Krieg in Nahost Versehentlich getötete Geiseln zeigten weiße Flagge
Israels Armee liefert sich im Gazastreifen weiter schwere Kämpfe gegen die Hamas. Ihr Auftrag ist auch, Geiseln herauszuholen. Doch nun sorgt ein tragischer Vorfall für Proteste. Der Überblick.
Das israelische Militär hat neue Details zur versehentlichen Tötung von drei Geiseln durch israelische Soldaten bekannt gegeben. Die getöteten Männer seien mehrere Dutzend Meter entfernt von den Truppen aus einem Gebäude gekommen, sagte ein Vertreter des israelischen Militärs. Dabei seien sie ohne Hemd gewesen, einer habe einen Stock mit einem weißen Stück Stoff in der Hand gehalten.
Ein Soldat habe sich den Angaben nach bedroht gefühlt und das Feuer eröffnet. Zwei der Männer seien direkt getötet worden. Ein dritter Mann sei zurück in das Haus geflüchtet. Ein Kommandeur habe zwar angeordnet, das Feuer zu stoppen, doch als der dritte Mann zurück ins Freie getreten sei, sei erneut geschossen worden. Dabei sei auch dieser getötet worden. "Ich möchte sehr deutlich sagen, dass dieses Vorgehen gegen unsere Einsatzregeln war", sagte der Militärvertreter. Den Angaben nach war auch ein Hilferuf auf Hebräisch zu hören.
Gleichwohl machte der Militärvertreter deutlich, dass es sich bei dem Gebiet um eine aktive Kampfzone handelte. Truppen seien dort bereits in Hinterhalte gelockt worden. Zudem seien Angreifer oft in "Jeans und Sneakers" unterwegs. Untersucht werde derzeit auch, ob es einen Zusammenhang mit einem Haus in der Nähe gebe, auf dem die Buchstaben SOS angebracht waren. Die Truppen im Gazastreifen seien an die Einsatzregeln erinnert worden, um solche tragischen Vorfälle zu vermeiden, hieß es. Die Untersuchung des Vorfalls dauere an.
Unklar sei weiter, ob die Männer ihren Entführern entkommen konnten oder bewusst zurückgelassen wurden. Der tragische Vorfall hatte in Israel spontane Proteste ausgelöst. Die Organisatoren werfen der Regierung vor, nicht genug zu tun, um die im Gazastreifen verbliebenen Geiseln freizubekommen.
Israels Militär: Tragen die Verantwortung
"Dies ist für uns alle ein trauriger und schmerzhafter Vorfall, und die Armee trägt die Verantwortung für alles, was passiert ist", sagte der Sprecher des israelischen Militärs, Daniel Hagari. Die drei Opfer waren bei dem beispiellosen Massaker von Hamas-Terroristen und anderen Gruppen in Israel am 7. Oktober mit rund 240 anderen Menschen in den Gazastreifen verschleppt worden. Mehr als 1200 Menschen waren bei dem Terrorangriff getötet worden. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und begann Ende Oktober mit einer Bodenoffensive. Nach jüngsten Angaben der Hamas wurden bisher rund 18.700 Menschen bei Angriffen im Gazastreifen getötet.
Netanjahu: Lernen Lektionen und machen weiter
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete den Tod der drei Geiseln durch eigene Landsleute als "unerträgliche Tragödie". "Der gesamte Staat Israel trauert heute Abend. Mein Herz ist bei den trauernden Familien in der schweren Zeit ihres Kummers", schrieb Netanjahu in den sozialen Medien. "Selbst an diesem schwierigen Abend werden wir uns um unsere Wunden kümmern, die Lektionen lernen und mit größter Anstrengung weitermachen, um alle unsere Geiseln sicher nach Hause zu bringen", so Netanjahu.
Protestierende fordern neuen Geisel-Deal
Während die breite israelische Öffentlichkeit den Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen nach wie vor unterstützt, gibt es unter Familienangehörigen der Geiseln zunehmend Zweifel. Bei den spontanen Protesten in Tel Aviv hieß es, mit einem neuen Geisel-Deal, wie es ihn bereits Ende November gab, würden Vorfälle wie der Tod dreier Geiseln durch die eigenen Soldaten verhindert werden können. "Ihre Zeit wird knapp! Bringt sie jetzt nach Hause", riefen die Menschen.
Nach israelischen Schätzungen werden derzeit noch 112 Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Weiterhin gebe die Hamas die Leichen von 20 Entführten nicht heraus, teilte Netanjahus Büro mit. Woher man weiß, welche Verschleppten tot sind, wurde nicht genannt.
