Ein Jahr nach dem entscheidenden Gipfel Die EU-Asylverschärfung ist gescheitert
Wegen des Asylstreits zwischen CDU und CSU wäre die große Koalition 2018 fast zerbrochen. Daraufhin wurden auf EU-Ebene zahlreiche Änderungen beschlossen – eine Luftnummer, wie sich jetzt zeigt.
Rettungsschiffe, die tagelang übers Mittelmeer irren, weil Italien oder Malta ihnen die Einfahrt in ihre Häfen verweigern. Tödliche Unfälle mit Migrantenbooten. Schacherei über die Aufnahme jedes einzelnen Geretteten unter den EU-Staaten – die europäische Flüchtlingspolitik im Sommer 2019.
Anfang September wollen Deutschland und andere Länder einen neuen Reformversuch unternehmen. Es wäre nicht der erste: Vor rund einem Jahr vereinbarte die Bundesregierung mit Spanien das erste Abkommen zur Rücknahme von Migranten von der deutschen Grenze.
Was ist aus den Gipfel-Beschlüssen von 2018 geworden?
Und beim Brüsseler EU-Gipfel im Juni vorigen Jahres wurde eine ganze Reihe an Vorhaben vereinbart – auch um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu helfen, die im innenpolitischen Asylstreit mit der CSU schwer unter Druck stand. Was ist daraus geworden?
Bilaterale Abkommen: Am 11. August 2018 trat eine Vereinbarung zwischen Deutschland und Spanien zur Rücknahme dort schon registrierter Asylbewerber in Kraft. Wenig später folgte eine ähnliche Vereinbarung mit Griechenland.
Demnach sollen beide Länder Migranten, die an der deutschen Grenze aufgegriffen werden, binnen 48 Stunden zurücknehmen – vorausgesetzt, die Migranten haben dort schon einen Asylantrag gestellt.
Ein vergleichbares Abkommen mit Italien stehe ebenfalls, verkündete Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) einen Monat später – nur hat Italien bis heute nicht unterschrieben. Gerade einmal 31 Zurückweisungen hat es seither (Stand 5. August 2019) gegeben, 29 davon nach Griechenland, nur zwei nach Spanien. Das teilte das Bundesinnenministerium der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mit.
Sammellager innerhalb und außerhalb der EU: Nach dem Willen von Merkel und Seehofer sollten Zentren innerhalb und außerhalb der EU entstehen. Dort sollte jeweils darüber entschieden werden, ob gerettete Migranten ein Anrecht beziehungsweise Aussicht auf internationalen Schutz haben.
In Europa hat sich bislang allerdings kein Staat dazu bereiterklärt, eine solche Einrichtung zu eröffnen. Gleiches gilt für die sogenannten Ausschiffungsplattformen, die in Drittstaaten – etwa in Nord- oder Westafrika – entstehen sollten.
Mehrere Länder wiesen eine solche Idee zurück. An diesem Kurs hat sich bis heute nichts geändert. Die EU-Kommission, die die möglichen Zentren in Afrika prüfen sollte, teilte auf Anfrage zuletzt mit, keine neuen Informationen dazu zu haben.
Frontex-Aufstockung: Laut Gipfel-Beschluss sollte die EU-Grenzschutzagentur Frontex aufgestockt werden und deutlich mehr Befugnisse bekommen. Kurz danach schlug die EU-Kommission eine Aufstockung bis 2020 um 8.500 Einsatzkräfte auf 10.000 vor.
EU-Staaten und Europaparlament wollten sich dann aber doch bis 2027 Zeit dafür lassen. Die designierte Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen (CDU), forderte jüngst einen Ausbau bis spätestens 2024.
Alles andere als ein Erfolg
Der Migrationsgipfel im Sommer 2018 ist also alles andere als ein Erfolg. Migrationsforscher Gerald Knaus, der das EU-Türkei-Abkommen mitentwickelt hat, zeigt sich davon nicht überrascht: "Es war von vornherein absehbar, dass diese Ergebnisse sich in eine ganze Reihe europäischer Symbolpolitik einordnen."
Grundsätzliche Fragen seien damals nicht geklärt worden: Welche Partner brauche die EU, um die Ideen umzusetzen? Und mit welchen Mitteln können diese Partnerschaften erreicht werden?
Welche Lösungen sind heute denkbar?
Über mögliche Zentren in Europa wird noch immer diskutiert. Seehofer beschreibt die Gespräche allerdings als "ganz, ganz, ganz schwierig". Länder wie Malta würden sich nur dann zu einer vorläufigen Aufnahme von Migranten bereit erklären, wenn sie sicher sein können, dass andere Länder ihnen die Geretteten zeitnah abnähmen. Knaus meint, die Migranten sollten in diesen Zentren Asylanträge stellen, die zügig bearbeitet würden.
Zudem müssten Einigungen mit afrikanischen Staaten erzielt werden, die sich bereit erklären, Menschen ohne Asylaussicht zeitnah zurückzunehmen. Er nennt Marokko, Tunesien oder Gambia als Kandidaten. Bei der Rücknahme ihrer Bürger stellen sich einige Herkunftsländer bislang aber quer.
EU muss Partnerschaften mit anderen Ländern etablieren
"Im Gegenzug müssten wir diese Länder zu strategischen Partnern für die nächsten 20 Jahre machen", sagt Knaus. Er fordert deutlich mehr Einsatz der EU für solche Partnerschaften. Ziel müsse sein, etwa Marokko zu einem sicheren Land für abgelehnte Migranten zu machen und als Anreiz Visafreiheit für marokkanische Touristen zu gewähren.
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Zudem könnten legale Ausbildungsmöglichkeiten für Menschen aus diesen Ländern garantiert werden. Eine rasche Bearbeitung der Asylanträge und eine schnelle Abschiebung machten die Reise nach Europa für Migranten weniger attraktiv. "Lösungen sind möglich", sagt Knaus. "Aber der Fortschritt in der Diskussion ist viel zu langsam."
- Nachrichtenagentur dpa