Europa tief zerstritten Was Angela Merkel beim Asyltreffen erwartet
Beim anstehenden Treffen zur Asylpolitik in Europa muss Angela Merkel einen Erfolg erringen. Allerdings sind die Europäer in der Flüchtlingsfrage uneins. Ein Überblick.
Vor dem informellen Treffen zur Asylpolitik in Europa am Sonntag gehen die Vorstellungen weit auseinander. Eine Rücknahme von Flüchtlingen ist – wie schon die Umverteilung zuvor – heftig umstritten. Auch beim Thema verstärkter Grenzschutz werden unter einem Begriff ganz unterschiedliche Vorstellungen zusammengefasst: von geordneter Einwanderung bis hin zu Abweisung von Migranten. Gegen symbolträchtige Schritte, wie eine verschärfte Kontrolle auf Flughäfen, gibt es dagegen keine öffentlichen Einwände. Ein Überblick:
Italien: In Rom ist der Unmut über Berlin groß. Regierungschef Giuseppe Conte erklärt, er habe Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich gemacht, dass er nur komme, wenn es keinen (von Deutschland und Frankreich) vorgefertigten Text gebe. Sein Innenminister Matteo Salvini sagte, Italien wolle angesichts Hunderttausender Ankömmlinge in den vergangenen Jahren Asylbewerber abgeben, statt zurückzunehmen. Es erscheint äußerst fraglich, dass Merkel ein bilaterales Abkommen mit dem Land zur Rücknahme von Migranten gelingen kann.
Österreich: Kanzler Sebastian Kurz fordert seit Langem eine deutliche Wende in der Asylpolitik. Er sieht kaum Chancen für eine europäische Lösung und ist bereit für nationale Alleingänge. Aus seiner Sicht hat Merkel die Misere verschuldet. Seine zentrale Forderung: Wirksamer Schutz der EU-Außengrenzen. Dass Deutschland Migranten aufgrund mangelhafter Reisedokumente zurückschickt, ist für Österreich nichts Neues: Allein in diesem Jahr waren es bereits rund 2.500.
Dänemark: Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen setzt sich gemeinsam mit der österreichischen Regierung dafür ein, dass Asylbewerber in Auffang- und Abschiebelagern in einem "nicht besonders attraktiven" europäischen Land außerhalb der EU untergebracht werden.
Frankreich: Vom wichtigsten Partner Frankreich bekam Merkel im Asylstreit Rückendeckung. Staatschef Emmanuel Macron versicherte, sein Land sei bereit, in Frankreich registrierte Flüchtlinge aus Deutschland zurückzunehmen. Paris und Berlin arbeiteten gemeinsam an einer Lösung mit betroffenen Staaten. Frankreich hat mit Italien seit über 20 Jahren eine Vereinbarung zur Zurückweisung von Migranten.
Malta: Wie sich Malta mit Blick auf bilaterale Abkommen positionieren wird, ist unklar. Wie andere Staaten an der Außengrenze Europas ist der kleinste EU-Staat für eine Überwindung des Dublin-Systems. Zwar kamen in den letzten Jahren kaum Bootsflüchtlinge in Malta an – im vergangenen Jahr waren es laut UNHCR gerade mal 23. Allerdings entschied das Land im vergangenen Jahr 815 Asylanträge positiv, was pro Kopf mehr waren als in Italien oder Frankreich.
Bulgarien: Der Balkanstaat ist derzeit EU-Ratspräsident und hat für den EU-Gipfel in der kommenden Woche eigene Vorschläge zur Asyl- und Migrationspolitik angekündigt. Details wurden nicht genannt. Bulgarien ist Transitland – Flüchtlinge wollen selten in dem ärmsten EU-Land bleiben. 2017 haben 3.700 Migranten Asyl in Bulgarien beantragt, in den ersten fünf Monaten 2018 waren es 492. Die Aufnahmestellen sind nur zu 20 Prozent belegt.
Belgien: Belgien war in der Vergangenheit mit einer verpflichtenden Quote zur Umverteilung von Flüchtlingen über alle EU-Staaten einverstanden. Den Vorschlag von EU-Ratspräsident Donald Tusk, aus Seenot gerettete Flüchtlinge künftig zu zentralen Sammelpunkten außerhalb Europas zu bringen, wollte Premierminister Charles Michel noch analysieren, wie die Nachrichtenagentur Belga berichtete.
Spanien: Für den linken neuen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez ist der Migrationsgipfel das Debüt auf der europäischen Bühne. Spanien hat durchklingen lassen, bereitwilliger als bisher Flüchtlinge aufzunehmen. Erst vor wenigen Tagen hatte das Land das von Italien abgewiesene Rettungsschiff Aquarius mit 630 Migranten anlanden lassen. Medien sehen die spanische Migrationspolitik als Vorbild für Brüssel: Bereits zwischen 2006 und 2008 hatte das Land Abkommen mit Herkunftsländern wie Senegal, Mauretanien, Mali oder Niger unterzeichnet. Dafür sicherte Spanien wirtschaftliche Unterstützung, eine kleine Zahl regulärer Einreisevisen und Arbeitsgenehmigungen zu.
Griechenland: Regierungschef Alexis Tsipras wiederholt bei jeder Gelegenheit, die Migrationskrise sei "nur mit europäischer Solidarität zu bewältigen". Beobachter erwarten, dass er sich beim Treffen am Wochenende nicht gegen eine Lösung sperren wird. Zudem ist eine Destabilisierung Deutschlands und der Bundesregierung auf keinen Fall im Interesse Griechenlands. Als Gegenleistung für ein "Ja" Athens könnten mehr Investitionen in Griechenland gefordert werden.
Niederlande: Einerseits ist das Land gegen die Einführung von Grenzkontrollen innerhalb der EU – schon weil das auch erheblich den Handel belasten könnte. Auf der anderen Seite will Ministerpräsident Mark Rutte auch verhindern, dass nur einige wenige Länder wie Deutschland, Schweden oder die Niederlande die Lasten tragen. Die Niederlande sind daher für Asylzentren außerhalb der EU-Grenzen nach dem Vorbild des Türkei-Deals, auch wenn das mehr Geld kostet. Rutte sieht sich als ein möglicher Vermittler im Asylstreit.
- dpa