Das "Sankt-Florians-Prinzip" In der EU überlässt man Flüchtlinge lieber den anderen
Außenminister Maas fordert ein Bündnis der Hilfsbereiten zur Verteilung von Flüchtlingen – über eine "Koalition der Aufnahmewilligen" wird jedoch schon seit Jahren diskutiert. Warum scheiterte das Vorhaben bisher?
Seit Jahren streitet die EU über die Flüchtlingsrettung im Mittelmeer. Hier gilt für die meisten EU-Staaten das Sankt-Florians-Prinzip: Sie überlassen die Flüchtlingsaufnahme lieber den anderen. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat am Wochenende ein "Bündnis der Hilfsbereiten für einen verbindlichen Verteilmechanismus" vorgeschlagen, an dem sich auch Deutschland beteiligen wolle. Ganz neu sind solche Überlegungen aber nicht.
Warum ist die Verteilung der Flüchtlinge so schwierig?
Nach dem bisher geltenden EU-Recht müssen Flüchtlinge ihren Asylantrag in dem Land stellen, in dem sie als erstes europäischen Boden betreten. Dies führte in der Flüchtlingskrise zu einer massiven Überlastung der Hauptankunftsländer Italien und Griechenland. Eine EU-weite Umverteilung scheiterte insbesondere am Widerstand osteuropäischer Staaten. Sie lehnen eine Flüchtlingsaufnahme kategorisch ab und warnen vor einer "Sogwirkung", wenn die EU Kontingente für die Flüchtlingsaufnahme beschließt.
Kann die EU die Aufnahme nicht erzwingen?
Das haben Deutschland und Frankreich bereits 2015 versucht. Per Mehrheitsbeschluss entschieden die EU-Innenminister auf Druck von Berlin und Paris damals, über zwei Jahre 120.000 Flüchtlinge auf alle EU-Länder zu verteilen. Länder wie Ungarn oder Polen nahmen aber nicht einen einzigen Flüchtling auf, letztlich wurden nur gut 31.000 Menschen umverteilt. Auch die Versuche, das EU-Asylrecht zu ändern, scheiterten vor allem an der Verteilungsfrage.
Welche Erfolgsaussichten hätte eine freiwillige Koalition aufnahmebereiter Länder?
Über eine "Koalition der Aufnahmewilligen" wird schon seit 2016 diskutiert. Deutschland hoffte anfangs auf rund 20 der 28 EU-Staaten, die sich regelmäßig an der Aufnahme geretteter Flüchtlinge beteiligen. Doch zuletzt waren es nur zwischen vier und sechs, darunter meist Deutschland, Frankreich und Portugal und je nach Lage auch Finnland, Irland oder Luxemburg. Nur eine kleine Anzahl von Staaten sei noch bereit, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, hieß es kürzlich von einem EU-Diplomaten. Dabei sei die Zahl der Menschen, die gerettet werden, eigentlich nicht mehr sehr hoch.
Warum hat die EU ihre Seenotrettung eingestellt?
Die EU hatte vor Libyen zwischen Juni 2015 und März 2019 mit ihrer Marine-Mission "Sophia" rund 45.000 Flüchtlinge aus Seenot gerettet. Seit ihrem Amtsantritt im Juni 2018 kritisierte die neue rechtspopulistische Regierung in Rom den Einsatz aber massiv. Sie verlangte, dass aufgenommene Flüchtlinge nicht mehr automatisch nach Italien gebracht werden und drohte mit der Sperrung ihrer Häfen.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) warf der italienischen Einsatzführung bald vor, die "Sophia"-Schiffe nur noch weitab der Flüchtlingsrouten zu stationieren. Aus Seenot wurden kaum noch Menschen gerettet. Deutschland und andere Länder zogen sich daraufhin aus der Mission zurück, die nun über kein einziges Schiff mehr verfügt.
- Migration: Maas kündigt Initiative für Verteilung von Flüchtlingen an
- Proteste in Paris: Hunderte Migranten besetzen Panthéon
- Großbritannien: Johnson stolpert über Wissenslücken zu Brexit-Plan
Was passiert mit geretteten Menschen?
Italien will keine Flüchtlingsschiffe in seine Häfen lassen, solange nicht klar ist, dass alle Flüchtlinge an Bord von anderen EU-Staaten aufgenommen werden. Dafür gibt es bis heute keine feste Regelung. Dies zeigte sich jüngst auch bei den Schiffen von deutschen Hilfsorganisationen, die mit aufgenommenen Migranten oft tagelang auf hoher See ausharren mussten. Denn die EU-Kommission muss bei jedem ankommenden Schiff aufs Neue versuchen, Regierungen zu finden, die sich zur Aufnahme bereit erklären.
- Nachrichtenagentur AFP