86 Prozent der Stimmen ausgezählt Rechtsruck in Israel – Netanjahu liegt klar vorne
Lange hat Israels Oppositionsführer Netanjahu auf eine Rückkehr als Regierungschef hingearbeitet. Nun deutet alles auf ein erfolgreiches Comeback hin.
Nach der Parlamentswahl in Israel zeichnet sich ein klarer Sieg des rechtskonservativen Oppositionsführers Benjamin Netanjahu ab. Nach Auszählung von rund 86 Prozent der Stimmen konnte sich sein rechts-religiöses Lager israelischen Medienberichten zufolge eine Mehrheit von 65 der 120 Sitze im Parlament (Knesset) sichern.
Die Likud-Partei des 73-Jährigen, gegen den ein Korruptionsverfahren läuft, wurde nach Angaben vom Mittwoch stärkste politische Kraft mit 32 Parlamentssitzen. Die Zukunftspartei des liberalen Ministerpräsidenten Jair Lapid kam mit 24 Sitzen an zweiter Stelle.
Schicksalswahl für "Bibi"
Auf den dritten Platz schaffte es zum ersten Mal in der Geschichte Israels ein rechtsextremes Bündnis. Die Religiös-Zionistische Partei von Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir gilt als Königsmacher für Netanjahu.
Für Netanjahu, der den Spitzenamen "Bibi" trägt, war es politisch und persönlich eine Schicksalswahl: Eine rechtsreligiöse Regierung könnte ihm durch Gesetzesänderungen dabei helfen, seinem derzeit laufenden Korruptionsprozess zu entkommen. Er hatte das Bündnis von Smotrich und Ben-Gvir gezielt vermittelt und den Rechtsextremen damit zum Aufstieg verholfen. Ben-Gvir bekräftigte bei der Stimmabgabe am Dienstag, er wolle Minister für Innere Sicherheit werden.
Der 46-jährige Rechtsanwalt wurde in der Vergangenheit wegen rassistischer Hetze verurteilt und spricht sich unter anderem für die Deportation von Arabern aus, "die gegen den Staat Israel sind". Ihm wurde darüber hinaus immer wieder vorgeworfen, den Konflikt mit den Palästinensern gezielt anzuheizen. Zuletzt zog er bei Konfrontationen in Ostjerusalem selbst eine Waffe.
Hohe Wahlbeteiligung
Die linksliberale Meretz-Partei sowie die arabische Balad-Partei könnten dagegen ganz knapp an der 3,25-Prozent-Hürde scheitern. Das Endergebnis wird bis Donnerstag erwartet. Die Wahlbeteiligung war vergleichsweise hoch. Sie lag mit Schließung der Wahllokale um 21.00 Uhr (MEZ) am Dienstagabend bei 71,3 Prozent der rund 6,8 Millionen Wahlberechtigten.
Für Netanjahu wäre es das zweite Comeback auf den Posten des Regierungschefs. In Israels Geschichte war niemand länger im Amt als er. Der rechtskonservative Politiker war von 1996 bis 1999 Ministerpräsident, danach wieder durchgängig von 2009 bis 2021.
Israel befindet sich seit 2019 in einer Dauerkrise. Die vergangenen Wahlen hatten oft zu unklaren Mehrheitsverhältnissen geführt. Die aktuelle Acht-Parteien-Koalition unter Ministerpräsident Naftali Bennett war im Juni zerbrochen, nachdem sie nach nur zwölf Monaten ihre Mehrheit verloren hatte. Im Anschluss übernahm Außenminister Lapid den Posten des Regierungschefs.
Palästinenser fordern internationalen Schutz
Präsident Izchak Herzog werde am 9. November offiziell über das Endergebnis der Wahl informiert werden, teilte sein Büro am Mittwoch mit. Danach habe er bis zum 16. November Zeit, einen Kandidaten mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Dieser habe dafür 28 Tage Zeit, mit einer möglichen Verlängerung um weitere 14 Tage.
Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje bezeichnete den Rechtsruck als "natürliches Resultat des jahrelangen Anstiegs von Extremismus und Rassismus in der israelischen Gesellschaft". In einer Stellungnahme am Mittwoch sagte Schtaje: "Wir hatten keine Illusionen, dass die israelische Wahl einen Friedenspartner hervorbringen würde." Für ihn sei der Unterschied zwischen den verschiedenen israelischen Parteien "wie der Unterschied zwischen Pepsi-Cola und Coca-Cola".
Der palästinensische Ministerpräsident betonte, sein Volk werde den Kampf gegen die israelische Besatzung und für die Einrichtung eines unabhängigen Staates fortsetzen. Er rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, "unser Volk nach der Machtübernahme rassistischer Parteien in Israel gegen die aggressive israelische Politik zu schützen".
Israel hatte 1967 im Sechstagekrieg unter anderem das Westjordanland, Ost-Jerusalem und die Golanhöhen erobert. Die Palästinenser wollen sie für einen eigenen Staat Palästina – mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Der Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern liegt seit 2014 brach.
- Nachrichtenagentur dpa