Glücklose Merkel bei Minigipfel "Viel guter Wille" – aber der große Durchbruch bleibt aus
Bei einem Minigipfel in Brüssel suchte Kanzlerin Merkel den Durchbruch im europäischen wie im nationalen Asylstreit. Doch neben "viel gutem Willen" blieben große Fortschritte aus. Der Kanzlerin läuft die Zeit davon.
Trotz des großen innenpolitischen Drucks hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem EU-Sondertreffen in Brüssel noch keine kurzfristige Lösung im europäischen Asylstreit skizziert. Es gebe aber viel guten Willen, sagte die CDU-Chefin am Sonntagabend. Man werde bis zum EU-Gipfel am Donnerstag, "aber natürlich auch danach", an Lösungen arbeiten. Ob sie schnelle Absprachen mit den EU-Partnern erreichen kann, blieb offen.
Die CSU verlangt allerdings schon bis 1. Juli einen europäischen Ansatz, um das Weiterwandern von Flüchtlingen innerhalb der EU zu unterbinden. Anderenfalls droht Bundesinnenminister Horst Seehofer mit einem Alleingang: Dann will er in der EU registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen lassen. Dies könnte die Zukunft der großen Koalition, aber auch den Zusammenhalt in der EU gefährden.
"Europäische Lösungen, wo immer möglich"
Um eine rasche Lösung zu finden, hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu dem Sondertreffen vor dem Gipfel eingeladen, zu dem 16 EU-Länder kamen. Merkel gab sich danach optimistisch, allerdings ohne dies konkret zu unterfüttern. Es habe ein großes Maß an Übereinstimmung und eine gute Debatte gegeben, sagte sie.
Einig sei man sich über eine engere Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern der Migranten, eine Stärkung der EU-Grenzbehörde Frontex und darüber, dass man "die Ankunftsländer nicht alleine lassen" könne. Gleichzeitig könnten "aber Schlepper und Flüchtlinge sich auch nicht aussuchen, in welchem der europäischen Länder sie ihren Asylantrag bearbeiten lassen". Wo immer möglich, solle es europäische Lösungen geben. Ansonsten müsse man jene, "die willig sind, zusammenführen".
Vor Beginn des Treffens hatte Merkel noch konkret von Absprachen mit einzelnen EU-Ländern gesprochen, um das Weiterziehen der Migranten zu begrenzen. Italien – eines der Hauptankunftsländer am Mittelmeer – will sich darauf aber auf die Schnelle nicht einlassen, wie es aus italienischen Regierungskreisen hieß.
Italien will Dublin-System abschaffen
Der neue Ministerpräsident Giuseppe Conte fordert stattdessen eine umfassende Lösung und einen radikalen Wandel in der europäischen Asylpolitik. Das bisherige sogenannte Dublin-Systems solle aufgegeben werden, heißt es in einem Zehn-Punkte-Plan, den Conte mit nach Brüssel brachte.
Nach den Dublin-Regeln müssen sich die Menschen dort registrieren lassen und einen Asylantrag stellen, wo sie zuerst europäischen Boden betreten. Tatsächlich ziehen jedoch viele weiter Richtung Deutschland.
Conte fordert, die illegale Migration nach Europa weiter drastisch zu reduzieren, unter anderem über Abkommen mit den Herkunftsländern und sogenannten Schutzzentren in Transitländern. Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge ohne Anspruch auf Asyl sollten gerecht auf die EU-Staaten verteilt werden.
Unter diesen Bedingungen würden Bewegungen innerhalb der EU dann "nebensächlich", heißt es in dem italienischen Papier. Und in dem Fall – aber erst nach Erfüllung der Voraussetzungen – wäre Italien dann auch bereit zu Einzelabsprachen: "Die sekundären Bewegungen können so Gegenstand technischer Abkommen zwischen den besonders betroffenen Ländern werden."
Unterstützung für Flüchtlingssammellager
Die noch striktere Abschottung der Außengrenzen scheint in der EU konsensfähig. Zudem verdichtete sich die Unterstützung für mögliche Sammellager für Migranten, entweder auf EU-Gebiet oder auch außerhalb der EU, zum Beispiel in Nordafrika. Allerdings ist kein Drittstaat bekannt, der zur Aufnahme solcher Lager bereit wäre.
Frankreich und Spanien fordern Zentren für ankommende Migranten "auf europäischem Boden". Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erinnerte an die europäischen Werte und warnte davor, das Thema auszuschlachten: "Einige versuchen, die Situation in Europa zu instrumentalisieren, um eine politische Spannung zu schaffen und mit Ängsten zu spielen", kritisierte Macron.
Seehofer droht Merkel erneut
Die CSU-Spitze hatte den Druck auf Merkel am Wochenende noch einmal massiv erhöht. Seehofer sagte, er werde sich auch durch Merkels Richtlinienkompetenz als Kanzlerin nicht von seinen Plänen einer Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze abbringen lassen. Der "Süddeutschen Zeitung" (Samstag) sagte er, er unterstütze zwar eine europäische Lösung. "Aber wenn es bis zum EU-Gipfel keine Regelung gibt, beginne ich mit den Zurückweisungen an der Grenze."
Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte am Abend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt" zum unionsinternen Streit, man werde versuchen zu gemeinsamen Positionen zu kommen. Aber: "Ich bin ein bisschen traurig darüber, dass schon einige in den großen Wochenendzeitungen Töne von sich geben, die nicht darauf hindeuten, dass man auch noch einen Kompromiss suchen will."
Ärger über angekündigten deutschen Alleingang
Voraussetzung für Zurückweisungen innerhalb der EU wären systematische Kontrollen innerhalb der Schengenzone. Das stößt bei europäischen Partnern auf Widerstand. Der belgische Ministerpräsident Charles Michel sagte, seine erste Priorität sei, die kontrollfreie Reisefreiheit im Schengenraum zu erhalten. Das Brüsseler Treffen nannte er intensiv und nützlich.
Teilnehmer bei dem Brüsseler Treffen waren neben Deutschland, Griechenland, Italien, Bulgarien, Malta, Österreich, Frankreich und Spanien auch Belgien, die Niederlande, Dänemark, Kroatien, Slowenien, Finnland, Schweden und Luxemburg. Demonstrativ abgesagt hatten etwa die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei.
Während die Politiker in Brüssel tagten, spitzte sich die Lage für viele Migranten auf dem Mittelmeer zu. Das Rettungsschiff "Lifeline" der deutschen Organisation Mission Lifeline wartete auch am Sonntag noch mit rund 230 Geretteten an Bord auf eine Anweisung, in welchen Hafen es fahren darf. Zugleich gerieten mehrere Boote mit rund 1.000 Migranten vor der Küste Libyens in Schwierigkeiten. Italien wies die libysche Küstenwache an, die Menschen zurück in das Bürgerkriegsland zu bringen.
- dpa