"Nützliche Idioten" Orban beleidigt EVP-Kritiker – kündigt neue Kampagne an
Mit seinen Anti-Juncker-Plakaten hat Ungarns starker Mann übers Ziel geschossen. In den eigenen Reihen der EU-Konservativen empfindet man ihn als immer untragbarer. Doch Orban hat schon die nächsten Plakate in petto.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat seine Kritiker unter den europäischen Christdemokraten als "nützliche Idioten" der Linken bezeichnet. "Während sie einen geistigen Kampf zu führen glauben, dienen sie den Machtinteressen anderer, ja denen unserer Gegner", sagte Orban der "Welt am Sonntag". In Wirklichkeit käme aber der Angriff von links. "Nicht um uns, sondern um die EVP zu schwächen." Zugleich kündigte Orban an, eine Plakatkampagne gegen Brüssel fortzusetzen. Der Europapolitiker Elmar Brok (CDU) warf Orban "Realitätsverlust" vor, sein Verhalten sei eine "Lachnummer", sagte er der "Welt".
Der rechts-nationale ungarische Regierungschef steht in seiner eigenen Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei (EVP), schwer in der Kritik, seitdem er sein ganzes Land mit Anti-Brüssel-Plakaten überziehen ließ. Sie zeigen den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und den liberalen US-Milliardär ungarischer Herkunft, George Soros, in unvorteilhafter Pose. Darunter stehen Behauptungen, die suggerieren, die beiden wollten illegale Migration nach Europa fördern. Die EU-Kommission hatte diese Behauptungen mehrfach Punkt für Punkt widerlegt.
Brok: "Orban schadet der EVP massiv"
Brok forderte Orban auf, die Plakataktion gegen Juncker und Soros sofort zu beendet. Er erwarte zudem, dass sich Orban entschuldige für seinen Fehler, sagte er der "Welt". Brok weiter: "Orban schadet der EVP massiv." Die EVP müsse weiter ernsthaft über einen Ausschluss von Orbans Fidesz-Partei beraten. EVP-Vizechef David McAllister (CDU) sagte der Zeitung: "Die jüngsten Plakataktionen sind ein Tiefpunkt."
An die zehn EVP-Mitgliedsparteien verlangen den Ausschluss von Fidesz. Die Unionsparteien CDU und CSU, die die Plakate gleichfalls scharf verurteilt hatten, sind allerdings nicht darunter. Im "Welt am Sonntag"-Interview bezeichnete Orban den theoretisch möglichen Ausschluss seiner Partei als "keine rationale Alternative". Dies würde aus seiner Sicht nur den Gegnern der EVP dienen.
Neue Kampagne gegen den Vizechef Timmermans geplant
Zugleich kündigte der ungarische Regierungschef eine weitere Anti-Brüssel-Kampagne an, diesmal gegen den Vizechef der EU-Kommission, Frans Timmermans. "Herr Juncker geht in Rente, und an seine Stelle kommt Herr Timmermans", sagte Orban. Die Kampagne gegen Juncker endet am 15. März, wie Orbans Regierungssprecher Zoltan Kovacs am Samstag mitteilte.
Der Niederländer Timmermans ist Spitzenkandidat der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) für den Posten des Kommissionspräsidenten. Wie Orban weiter ausführte, werde auch Timmermans auf den neuen Plakaten zusammen mit George Soros abgebildet sein. Auf den aktuellen Darstellungen mit Juncker wirkt der aus Ungarn stammende Holocaust-Überlebende wie ein dämonischer Einflüsterer des EU-Kommissionschefs.
"Die Rolle von Soros für die europäische Politik kann nicht übergangen werden, und ein jeder hat das Recht darauf zu erfahren, dass Timmermans eingestandenerweise sein Verbündeter ist", behauptete Orban weiter. Tatsächlich hat Soros in den vergangenen Jahrzehnten mit Milliardensummen zahlreiche humanitäre, soziale, wissenschaftliche und künstlerische Vereine und Initiativen unterstützt. Darunter sind auch solche, die sich für Menschenrechte und für Asylsuchende einsetzen.
