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Konflikt um Bergkarabach: Hier erleben Sie einen historischen Moment


Meinung
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Krieg um Bergkarabach
Hier erleben Sie einen historischen Moment

MeinungEine Kolumne von Martin Sonneborn

Aktualisiert am 07.10.2020Lesedauer: 3 Min.
Martin Sonneborn kritisiert das mangelnde Engagement der EU im Bergkarabach-Konflikt.Vergrößern des Bildes
Martin Sonneborn kritisiert das mangelnde Engagement der EU im Bergkarabach-Konflikt. (Quelle: snapshot/imago-images-bilder)
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In Bergkarabach fallen die Bomben – und die EU macht die Augen zu. Dabei könnte sie was tun, wenn sie wollte. Will sie aber nicht. Also übernehme ich das. Eine satirische Kolumne von Martin Sonneborn.

Meine Damen und Herren, halten Sie sich fest, Sie werden jetzt Zeuge eines Augenblicks von weltgeschichtlicher Bedeutung, und das hier auf t-online: Als inoffizieller Sprecher des Europäischen Parlaments erkenne ich hiermit die Republik Arzach – Sie kennen sie unter dem Namen Bergkarabach – offiziell an. Tuschtätätbumm! Die Feierlichkeiten holen wir nach dem Wiederaufbau der Städte nach, die gerade vor unseren Augen von Drohnen aus Aserbaidschan in Schutt und Asche gelegt werden.

Zweimal war ich vor Ort und habe diese kleine demokratische Gelehrtenrepublik schätzen gelernt. Mehr als ein Viertel des gut dreißigköpfigen Parlaments besteht aus Professoren, die Verfassung hat vor rund 25 Jahren ein deutscher Jurist nach dem Vorbild unseres Grundgesetzes geschrieben. (Allerdings hat er ein paar Kleinigkeiten verbessert: So ist es in Arzach den Abgeordneten nicht erlaubt, dotierte Nebentätigkeiten auszuüben, ausgenommen Kunst und Wissenschaft. Das wünschte ich mir auch für den deutschen Bundestag, Smiley!)

Liebenswerte Menschen und ein Schulfach namens "Schach"

Arzach ist eine Oase der Demokratie in einer Wüste aus lauter unseriösen Autokratien. Mit liebenswerten, friedfertigen Menschen, einem Schulfach namens "Schach" (nicht abwählbar) und einem zu guten Maulbeerschnaps, der lebensverlängernd wirken soll.



Martin Sonneborn (55) ist Satiriker, Journalist und Politiker. Er ist Bundesvorsitzender der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die Partei) und seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments.

Mit Aserbaidschan dagegen verbindet mich ganz herzlich die Tatsache, dass ich dort auf der Schwarzen Liste stehe (seit meinem Arzach-Besuch). Damit ist der sympathische Kaputtnik-Staat (Platz 146 von 167 im Demokratieindex), den Diktator Aliyev von seinem Vater geerbt hat und in dem seine Ehefrau seine stärkste Opposition darstellt, für mich als Urlaubsland gestorben. Schade eigentlich, Aserbaidschan ist bekannt dafür, Hunderte von Millionen an westliche Politiker und Journalisten auszuschütten, um sie bei der Bildung einer objektiven Meinung zu unterstützen. Huhu, Karin Strenz, MdB, CDU! Huhu, Lintner von der CSU!

Selbstbestimmungsrecht oder stalinistische Grenzlinien?

Über 25 Jahre hatte die EU Zeit, den eingefrorenen Konflikt, in dem es immer wieder zu Kampfhandlungen kam, zu befrieden.

Die scheinbare Kollision zweier gleichwertiger Grundrechte des Völkerrechts – das Selbstbestimmungsrecht der Bergkarabach-Armenier und die territoriale Integrität Aserbaidschans, das Anspruch auf das Gebiet erhebt – stellt eine scheinbar schwer aufzulösende Konfliktsituation.

Meiner Ansicht nach ist die Kernfrage, ob man sich wirklich auf eine von Stalin (schnauzbärtiger Schurke; vgl. Google, Seite 377 ff.) willkürlich und aus eigenem machtpolitischem Kalkül 1921 vorgenommene Grenzziehung berufen will, um ein an westlichen Werten orientiertes Staatsgebilde wie Arzach unter die Herrschaft eines korrupten Autokraten zurückzuzwingen.

Durch den fortwährenden Beschuss der Zivilbevölkerung mit Drohnen und verbotenen Streubomben und die planmäßige Zerstörung sämtlicher Infrastruktur (Stichwort: verbrannte Erde) bleibt mir nur die Anerkennung der Republik Arzach, um ihre verbleibenden Reste unter den symbolischen Schutz der Völkergemeinschaft zu stellen, der ihr bisher versagt geblieben ist.

Frau Merkel, (ver-)handeln Sie!

Hinter dem ganzen Schlammassel steckt übrigens nicht nur der aserbaidschanische Diktator Aliyev, der wegen des gesunkenen Erdölpreises innenpolitisch unter massivem Druck steht. Sondern unser alter Nato-Freund und Waffenbruder Erdogan, ein autokratischer, bellizistischer und expansionsbestrebter Kollege, der seit Jahren nichts anderes tut als Provokation an Provokation und Destabilisierung an Destabilisierung zu reihen. Und seine Soldaten und dschihadistischen Söldner mittlerweile an fünf Fronten zum Einsatz bringt.

Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war die EU trotz aller Pressemitteilungen zur Beteuerung des Gegenteils weder eine militärische noch eine politische Macht. Aber sie hat einen durchaus effektiven Hebel zur Hand: ihre Wirtschaft.

Die EU-Importe aus der Türkei beliefen sich 2019 auf gigantische 69,780 Mio. Euro, das sind ungefähr die Hälfte (45,66 Prozent) der Gesamtexporte der Türkei (152,835 Mio. Euro). Ganze 10 Prozent ihrer Ausfuhr werden Türken allein von Deutschland abgenommen. Also, ich weiß ja nicht, wie SIE so etwas nennen. Ich nenne es ein überzeugendes Verhandlungsangebot. (Ver-)handeln Sie, Frau Merkel! Sonst reicht der gesamte Maulbeerschnapsvorrat Arzachs nicht, um die Menschen dort am Leben zu halten.

PS: Fun-Fact für EU-Nerds: Viele Medien haben das Narrativ der deutschen Regierung übernommen und Zypern dafür gedisst, dass es die Sanktionen gegen Weißrussland "blockiert" hätte. Eigentlich war ausweislich des Abschlussberichtes der Außenministerkonferenz die Prüfung von Sanktionen in gleichem Maße gegen Weißrussland wie die Türkei vorgesehen. Deutschland als Ratspräsident legte aber einen Vorschlag vor, in dem lediglich Sanktionen gegen Weißrussland umgesetzt werden sollten unter Ausklammerung von Sanktionen gegen die Türkei. Entscheiden Sie selbst, wer hier nicht sauber gespielt hat. ZwinkerSmiley!

Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft reflektiert Martin Sonneborn für t-online.de auf satirische Art und Weise die Geschehnisse in der belgischen Hauptstadt. In seiner Kolumne blickt der 55-Jährige dabei auf das große Ganze – auf seine eigene Art.

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