Harte Regeln für Flüchtlingshelfer Europarat rügt umstrittenes Gesetz in Ungarn
Am Mittwoch verabschiedete das ungarische Parlament eine Regelung, die Flüchtlingshelfer teils mit Haft bestraft. Nun hat sich die Venedig-Kommission dagegen ausgesprochen.
Zwei Tage nach der Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes zur Arbeit von Flüchtlingshelfern in Ungarn haben Experten des Europarats eine zentrale Bestimmung gerügt. Die Vorschrift solle aufgehoben werden, da sie die rechtmäßige Arbeit von Nichtregierungsorganisation "ernsthaft beeinträchtigt", befand die Venedig-Kommission des Europarats in einem Gutachten. Der Venedig-Kommission gehören angesehene Verfassungsexperten an.
Durch die neue Bestimmung wird im ungarischen Strafgesetzbuch der Straftatbestand der "Beihilfe zur illegalen Migration" eingeführt. Die Venedig-Kommission räumte ein, dass auch viele andere europäische Länder eine "auf finanziellen Gewinn abzielende Beihilfe zu Einreise, Aufenthalt oder zur Durchreise illegaler Migranten" unter Strafe stellen. Ein derartiger Straftatbestand stehe also nicht zwangsläufig im Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsnormen.
Ebenso ließe sich argumentieren, dass die Regelung "dem legitimen Ziel der Aufrechterhaltung der Ordnung oder der Verhütung von Straftaten" diene. Damit enspräche die Vorschrift Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, erklärten die Verfassungsexperten der Kommission.
Artikel 11 deckt die Regelung trotzdem nicht ab
Die ungarische Bestimmung gehe aber weit über das hinaus, was gemäß Artikel 11 zulässig sei. Denn sie ahnde "organisatorische Tätigkeiten, die nicht in direktem Zusammenhang mit der konkreten Realisierung illegaler Migration stehen, auf ungerechtfertigte Weise mit Strafe". Zu diesen Tätigkeiten zählen demnach die "Erstellung oder Verbreitung von Informationsmaterial" oder "die Einleitung von Asylanträgen für Migrantinnen und Migranten".
Die Kriminalisierung derartiger Tätigkeiten unterbinde die Unterstützung von Opfern durch Nichtregierungsorganisationen. Das schränke deren in Artikel 11 und im Völkerrecht verankerten Rechte unverhältnismäßig ein, befand die Venedig-Kommission. Wenn zudem die Arbeit zur aktiven Unterstützung und die Kampagnentätigkeit kriminalisiert werden, sei dies ein unzulässiger Eingriff in die in Artikel 10 garantierte Freiheit der Meinungsäußerung.
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Die Bestimmung wird auch "Stop-Soros-Gesetz" genannt
Das ungarische Parlament hatte das schon vor Monaten angekündigte Gesetzespaket am Mittwoch, dem Weltflüchtlingstag, verabschiedet. Es sieht bis zu ein Jahr Haft für jeden vor, der einem illegal aus einem Nicht-Schengen-Land nach Ungarn eingereisten Migranten hilft, wenn dessen Leben nicht unmittelbar in Gefahr ist. Es wird unter Anspielung auf den ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros auch als "Stop-Soros-Gesetz" bezeichnet.
Die Regierung des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orban betrachtet den als Mäzen aktiven Soros als Gegner. Dessen international tätige Stiftung unterstützt unter anderem mehrere Bürgerrechtsbewegungen in Ungarn. Orban warf Soros vor, über seine Organisation "Masseneinwanderung" in die EU zu steuern. Dafür gibt es keine Belege.
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Deutschland schließt sich dem Europarat an
Die Bundesregierung hatte kritisiert, dass die ungarische Regierung vor der Verabschiedung nicht die Stellungnahme der Venedig-Kommission zu dem Gesetzespaket abwartete oder berücksichtigte. "Wir teilen die Bedenken der Venedig-Kommission gegenüber der strafrechtlichen Bewehrung von Tätigkeiten von Nichtregierungsorganisationen im Bereich der Flüchtlingshilfe", erklärte Außenstaatsminister Michael Roth (SPD).
- AFP