Die Unionsparteien empfinden die feindselige Kampagne gegen Juncker, der als Spitzenkandidat der EVP zum Kommissionspräsidenten gewählt worden war, als Belastung für ihre eigenen politischen Ambitionen. EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) möchte nach der Europawahl im Mai Junckers Nachfolge antreten. Am letzten Dienstag hatte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer den Fidesz-Vizechef und Orban-Vertrauten Gergely Gulyas in Berlin zu einem informellen Gespräch empfangen. In der "Welt am Sonntag" bezeichnete Orban dieses Treffen als Teil eines "strukturierten Dialogs" zwischen CDU und Fidesz, der dazu da sei, um "zu klären, in welchen Fragen wir übereinstimmen und in welchen nicht".
Orban: Streitthema Migration ist "nicht überbrückbar"
Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger rief die EVP-Parteien auf, ihre verschiedenen Standpunkte nicht öffentlich auszutauschen, sondern in Gremien. "Dort muss man klären, ob die gemeinsamen Schnittmengen ausreichen", sagte Oettinger den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Entscheidend sei das Wahlprogramm der EVP für die Europawahl. "Die Fidesz-Partei von Viktor Orban ist eingeladen, dieses Programm mitzutragen. Nur auf dieser Basis ist eine gemeinsame Arbeit möglich", sagte Oettinger.
Milde Worte fand Orban in dem Interview für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), deren Flüchtlingspolitik er in der Vergangenheit massiv kritisiert hatte. "Wir waren natürlich nicht in allen Fragen einer Meinung, vor allem nicht beim Thema Migration. Aber diese Kanzlerin hat entscheidend dazu beigetragen, Europa zusammenzuhalten", sagte er. Merkel hatte nicht nur den CDU-Vorsitz an Kramp-Karrenbauer abgegeben, sondern auch angekündigt, keine weitere Kanzlerschaft mehr anzustreben. "Vorerst dominiert in mir das Gefühl eines großen Verlustes", sagte Orban.
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Die Unterschiede beim Thema Migration sind aus Sicht von Orban nicht überbrückbar, aber man könne sie managen. Orban schlägt vor, dass sich nicht länger die EU-Kommission, sondern ein von den Innenministern der Schengen-Staaten gebildetes Gremium damit beschäftigt. Fragen, die die gesamte Schengen-Zone für den freien Personenverkehr beträfen, sollten entschieden werden, "wie dies Fachleute machen, und nicht so, wie die Politiker".
Geteiltes Echo in großer Koalition auf Orbans Vorschlag
Orbans Vorschlag zur Bildung eines Innenministerrats der Schengen-Zone stiess in der großen Koalition auf ein geteiltes Echo. Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster sagte der "Welt", angesichts von Problemen bei der Migrationspolitik sei Orbans Vorstoß "ein angemessener und richtiger Vorschlag". Der ungarische Ministerpräsident habe "hier auch mal einen Punkt gemacht."
"Die Umsetzung der Schengen-Standards birgt immer noch erhebliche Schwachstellen, und an einem gemeinsamen europäischen Asylsystem mangelt es weiterhin", sagte Schuster. Die Menschen würden das Vertrauen in das "europäische Sicherheitsversprechen" verlieren.
Scharfe Kritik an Orban kam dagegen von der SPD. "Der Vorschlag ist nichts anderes, als europäische Lösungen vornherein unmöglich zu machen und europäische Institutionen zu schwächen", sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, der "Welt".
Man brauche nicht neue Hinterzimmerrunden, sondern den politischen Willen, in Fragen der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik zu tragfähigen Kompromissen zu kommen. "Das scheint offensichtlich mit Orban nicht möglich zu sein."
Lischka forderte die Union in der "Welt" auf, den Regierungschef zu ignorieren. "Herr Orban modernisiert seit Jahren mit Milliardenbeträgen der EU sein Land und führt gleichzeitig einen Kreuzzug gegen europäische Partner, Institutionen und Werte. Deshalb: Lasst ihn endlich links liegen, statt ihn zu hofieren."
- Nachrichtenagenturen dpa und afp