Militär mit. Bei verschiedenen Einsätzen habe es dabei auch Tote gegeben. Auch im Norden des Gazastreifens griff das Militär demnach wieder "die terroristische Infrastruktur der Hamas" an.
Baerbock appelliert an Israel
Außenministerin Annalena Baerbock forderte Israel angesichts der humanitären Krise im Gazastreifen eindringlich auf, beim Vorgehen etwa in Chan Junis das humanitäre Völkerrecht einzuhalten.
Am Rande ihrer Ostafrika-Reise sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstagabend in Nairobi mit Blick auf die schweren Kämpfe in der Stadt im Süden des Gazastreifens, sie sei "äußerst besorgt" über die verzweifelte Lage der Menschen.
"Auch beim Recht auf Selbstverteidigung gibt es Regeln, und auch beim Kampf gegen Terroristen gilt das humanitäre Völkerrecht", sagte Baerbock. "Diese muss Israel genauso einhalten wie alle anderen Staaten auf der Welt - auch in einem schwierigen Umfeld, in dem die Hamas alle Regeln bricht und Menschen als Schutzschilde missbraucht."
CIA-Chef schaltet sich in Verhandlung über Geisel-Freilassung ein
CIA-Chef Bill Burns will Berichten zufolge in den kommenden Tagen für Verhandlungen über die Freilassung der von der Hamas festgehaltenen Geiseln nach Europa reisen. Wie der Sender CNN am Donnerstag unter Berufung auf mit den Plänen vertraute US-Beamte berichtete, will Burns mit den Geheimdienstchefs Israels und Ägyptens sowie dem Ministerpräsidenten von Katar über ein Abkommen zur Freilassung der verbliebenen Geiseln sprechen.
Die Treffen mit Mossad-Direktor David Barnea, dem ägyptischen Geheimdienstchef Abbas Kamel und dem katarischen Ministerpräsidenten Mohammed bin Abdulrahman Al Thani werden voraussichtlich in Europa stattfinden. Zuerst hatte die "Washington Post" über entsprechende Pläne berichtet.
Nach israelischen Informationen dürften von zuletzt mehr als 130 Geiseln nur noch etwas über 100 am Leben sein. Gespräche über eine Freilassung nahmen zuletzt wieder Fahrt aufgenommen.
Weißes Haus: Verhandlungen über neuen Geisel-Deal laufen weiter
Nach knapp vier Monaten Krieg im Gazastreifen hofft die US-Regierung auf eine neue Abmachung zur Freilassung weiterer Geiseln aus der Gewalt der islamistischen Hamas. Man sei hoffnungsvoll, was die Fortschritte angehe, aber erwarte keine unmittelbaren Entwicklungen, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Freitag in Washington. Präsident Joe Biden habe am Freitag sowohl mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi und dem Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, über das Thema gesprochen.
UNRWA prüft: Waren Mitarbeiter an Hamas-Terror beteiligt?
Das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA will eine mögliche Beteiligung mehrerer seiner Mitarbeiter am Hamas-Massaker in Israel prüfen. "Ich habe die Entscheidung getroffen, die Verträge dieser Mitarbeiter sofort zu kündigen und eine Untersuchung einzuleiten, um unverzüglich die Wahrheit herauszufinden", sagte UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini laut einer Erklärung des UN-Hilfswerks. Es seien "schockierende Anschuldigungen". Israel habe dem UNRWA Informationen über die mutmaßliche Beteiligung mehrerer Mitarbeiter übermittelt. "Jeder UNRWA-Mitarbeiter, der an Terroranschlägen beteiligt war, wird zur Verantwortung gezogen, auch durch strafrechtliche Verfolgung."
UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich entsetzt über die Nachricht, dass mehrere UNRWA-Mitarbeiter in die Terroranschläge in Israel verwickelt sein könnten. Er drohte den Betroffenen ebenfalls mit einer sofortigen Entlassung sowie strafrechtlichen Konsequenzen, sollte die Untersuchung ihre Beteiligung an den Attacken ergeben.
