Kritik an EU-Handelsvertrag "Das Abkommen würde ein Klima-Chaos entfesseln"
Nach andauernder Rodung des Regenwaldes steht nun ein Freihandelsabkommen ohne Klimaschutz zwischen EU und Südamerika – unterschrieben ist es noch nicht. Experten sind über den Inhalt empört.
Was der Whistleblower da lieferte, verstört Klimaaktivisten und -politiker gleichermaßen: Die geplante größte Freihandelszone der Welt zwischen der EU und Südamerika soll offenbar ohne klare Regeln bei Verstößen gegen Öko-Auflagen auskommen. Und das in einer Zeit, in der Europa sich mit seinem "Green Deal" gerade besonders ehrgeizige CO2-Ziele gegeben hat – aber die Sorgen um eine weitere Abholzung des Amazonas-Regenwalds nicht ausgestanden sind.
Greenpeace veröffentlichte am Freitag ein brisantes Papier. Es ist eine Vorabversion des Assoziierungsabkommens zwischen den beiden Handelsblöcken. Die Quelle blieb anonym – die Umweltschützer versicherten, das ihnen zugespielte Material sei authentisch. Nicht nur sie sprechen von einem Versäumnis, das in einem fertigen Abkommen mit Mercosur klimapolitisch kaum tragbar wäre. Auch EU-Parlamentarier und einige EU-Staaten sehen den seit Jahren verhandelten Vertrag mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay auf wackligen Füßen.
Im Entwurf – nur ein erhobener Zeigefinger
Kern der Kritik: Der Entwurf enthalte keine wirksamen Vorgaben, wie die Parteien Verletzungen von Klimaschutz-Zusagen ahnden. Es gebe "keine Sanktionsklauseln, die EU- und Mercosur-Länder verpflichten, den Klima- oder Umweltschutz zu beachten", moniert Greenpeace. Im Text finden sich Appelle für Informations- und Erfahrungsaustausch, Einhaltung nationaler Verpflichtungen – aber keine Maßnahmen, um die teilnehmenden Länder bei Zuwiderhandlung zur Verantwortung zu ziehen.
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Es geht um viel. Nach dem Scheitern der transatlantischen Freihandelszone TTIP, dem von US-Präsident Donald Trump befeuerten Protektionismus und dem Gegenwind bei ihrem Ceta-Abkommen mit Kanada will die EU endlich einen Erfolg verbuchen. Durch Abbau von Zöllen, gegenseitige Anerkennung von Standards sowie weitere Erleichterungen soll der Handel zwischen Europa und Südamerika angeschoben werden. Unternehmen und Verbraucher sollen am Ende Milliarden sparen.
Klimaschutz – kein "nice-to-have"
Die Realität sieht für die Kritiker anders aus. Die Umweltfolgen von immer mehr Handelswachstum müsse man nicht nur eindämmen, sondern die Missachtung von Schutzmaßnahmen bestrafen. Führen mehr Rindfleisch- oder Sojaexporte zu mehr Brandrodungen, um Weideflächen zu gewinnen? "Das Abkommen würde die Zerstörung des Amazonas beschleunigen, ein Klima-Chaos entfesseln und zahllose Arten auslöschen", glaubt Jürgen Knirsch von Greenpeace. Er fordert, den Text zu verwerfen: "Im 21. Jahrhundert müssen internationale Vereinbarungen den Schutz von Mensch und Natur in ihrem Kern tragen." Das sei kein "nice-to-have".
Klimaschutz nur als Feigenblatt? Dem Papier zufolge "begrüßen" die Vertragsparteien zwar das Pariser Abkommen und wollen dessen "zügige Umsetzung". Auch wird "die globale Bedrohung durch den Klimawandel" anerkannt, weshalb man "so weit wie möglich" zusammenarbeiten müsse. Doch was im Fall von Abweichungen geschieht, bleibt zunächst offen.
Die Forderung: neue Verhandlungen
Gerade erst hatten sich zahlreiche Abgeordnete des Europaparlaments gegen die Ratifizierung gesperrt. Die Grüne Anna Cavazzini erklärte: "Die Lage im brennenden Amazonas hat bei der Abstimmung eine wichtige Rolle gespielt." Es müsse neue Verhandlungen geben, "um den Green Deal vollständig in das Mercosur-Abkommen zu integrieren, mit sanktionierbaren Umwelt- und Menschenrechtsstandards".
Soll heißen: Die EU-Kommission sei gefragt. In kaum einem Bereich hat sie mehr zu sagen als in der gemeinsamen Außenhandelspolitik. Sie vertritt die EU auch in der Welthandelsorganisation (WTO), die sich ebenfalls eine grüne Agenda gegeben hat, aber zuletzt chronisch schwach aussah und wiederholt unter Sperrfeuer aus den USA litt.
Die Brüsseler Behörde muss den abschließenden Entwurf zur Annahme an die EU-Staaten weiterleiten, ehe er ins Parlament kommt. Aus der Kommission hieß es, man wolle die "geleakte" Fassung unkommentiert lassen. Der neue Handelskommissar Valdis Dombrovskis hatte schon Zweifel durchblicken lassen. In manchen nationalen Regierungen war der Widerstand gegen das Mercosur-Abkommen ebenfalls gewachsen.
Zweifel und Veto gegen das Abkommen
Kanzlerin Angela Merkel meinte mit Blick auf die anhaltende Abholzung unter Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, eine Unterzeichnung sei unter den aktuellen Umständen kein gutes Signal. Frankreich legte sein Veto ein. Österreichs Vizekanzler sieht mit dem Greenpeace-Leak seine Befürchtung bestätigt, "dass Klima- und Umweltschutz bei Mercosur ins Hintertreffen gerät". Außerdem werde die Auslegung wichtiger Fragen an Parlamenten vorbei in internen Zirkeln beraten.
Weitere kritische Punkte gibt es ohnehin. So fürchten Europas Bauern, dass eine Öffnung gegenüber Südamerika die EU mit Billigprodukten überschwemmt. Umgekehrt könnte aber auch subventionierte Agrarexporte von hier Erzeuger im Süden aus dem Markt treiben. Die Industrie will das Abkommen: Es biete eben die Chance, Klimastandards durchzusetzen. Der frühere EU-Handelskommissar Phil Hogan sah das auch so. Wie es allerdings kontrolliert werden kann, daran scheiden sich die Geister.
Eine Brasilien-Reise soll die EU umstimmen
Der brasilianische Vizepräsident Hamilton Mourão, auch Koordinator des Amazonas-Rates, hatte auf die Ablehnung des Vertragsentwurfs durch viele Abgeordnete des Europaparlaments hin gesagt, dass sehr viel "Lärm" bei der Entscheidung dabei sei. Es sei alles eine Frage der Diplomatie. "Lassen wir es ruhig angehen." Er sieht in den Umweltbedenken einen Vorwand, um das Abkommen abzulehnen.
Tatsächlich würden wirtschaftliche Interessen dahinterstecken. "Die Agrarlobby und die Grünen Parteien in Europa sind sehr stark, in einigen europäischen Ländern stehen Wahlen an", sagte Mourão. Er gehe davon aus, dass die Entscheidung noch geändert werden kann. Dazu soll eine Reise mit europäischen Botschaftern in Brasilien in das Amazonas-Gebiet beitragen, die für November angepeilt ist.
- Nachrichtenagentur dpa