Streit eskaliert weiter Polen spricht von "Erpressung" – EU droht mit Sanktionen
Der Streit zwischen der Europäischen Union und Polen spitzt sich zu: Kommissionschefin Ursula von der Leyen zieht weitere Konsequenzen in Betracht, Polen erhebt schwere Vorwürfe.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Polen wegen des Infragestellens von EU-Recht schwere Sanktionen angedroht. "Wir können und wir werden es nicht zulassen, dass unsere gemeinsamen Werte aufs Spiel gesetzt werden", sagte sie am Dienstag in einer Debatte mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki im Europaparlament in Straßburg. Die Kommission werde handeln.
Von der Leyen beschrieb drei nun gangbare Optionen der EU-Kommission. So könne die Entscheidung des Verfassungsgerichts zum einen mit einem Vertragsverletzungsverfahren geahndet werden, an dessen Ende Strafzahlungen stehen könnten. Zweite Option wäre die Einbehaltung von EU-Strukturhilfen für Polen. Drittens könnten Polen nach Artikel 7 des EU-Vertrags auch Stimmrechte entzogen werden.
Polen wirft EU Erpressung vor
Im Rahmen des Corona-Wiederaufbaufonds hat Polen Hilfen im Volumen von 23,9 Milliarden Euro und vergünstigte Kredite von 12,1 Milliarden Euro beantragt. Dass das Geld fließt, solange der Streit über die Rechtsstaatlichkeit anhält, gilt als unwahrscheinlich. Im Finanzrahmen von 2021 bis 2027 stehen Polen zudem rund 70 Milliarden Euro an EU-Kohäsions- und Strukturfonds zu.
Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki warf der EU "Erpressung" vor. "Ich bin nicht damit einverstanden, dass Politiker Polen erpressen wollen und Polen drohen", sagte der Ministerpräsident vor dem EU-Parlament. "Die Sprache der Bedrohungen und Erpressungen möchte ich zurückweisen." Diese sei zu einer Methode gegenüber einigen Mitgliedstaaten geworden, fügte Morawiecki hinzu.
"Unmittelbare Herausforderung"
Hintergrund der Drohungen von der Leyens ist ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Diese Entscheidung wird von der EU-Kommission als höchst problematisch angesehen, weil sie der polnischen Regierung einen Vorwand geben könnte, ihr unliebsame Urteile des EuGH zu ignorieren. Der Streit hat Befürchtungen ausgelöst, es könne zu einem Polexit kommen, einem Austritt Polens aus der EU.
Das Urteil stelle die Grundlagen der Europäischen Union infrage, kritisierte von der Leyen am Dienstag im Parlament. "Es ist eine unmittelbare Herausforderung der Einheit der europäischen Rechtsordnung. Nur eine gemeinsame Rechtsordnung ermöglicht gleiche Rechte, Rechtssicherheit, gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und daraus resultierend gemeinsame Politik."
Morawiecki verteidigte das Urteil des obersten Gerichts vor dem Straßburger Parlament und warf der EU vor, ihre Kompetenzen zu überschreiten. Den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beschuldigte er, "schleichend" die EU-Zuständigkeiten auszuweiten. Zugleich betonte er, sein Land wolle Mitglied der EU bleiben.
"Das volle Instrumentarium nutzen"
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, mahnte ein "klares Bekenntnis" zu den EU-Grundwerten und -prinzipien an. "Da gibt es keine Rabatte, da gibt es keine Spielräume", sagte der SPD-Politiker in Luxemburg. "Wir stehen an der Seite all derjenigen, die für Europa eintreten, und das ist die überwältigende Mehrheit der Polinnen und Polen."
Auch die SPD-Bundestagsfraktion fordert ein hartes Vorgehen der EU-Kommission. "Sollte sich an der Haltung der polnischen Regierung nichts substanziell ändern, muss die EU-Kommission das volle ihr zur Verfügung stehende Instrumentarium zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in der EU nutzen", sagte Fraktionsvize Achim Post der Nachrichtenagentur Reuters. Dazu gehöre in letzter Konsequenz auch die Kürzung von EU-Fördergeldern.
"Einer, der sich am meisten freut, ist Wladimir Putin"
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber rief Polen auf, sich wieder an die Prinzipien der Europäischen Union zu halten. "Es kann nicht sein, dass Gelder genommen werden, aber die Prinzipien, die dahinter stehen, die Ideen, die dahinter stehen, unsere Hausordnung im Hause Europas, dass die nicht mehr respektiert wird", sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) am Dienstag im ZDF-"Morgenmagazin". Dass Polen diese Hausordnung infrage stelle und nicht mehr respektiere, sei ein "indirekter Exit" aus der EU.
Mit dem Streit über Fragen der Rechtsstaatlichkeit beschädige sich die EU letztlich selbst. "Und einer, der sich am meisten freut, ist Wladimir Putin", sagte Weber. Der russische Präsident wolle den Rechtsstaat abbauen, wolle eine schwache Europäische Union. "Und deswegen müssen wir die polnischen Freunde auch fragen: Ist das wirklich eure Intention? Oder wollen wir nicht zusammenhalten, um gemeinsam die Aufgaben unserer Zeit zu bewältigen?", fragte Weber.
Die nationalkonservative PiS-Regierung baut das Justizwesen in Polen seit Jahren um. Kritiker werfen ihr vor, Richter unter Druck zu setzen und ihrer Unabhängigkeit zu berauben. Die EU-Kommission hat deshalb mehrere Verletzungsverfahren gegen Warschau eingeleitet. Zum Teil erklärte der Europäische Gerichtshof die Reformen für rechtswidrig. Erwartet wird, dass das Thema beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag eine Rolle spielen wird. Polen wird in seiner Haltung vor allem von dem ebenfalls national-konservativ regierten Ungarn unterstützt.
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP und reuters