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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wagner-Söldner in Mali Sie hinterlassen eine Blutspur im Land
Russland versucht den Rückzug des Westens aus Mali für seine Zwecke zu nutzen. Wagner-Söldner sollen im Kampf gegen Islamisten helfen. Stattdessen verüben sie Massaker an Zivilisten.
Es war ein schockierendes Video, welches der Twitternutzer namens "Dia Darra" am 21. April des vergangenen Jahres postete. Zu sehen sind mehrere Leichen in der Wüste, die Körper mit Sand überzogen, die Gliedmaßen grotesk verdreht.
Der Mann, der sich in seinem Profil als malischer Veteran und "Patriot" ausgibt, kommentierte dies mit den Worten: "Das haben die Franzosen hinterlassen, als sie die Basis in Gossi verließen. WIR DÜRFEN DARÜBER NICHT SCHWEIGEN!" Zwei Tage zuvor hatte die französische Armee im Zuge ihres Rückzugs aus Mali ihre Militärbasis bei der Stadt Gossi dem einheimischen Militär übergeben.
In Wirklichkeit sind die Aufnahmen Teil eines Propagandakrieges, den Russland gerade in Mali führt und der sich nicht nur gegen Frankreich, sondern den gesamten Westen richtet. In seinem Zentrum stehen Söldner der berüchtigten Wagner-Truppe. Die in Russland gegründete paramilitärische Organisation ist maßgeblich am Kampf gegen die Ukraine beteiligt, aber auch in zahlreichen anderen Ländern in Erscheinung getreten.
Die kremlnahen Söldner verstehen sich als militärische Dienstleister für Krisengebiete und sind berüchtigt für ihre Skrupellosigkeit. Für die russische Regierung sind sie ein ideales Mittel, um gerade in instabilen Regionen inoffziell Einfluss zu gewinnen.
Augenzeugen berichten von "weißen Männern"
Doch im Fall von Gossi waren die Franzosen vorbereitet. Kurz nachdem das Video erschienen war, veröffentlichte die französische Armee ein eigenes Video. Es ist eine Drohnenaufnahme und zeigt denselben Ort, der rund 3,6 Kilometer von der Basis entfernt liegt. Doch diesmal umkreist eine Gruppe von Männern die Leichen, gräbt sie mit Sand zu und macht dabei Aufnahmen. Sie tragen weder malische noch französische Militäruniformen.
Es handele sich nach französischen Militärerkenntnissen dabei um Wagner-Söldner, teilte der französische Generalstab mit. Weil man geahnt habe, dass der Abzug für Propagandazwecke missbraucht werden würde, habe man ihn weiter mit Drohnen überwacht. Für die Wagner-These spricht auch, dass der Twitteraccount des angeblichen Mali-Veteranen auch viele prorussische Inhalte postet und eines seiner früheren Profilfotos ursprünglich zu einem Account im russischen Netzwerk VK gehörte.
Die malische Regierung warf Frankreich daraufhin vor, "zu spionieren" und die Reputation der malischen Armee "beschmutzen" zu wollen. Denn tatsächlich geht Malis Armee oft gemeinsam mit den Söldnern gegen islamistische Terrormilizen vor und begeht dabei auch immer wieder Massaker an Zivilisten.
Der berüchtigtste Vorfall ereignete sich Ende März 2022 in der zentralmalischen Kleinstadt Moura. Dort überfielen Bewaffnete in Militärhubschraubern den Marktplatz, schossen zunächst aus der Luft auf alles, was sich bewegte, später auch vom Boden aus. Anschließend umstellten weitere Männer Moussa und die Nachbarorte, durchsuchten jedes Haus einzeln. Einheimische wurden in drei Gruppen eingeteilt: Terroristen, mutmaßliche Terroristen und Zivilisten. Die "Terroristen" wurden sofort erschossen. Überlebende berichten, dass es sich bei den Tätern nicht nur um malische Soldaten gehandelt habe, sondern auch um "weiße Männer", die kein Französisch sprachen. Der größte Teil dürften Wagner-Söldner gewesen sein. Am Ende waren mehr als 200 Menschen tot.
Die Franzosen sind in Mali verhasst
Nach Mali sind die Wagner-Söldner gekommen, nachdem die Spannungen zwischen der neuen Militärregierung und Frankreich immer mehr zugenommen hatten. Die einstige Kolonialmacht hatte das westafrikanische Land seit 2013 im Kampf gegen islamistischen Terror am stärksten unterstützt. Zugleich waren die französischen Soldaten wegen ihres Auftretens in der malischen Bevölkerung aber auch verhasst. Demonstrationen mit antifranzösischen Parolen wie "A bas la France" ("Nieder mit Frankreich") hatten zugenommen. Im vergangenen August zog Frankreich daraufhin seine Truppen ab. Seither hat sich die ohnehin prekäre Sicherheitslage noch einmal deutlich verschlechtert.
Mehr als 1.000 russische Söldner sollen inzwischen im Land sein, schätzen Beobachter. Eine genaue Zahl ist nicht ermittelbar. Die Massaker von Moura und Gossi sind nicht die einzigen Vorfälle, die ihnen zugeschrieben werden. Die malische Regierung bestreitet, dass es sich um Söldner handelt und spricht von "Sicherheitsberatern". Auch lehnt sie eine genauere Untersuchung der Vorfälle ab. Sie bekommt von den Söldnern das, was ihr etwa von deutscher Seite verweigert wurde: Waffen und direkte Kampfunterstützung.
Die Söldner erwarten eine Gegenleistung
Doch keine Leistung ohne Gegenleistung: Als die UN-Vollversammlung Ende Februar zum Jahrestag des Ukraine-Kriegs erneut einen Rückzug der russischen Truppen forderte, stimmte Mali als eines von sechs Ländern dagegen – gemeinsam mit Staaten wie Belarus, Nordkorea, oder Syrien.
