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Tusk vor EU-Gipfel: "Brexit ohne Abkommen ist wahrscheinlicher denn je"


Tusk vor EU-Gipfel
"Brexit ohne Abkommen ist wahrscheinlicher denn je"

Von dpa, pdi

Aktualisiert am 15.10.2018Lesedauer: 4 Min.
Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates: Tusk sieht die Brexit-Verhandlungen immer noch als komplizierten Einigungsprozess.Vergrößern des Bildes
Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates: Tusk sieht die Brexit-Verhandlungen immer noch als komplizierten Einigungsprozess. (Quelle: imago-images-bilder)

Theresa May gibt sich optimistisch. Ob die Premierministerin aber für einen Brexit-Deal in London Zustimmung findet, ist zweifelhaft. EU-Ratspräsident Tusk macht keine Hoffnung.

Trotz des jüngsten Rückschlags bei den Brexit-Verhandlungen halten Großbritannien und die Europäische Union eine Einigung immer noch für denkbar. Bereits beim EU-Gipfel am Mittwoch will sich die britische Premierministerin Theresa May mit den anderen 27 EU-Staats- und Regierungschefs dazu an einen Tisch setzen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte in seinem Einladungsschreiben zu dem Gipfel jedoch, ein Brexit ohne Abkommen sei "wahrscheinlicher denn je". Eine Einigung zu finden, habe sich als "komplizierter herausgestellt, als einige erwartet haben". Trotzdem sollte die Hoffnung nicht aufgegeben werden. Es gebe auf beiden Seiten guten Willen, die Gespräche fortzuführen.

May zeigte sich bei einem Auftritt im Parlament in London am Montag dagegen optimistisch. Die Konturen eines Austrittsabkommens seien nun klar. Es habe "echten Fortschritt" gegeben bei den Brexit-Gesprächen, sagte May. Den Rückschlag am Sonntag spielte sie herunter. Ein Abkommen sei das beste Ergebnis für Großbritannien und die EU. Sie glaube, dass es zu erreichen sei. "Es ist Zeit, dass ruhige, kühle Köpfe die Oberhand behalten."

EU-Außengrenze zwischen Irland und Nordirland

Trotzdem war am Montag weiterhin unklar, wie eine Einigung konkret aussehen soll und wie May eine Mehrheit dafür im Parlament in London finden will. Derzeit scheinen alle möglichen Lösungen auf unüberwindbare Widerstände in verschiedenen Teilen des britischen Unterhauses zu treffen.

Am Wochenende war den Unterhändlern beider Seiten trotz intensiver Verhandlungen nicht der erhoffte Durchbruch für ein Austrittsabkommen gelungen. Wichtigste Hürde ist immer noch die Frage, wie Kontrollen an der künftigen EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden können. Die EU macht dies zur Bedingung für einen Vertrag, der den Brexit regeln und die Folgen mit einer knapp zweijährigen Übergangsphase abpuffern soll.

Auch hier habe es Fortschritte gegeben, sagte May. Brüssel habe sich offen gezeigt für den Vorschlag, dass Großbritannien im Notfall als Ganzes in der Europäischen Zollunion verbleiben solle, bis eine bessere Lösung im Rahmen eines Abkommen über die künftigen Beziehungen gefunden sei. Es dürfe sich dabei aber nur um eine vorübergehende Lösung handeln.

May und die nordirische DUP

Knackpunkt bei den Gesprächen sei nun, dass Brüssel dies nur akzeptieren will, wenn Nordirland einen Sonderstatus innerhalb von Zollunion und Binnenmarkt erhält, sollte der erste Notfallplan ablaufen und keine dauerhafte Lösung gefunden sein. Doch das lehnt vor allem die nordirische DUP ab, auf deren Stimmen May im Parlament angewiesen ist. DUP-Abgeordnete drohten in den vergangenen Tage immer wieder offen damit, May die Unterstützung zu entziehen.

Ein Ausweg könnte sein, kein konkretes Datum für das Ende des ersten Notfallplans festzuschreiben. Doch das, so befürchten Brexit-Hardliner in Mays konservativer Partei, könne dazu führen, dass Großbritannien dauerhaft in der Zollunion bleibt. Es gibt aber Anzeichen, dass May diesen Weg gehen will. Forderungen nach einem genauen Datum, unter anderem von Ex-Außenminister Boris Johnson, wich sie im Parlament am Montag aus. Sie sagte lediglich, die Erwartung sei, dass bis spätestens Ende 2021 ein Vertrag ausgehandelt sei, der das Provisorium ablöse.

Beim EU-Gipfel am Mittwoch könnte eine Vorentscheidung fallen. Aus EU-Kreisen hieß es, May könnte dort selbst mit den übrigen EU-Staats- und Regierungschefs eine Lösung suchen. Der Brexit sei nun Chefsache.

Politischer Machtkampf in London

Doch selbst wenn es am Mittwoch oder in den Wochen darauf zu einer Einigung kommen sollte, ist fraglich, ob May dafür eine Mehrheit im Parlament bekommt oder gar von den Brexit-Hardlinern in der eigenen Partei gestürzt wird. Die Chancen auf einen geregelten EU-Austritt 2019 dürften somit maßgeblich von der Dynamik des politischen Machtkampfes in London abhängen.

Vor allem die Wirtschaft wartet dringend auf ein Signal, dass es nicht zu einem chaotischen Bruch ohne Vertrag kommt. Dass jetzt die Klarheit weiter fehle, vergrößere die Probleme, warnte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag: "Das Brexit-Trauerspiel geht in die nächste Runde, der Ausgang bleibt völlig offen."

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte beim Außenhandelsverband BGA, die EU wolle unbürokratische Beziehungen zu Großbritannien, doch müsse der EU-Binnenmarkt intakt bleiben. Man müsse auf alle Szenarien vorbereitet sein, warnte die CDU-Chefin. Irlands Regierungschef Leo Varadkar sagte, niemand wisse, wann ein Abkommen möglich sei. "Ich schätze, November, Dezember ist die beste Zeit für einen Deal", sagte er der "Irish Times".

Die Zeit drängt

Ursprünglich hatte EU-Ratschef Donald Tusk erklärt, weitere Brexit-Verhandlungen und ein Sondergipfel zum Abschluss Mitte November hätten nur Sinn, wenn bis Mitte Oktober "maximaler Fortschritt" erreicht sei. Ob dies geschafft ist, soll der EU-Gipfel ab Mittwoch feststellen. Bislang sieht es nicht danach aus.


Die Bundesregierung erklärte, sie rechne mit einer Fortsetzung der Verhandlungen auch nach dem EU-Gipfel. "Allen ist bewusst, dass die Zeit nun sehr drängt", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) unterstrich am Rande von EU-Gesprächen in Luxemburg die Hoffnung auf Einigung.

An der höchst komplizierten Irland-Frage arbeiten sich beide Seiten seit Monaten vergeblich ab. Auf der irischen Insel entsteht durch den Brexit eine EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland. Schlagbäume und Kontrollen wollen beide Seiten aber vermeiden - aus Furcht vor neuen Konflikten in der früheren Bürgerkriegsregion bei einer Teilung der Insel.

Verwendete Quellen
  • dpa
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