"Jeder, der die Grundwerte der Vereinten Nationen verrät, verrät auch diejenigen, denen wir in Gaza, in der gesamten Region und anderswo auf der Welt dienen", sagte Lazzarini weiter. Mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen seien seit Beginn des Krieges auf Hilfe angewiesen. Details dazu, auf welche Art Mitarbeiter möglicherweise an dem Terrorangriff auf Israel beteiligt waren und um wie viele Personen es sich konkret handelt, teilte Lazzarini nicht mit.
WHO als "Mitwisser" der Hamas? UN-Organisation widerspricht Israel
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat israelische Anschuldigungen im Zusammenhang mit der Hamas zurückgewiesen. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus wehrte sich gegen Vorwürfe, dass die UN-Organisation im Gazastreifen in "Mitwisserschaft" mit der Hamas darüber hinwegsehe, dass die Islamisten Kliniken als Stützpunkte und zur Inhaftierung von Geiseln missbraucht hätten. "Solche falschen Behauptungen sind schädlich und können unsere Mitarbeiter gefährden, die ihr Leben riskieren, um gefährdeten Menschen zu dienen", sagte Tedros in Genf.
Meirav Eilon Shahar, Israels UN-Botschafterin in Genf, hatte am Donnerstag im Exekutivrat der WHO gesagt, dass die UN-Organisation konkrete Beweise von israelischer Seite ignoriere. "Die WHO wusste, dass Geiseln in Krankenhäusern festgehalten wurden, und dass dort Terroristen aktiv waren", sagte sie. "Das ist nicht Inkompetenz, das ist Mitwisserschaft", sagte sie. Die Diplomatin benutzte das englische Wort "collusion", das auch als "stillschweigende Duldung" übersetzt werden kann.
Israel: Hisbollah verhindert Einigung im Grenzgebiet
Israels Verteidigungsminister Joav Galant wirft indes der libanesischen Hisbollah vor, die Spannungen an der Grenze zwischen den beiden Ländern weiter anzuheizen. Die vom Iran unterstützte Miliz weigere sich, ihre Kämpfer aus dem Grenzgebiet abzuziehen und verhindere damit auch die Möglichkeit, eine Einigung zu erreichen, sagte er nach Angaben seines Büros.
Israel bevorzuge eine Verständigung auf diplomatischem Wege, sagte Galant demnach erneut. Auch die USA drängen in dem Konflikt auf eine diplomatische Lösung. Seit Beginn des Gaza-Krieges nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober in Israel kommt es in der israelisch-libanesischen Grenzregion immer wieder zu Konfrontationen zwischen Israels Armee und militanten Gruppierungen wie der Hisbollah.
Britische Behörde: Raketenangriff auf Schiff im Golf von Aden
Vor der jemenitischen Küste ist es indes erneut zu einem Raketenangriff auf ein Schiff gekommen. Wie die zur britischen Marine gehörende Behörde UKMTO mitteilte, explodierten zwei Raketen im Wasser in der Nähe eines nicht näher genannten Schiffes im Golf von Aden, südwestlich der gleichnamigen jemenitischen Hafenstadt.
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Die Besatzung sei in Sicherheit, auch Schäden habe es keine gegeben. Das Schiff setze seinen Kurs zum nächsten Zielhafen fort. Koalitionskräfte reagierten auf den Angriff, so die Mitteilung weiter. Schiffe wurden zur Vorsicht gemahnt und aufgerufen, alle auffälligen Aktivitäten zu melden.
Das zuständige Regionalkommando des US-Militärs teilte am Nachmittag auf X (ehemals Twitter) mit, dass die Huthi im Golf von Aden eine ballistische Schiffsabwehrrakete auf einen Zerstörer der US-Marine abgefeuert hätten. Die Rakete sei abgeschossen worden. Es habe weder Schäden noch Verletzte gegeben.
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Seit Beginn des Gaza-Kriegs zwischen Israel und der islamistischen Hamas greifen die Huthi - aus Solidarität mit der Hamas - immer wieder Frachter mit angeblich israelischer Verbindung vor der jemenitischen Küste an.
- Nachrichtenagentur dpa