Doch auch in Mali selbst werden die Söldner noch mehr Dankbarkeit erwarten, sie sich notfalls mit Gewalt holen. Wie das in der Praxis aussieht, lässt sich im Sudan beobachten. Auch dorthin kamen Wagner-Söldner ursprünglich, um die sudanesische Regierung gegen die Rebellen zu unterstützen. Inzwischen haben sie ihre Aktivitäten ausgeweitet, betreiben etwa eine Goldfabrik im Nordosten, wie Recherchen der französischen Zeitung "Le Monde" ergaben. Offizieller Vertreter ist der russische Geschäftsmann Mikhail Potepkin. Der Deal: Genehmigung zum Ausbeuten von Bodenschätzen gegen Militärhilfe.
Bei den Maliern sind die Russen trotz der sich mehrenden Berichte über Gewalt noch beliebt. "Russland hat bei der Bevölkerung in Mali ein positives Image", sagt Ulf Laessing, Leiter des Regionalbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali. So könne man in der Hauptstadt Bamako häufig russische Fahnen bei Demonstrationen oder auch im Alltag sehen. Dies habe aber vor allem mit prorussischen Fake-News-Kampagnen in den sozialen Medien zu tun, so Laessing: "Diese schüren gezielt Vorwürfe gegen die unbeliebte frühere Kolonialmacht Frankreich – die Menschen sehen Russland als vermeintlich zuverlässigere Alternative zu Frankreich und dem Westen."
Allerdings würden sich die Vorwürfe über Tötungen von Zivilisten durch russische Söldner zum Teil in der Bevölkerung allmählich herumsprechen: "In den Regionen im Zentrum Malis, wo die Russen aktiv sind, sind diese nicht beliebt, sondern gefürchtet."
Dschihadisten haben Zulauf wegen der Wagner-Söldner
Die Hoffnung der malischen Regierung, mit den Söldnern mehr Sicherheit und Stabilität zu gewinnen, hält Regionalexperte Ulf Laessing für eine Illusion. "Die russischen Söldner haben die Sicherheitslage in Mali nicht verbessert – im Gegenteil: Die Regierung kontrolliert seit ihrer Ankunft noch weniger Territorium, vor allem im Norden des Landes", sagt er. Die Russen hätten die Lage durch ihre Brutalität eher noch schlimmer gemacht. Berichte über Massaker von Zivilisten bescherten den Dschihadisten neuen Zulauf.
Auch werde der Einfluss der Russen insgesamt überschätzt: "Frankreich hatte mehr als 2.500 Soldaten und hat wenig bewirkt in einem Land, das fast viermal so groß wie Deutschland ist. Die Russen sind viel zu wenige, um der malischen Armee im Kampf gegen Dschihadisten helfen zu können. Durch ihre Brutalität machen sie die Situation noch schlimmer, als sie ist."
Aber auch für den Westen sind die russischen Aktivitäten gefährlich. Mit dem geplanten Abzug der Bundeswehr aus der UN-Mission Minusma in Mali wird sich insbesondere im Norden des Landes die Lage weiter verschlechtern. Bereits nach dem Abzug der Franzosen habe der sogenannte Islamische Staat eine neue Offensive gestartet, berichtet Regionalexperte Laessing. Die Folge: Zehntausende von Maliern flohen nach Gao, weil die Präsenz der Bundeswehr dort noch etwas Sicherheit bot. "Sobald die Bundeswehr dort abzieht, werden die Menschen weiterziehen, vermutlich über die Grenze nach Niger und Algerien", sagt Laessing: "Beide Länder liegen an der Hauptmigrationsroute Richtung Mittelmeerroute. Europa dürfte von der neuen Krise in Mali direkt betroffen sein."
Grünen-Politikerin: Abzug wird für Menschen in Mali einen hohen Preis haben
Dass die Bundeswehr Mali verlässt, hält die Grünen-Vizevorsitzende und Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger trotzdem für richtig. "Es wird sich wahrscheinlich kein Staat finden lassen, der die wichtigen Hochwert-Fähigkeiten ersetzen kann, die die Bundeswehr gerade hier stellt", sagt sie t-online. So lieferten die Deutschen nicht nur Informationen über extremistische Aktivitäten, sondern böten allein durch ihre Präsenz auch Sicherheit. "Trotzdem ist auch klar: Man kann nicht um jeden Preis bleiben", so Brugger, die gerade von einer Reise nach Mali mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zurückgekehrt ist.
So könnten die Deutschen viele ihrer Fähigkeiten nicht mehr nutzen, weil die malische Regierung etwa die Genehmigung für Drohnenflüge zur Aufklärung nicht erteile: "Man sieht immer mehr, dass sich die malische Militärjunta für die Kooperation mit Russland entschieden hat. Das wird einen sehr hohen Preis für die Menschen, gerade im Norden von Mali, haben." Umso wichtiger sei es, dass Deutschland im benachbarten Niger und damit im Sahel präsent bleibe.
Bundesverteidigungsminister Pistorius hatte angekündigt, parallel zum Abzug aus Mali die deutsche Präsenz in Niger ausbauen zu wollen. So wie es viele westliche Staaten derzeit tun. Es ist der Versuch, eine weitere Ausdehnung des Terrors auf die Region und dem Griff Russlands nach dem Sahel etwas entgegensetzen zu können.
- Gespräche im Rahmen der Reise mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius nach Mali und Niger
- Bericht von Amnesty International über das Massaker von Moura: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/mali-sicherheitslage-exekutionen-russische-beteiligung-wagner-gruppe