US-Regierung nennt Tod der Geiseln tragisch
Israels Kriegsziele sind die Vernichtung der Hamas und die Rückführung der verbleibenden Geiseln. Doch während Israels Militär die Leichen mehrerer Geiseln aus dem Gazastreifen holen konnte, konnte es bisher laut dem "Wall Street Journal" nur eine lebende Geisel retten, einen Soldaten. Die US-Regierung bezeichnete den Tod dreier Geiseln durch Soldaten als "herzzerreißend" und "tragisch".
"Natürlich ist dies kein Ergebnis, das sich irgendjemand gewünscht hat", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby. Der Fall eigne sich aber nicht, um ein allgemeines Urteil darüber zu fällen, ob das israelische Militär in der Lage sei, im Gazastreifen präzise vorzugehen, sagte Kirby weiter.
Die US-Regierung hatte zuletzt nach Gesprächen mit der israelischen Führung die Erwartung geäußert, dass Israel von einem militärischen Vorgehen mit "hoher Intensität" zu "gezielteren" Militäroperationen übergehen werde. Einen Zeitraum dafür nannte Washington aber nicht.
Erneut Journalisten bei Kämpfen getötet
Bei einem israelischen Drohnenangriff in Chan Junis im Süden des Gazastreifens wurde nach Angaben von Al-Dschasira zudem ein Kameramann des arabischen Fernsehsenders getötet. Nach Angaben des europäischen Nachrichtenagenturen-Verbunds EANA wurde außerdem ein Kameramann der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Bei bei Luftangriffen des israelischen Militärs getötet. Seit Beginn des Gaza-Kriegs sind nach Angaben des in den USA ansässigen Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) 63 Journalisten getötet worden.
Luftwaffe schafft Hilfsgüter nach Ägypten
Eine Maschine mit medizinischen Hilfsgütern für Patientinnen und Patienten aus Gaza ist am Samstag Richtung Ägypten gestartet. Der Airbus A400M der Luftwaffe hob um 8.28 Uhr am niedersächsischen Fliegerhorst Wunstorf (Region Hannover) ab. Mit dem Sonderflug will die Bundesregierung Hilfsgüter nach Kairo schaffen, die dort zur Behandlung von Menschen aus dem Gazastreifen benötigt werden. An Bord sind nach Angaben der Luftwaffe 7,6 Tonnen Fracht auf insgesamt neun Paletten, vor allem Beatmungsgeräte und Brutkästen für Säuglinge.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat die Hilfslieferung, die die Luftwaffe im Auftrag des Auswärtigen Amts durchführt, einen Wert von rund 1,4 Millionen Euro. Damit werde auf Anfragen der ägyptischen Regierung reagiert. In der kommenden Woche sollen weitere Bundeswehrflüge in Zusammenarbeit mit der sogenannten EU-Luftbrücke stattfinden. Dann sollen vor allem Zelte und andere Hilfsgüter für Menschen in Gaza geliefert werden, die ihre Bleibe verloren haben.
Neue Gefechte an israelisch-libanesischer Grenze
An der Grenze zwischen dem Libanon und Israel gehen die Gefechte weiter. Israels Luftabwehr habe am Samstagmorgen ein feindliches Flugobjekt aus dem Libanon abgefangen, teilte das Militär mit. Ein weiteres Fluggerät sei in einem Gebiet im Norden des Landes niedergegangen. Als Reaktion seien Ziele im Libanon angegriffen worden.
Zuvor heulten in mehreren israelischen Orten die Warnsirenen. Israelischen Medienberichten zufolge soll es sich bei den Flugobjekten um zwei mit Sprengstoff beladene Drohnen gehandelt haben. Von wem die Drohnen stammten, war zunächst unklar. Die libanesische Hisbollah-Miliz gab lediglich an, israelische Soldaten am Morgen angegriffen zu haben.
Verband fordert Aufklärung zu Tod von Kameramann in Gaza
Nach dem Tod eines Kameramanns des Fernsehsenders Al-Dschasira im Gazastreifen hat der Verband der Auslandspresse (FPA) das israelische Militär zu einer Untersuchung aufgefordert. "Wir halten dies für einen schweren Schlag gegen die bereits eingeschränkte Pressefreiheit in Gaza und fordern die Armee zu einer sofortigen Untersuchung und Erklärung auf", teilte der Verband mit, der Auslandsjournalisten in Israel und den palästinensischen Gebieten vertritt. Demnach handelte es sich bei dem getöteten Kameramann Samer Abu Dakka um das erste FPA-Mitglied, das seit Kriegsbeginn im Gazastreifen getötet wurde. Er wurde am Samstag beerdigt.
Der 45 Jahre alte Vater von vier Kindern kam nach Angaben von Al-Dschasira bei einem israelischen Drohnenangriff im Süden des abgeriegelten Küstenstreifens ums Leben. Wegen der Kampfhandlungen konnten Rettungskräfte zunächst nicht zu ihm vordringen - letztlich konnten sie nach Angaben des Senders nur noch seine Leiche bergen.
- Nachrichtenagentur dpa