Brexit schadet britischer Wirtschaft "Das wird Bremsspuren hinterlassen"
Die EU-Regularien werden von vielen Brexit-Befürwortern als Hindernis für die britische Wirtschaft betrachtet. Experten erwarten jedoch, dass der EU-Austritt das Land weiter zurückwirft.
Der Brexit bedeutet für Großbritannien konjunkturell eine tiefe Zäsur. Früher war das Vereinigte Königreich eines der am schnellsten wachsenden Industrieländer der Welt. Das änderte sich jedoch schlagartig mit dem EU-Austrittsvotum vom Sommer 2016, das die Landeswährung Pfund auf Talfahrt schickte und die Preise auf der Insel in die Höhe schießen ließ.
Der Internationale Währungsfonds erwartet, dass Großbritannien dieses Jahr mit einem Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1,7 Prozent sogar hinter das lange Zeit wirtschaftlich vor sich hin dümpelnde Frankreich zurückfällt. Zudem verunsichert der 2019 anstehende EU-Austritt die Wirtschaft: Firmen zögern Investitionen hinaus. Und viele Unternehmen aus der Europäischen Union ziehen wegen des Brexit Geschäftsteile von der Insel ab.
Von der Überhol- auf die Kriechspur?
2019, wenn der Brexit im März kommenden Jahres Wirklichkeit wird, droht ein weiterer Abstieg bei der Wirtschaftskraft: "Das Vereinigte Königreich wird in Sachen Wachstum nach unten durchgereicht. 2019 reicht es wohl nur noch zu einem Plus von 0,5 Prozent", prophezeit BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels. Das wäre ein krasser Niedergang gegenüber früheren goldenen Zeiten, als die Wirtschaft des Landes um das internationale Finanzzentrum London kräftig die Muskeln spielen ließ.
2014 beispielsweise stand bei der Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts noch eine Drei vor dem Komma. Nun könnte ein Wechsel von der Überhol- auf die Kriechspur folgen: Notenbankchef Mark Carney spricht davon, dass die "Höchstgeschwindigkeit der Wirtschaft" im Zuge des anstehenden Brexit wohl abnehme.
Inflation bleibt hoch
Die Währungshüter in London kämpfen gegen eine ausufernde Inflation an, die weit über das Ziel der Notenbank von 2,0 Prozent hinausgeschossen ist. Auch wenn der Preisauftrieb zuletzt etwas nachgelassen hat, liegt die Inflationsrate mit 2,7 Prozent weit höher, als Carney lieb sein kann. Die Löhne legten zuletzt mit 2,8 Prozent allerdings stärker zu.
Dies deutet darauf hin, dass sich die Kaufkraft der Briten wieder stabilisiert, die unter dem starken Preisauftrieb gelitten hatte. Zuletzt hat der Staat angekündigt, den mehr als einer Million Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitswesen nach jahrelanger Durststrecke einen kräftigen Schluck aus der Lohnpulle zu gönnen.
Auch wenn die Bank of England auf ihrer jüngsten Sitzung noch stillhielt, stimmte sie die Märkte für Mai auf eine Zinserhöhung ein. Sie hält es für wahrscheinlich, dass auf absehbare Zeit eine "kontinuierliche Straffung" der Geldpolitik nötig sein wird, um die Inflation auf den Zielwert von 2,0 Prozent zu drücken. Eine Zinserhöhung könnte das Pfund stärken und so importierte Güter billiger machen, die bislang wegen der Wechselkurseffekte die Inflation auf der Insel angeheizt hatten.
Zinserhöhung erwartet
Die Europäische Union und Großbritannien haben sich jüngst auf eine Übergangszeit nach dem Brexit bis Ende 2020 geeinigt. Sie sieht vor, dass sich London in dieser Zeit an EU-Regeln hält und dafür den Zugang zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion behält. Auch wenn sich die Regierung in London damit mehr Zeit erkauft, wird es mit dieser Regelung laut BayernLB-Experte Michels doch immer klarer, dass es "keinen Exit vom Brexit" geben wird.
Ökonom James Smith von der Bank ING erwartet jedoch, dass die Einigung auf eine Übergangsphase die Notenbank in ihrer Auffassung bestärken wird, dass es zumindest keinen harten Schnitt beim EU-Austritt geben wird: "Das macht eine Zinserhöhung im Mai zusehends wahrscheinlicher."
Michels geht davon aus, dass ein solcher Schritt jedoch keine "große Zinserhöhungsphase" einläuten wird: "Die Bank of England ist sich bewusst, dass die wirtschaftliche Dynamik sukzessive abnehmen wird." Mit dem EU-Austritt werde der britische Zugang zum größten Exportmarkt auf jeden Fall erschwert: "Das wird Bremsspuren hinterlassen."
- Reuters