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So erlebt ein Brite in Berlin den Brexit


"Ich bin Deutschland dankbar"
So erlebt ein Brite in Berlin den Brexit

Protokoll von Ana Grujic

14.11.2018Lesedauer: 4 Min.
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Graham Wetherall: Der Brite lebt seit fast vier Jahren in Deutschland und möchte seine neue Heimat nicht verlassen.Vergrößern des Bildes
Graham Wetherall: Der Brite lebt seit fast vier Jahren in Deutschland und möchte seine neue Heimat nicht verlassen. (Quelle: getty images/t-online.de)

Graham Wetherall kommt aus Großbritannien und lebt seit fast vier Jahren in Berlin. Für ihn ist der Brexit eine einzige Unsicherheit. Nun will er die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen.

Im Folgenden der Bericht von Graham Wetherall, protokolliert von Ana Grujic:

Ich bin Brite, lebe aber seit fast vier Jahren als Übersetzer in Berlin. Eigentlich habe ich Internationale Beziehungen und Philosophie studiert. Nach Berlin bin ich dann wegen meiner Doktorarbeit gekommen. Für die habe ich auch Deutsch gelernt, im Zentrum meiner Arbeit stehen deutsche Philosophen. Die Dissertation schreibe ich neben meiner Übersetzertätigkeit immer noch.

Wut über Brexit-Votum

Als die Entscheidung für den Brexit gefallen ist, war ich schockiert. Meine Freundin hat es mir morgens beim Kaffee erzählt und ich dachte, sie macht einen Scherz. So unmöglich war es für mich, dass Menschen sich für einen Ausstieg aus der EU entscheiden könnten. Aber es ist wirklich passiert: Die Menschen in Großbritannien haben sich entschieden, die EU zu verlassen.

Danach war ich eine Zeit lang sehr wütend. Auch auf meine Familie: Einige Verwandte hatten für den Brexit gestimmt, obwohl sie wussten, dass ich in Berlin lebe und von einem Ausstieg Großbritanniens unmittelbar betroffen wäre.

Niemand weiß, wie es weitergeht

Natürlich kann es sein, dass sich nichts oder nur sehr wenig für mich ändert. Es ist aber frustrierend, dass niemand Auskunft geben kann, was passieren wird. Nicht mal die Parteien, die Kampagnen für den Brexit gemacht haben, scheinen wirklich zu wissen, wie das konkret ablaufen soll.

Heute scheint der Brexit in der britischen Politik vor allem eine Möglichkeit, mit den Ängsten der Menschen zu spielen. Viele Statements und Entscheidungen zielen darauf, die Anti-EU-Ressentiments dieser Menschen weiter zu befeuern. Was mir in dieser Debatte fehlt, ist ein Fokus auf Fakten. Das bedeutet auch: Den Fokus auf die tatsächlichen Folgen eines Brexits zu legen, statt auf irrationale Ängste gegenüber der EU. Die realen Auswirkungen eines EU-Austritts scheinen aber bei keiner Partei Priorität zu haben. Das finde ich zum einen unverantwortlich, zum anderen aber auch undemokratisch. Es war schließlich nur eine knappe Mehrheit für den Brexit.

Brexit wird nie vorbei sein

Seit die Entscheidung für den Brexit gefallen ist, ist das Schlimmste für mich diese Ungewissheit, und das Gefühl, dass der Brexit nie wirklich vorbei sein wird. Denn selbst wenn in den nächsten Monaten ein Deal gemacht wird, der mir ein Leben in Deutschland ermöglicht, heißt das nicht, dass das so bleiben muss. Es gibt keine Garantie dafür, dass nicht eine spätere britische Regierung sich entscheidet, die getroffene Übereinkunft über den Haufen zu werfen, um wieder jene Menschen anzusprechen, die die EU für schlecht halten.

Ich lese in letzter Zeit auch weniger britische Medien. Gefühlt ist jede zweite Schlagzeile irgendeine neue, schreckliche Information zum Brexit. Das macht mich nur panisch.

Leben nach dem Brexit

Wenn ich daran denke, wie mein Leben ein Jahr nach dem Brexit aussähe, habe ich keine klare Vorstellung. Im besten Fall würde sich nur wenig ändern. Die Einreise nach Großbritannien wäre wahrscheinlich mühsamer, wenn ich meine Familie zu Weihnachten besuche. Ansonsten hoffe ich, weiterhin in Deutschland leben zu können wie bisher. Im schlimmsten Fall müsste ich zurück nach Großbritannien. Ich versuche, nicht so viel an diese Möglichkeit zu denken. Realistisch gesehen werden sich die Verhandlungen aber noch länger hinziehen. Mein Plan ist, so schnell wie gesetzlich möglich die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen.

Meine Freunde hier in Deutschland haben Mitleid mit mir. Ansonsten habe ich nicht das Gefühl, dass das Thema hier sehr präsent wäre. Wenn ich aber mit meiner Familie spreche, merke ich, dass es in Großbritannien sehr viele Sorgen über den Brexit gibt. Es gibt immer wieder Berichte in britischen Medien, dass es zu Engpässen, etwa bei der Medikamentenversorgung kommen könnte, wenn Großbritannien tatsächlich die EU verlässt.

Brexit ist großes Thema – unter Briten

Wenn ich meine Familie oder britische Freunde treffe, reden wir viel über den Brexit. Gerade jüngere Menschen sind wahnsinnig frustriert über das Wahlergebnis. Viele haben das Gefühl, dass die ältere Generation, die häufiger für den EU-Austritt gestimmt hat, leichtfertig die Zukunft der Jungen aufs Spiel gesetzt habe. Ob aus Protest oder weil sie wirklich die EU verlassen wollen: Die Pro-Brexit-Wähler haben nur an sich und ihre Bedürfnisse gedacht. Nicht daran, was dieses Wahlergebnis für alle bedeutet, die wirklich vom Brexit und seinen Folgen direkt betroffen wären. Mittlerweile vermeide ich das Thema aber mit meiner Familie. Es bringt nur Aufregung und Streit. Wir kommen zu keiner Lösung.

Was mich beruhigt in diesem ganzen Brexit-Chaos, ist die Vorgehensweise Deutschlands. Es ist fast komisch, aber ich habe das Gefühl, dass die deutsche Regierung viel mehr darum bemüht ist, meine Rechte in diesem Land zu sichern, als es Großbritannien gerade ist. Ich bin Deutschland dankbar dafür.

Aufgezeichnet von Ana Grujić.

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