Nach der Vertrauensfrage im Bundestag "Die Instabilität in Deutschland wird andauern"
Die Bundesrepublik ist seit ihrer Gründung für politische Stabilität bekannt. Die andauernde Regierungskrise hat nun auch im Ausland heftige Reaktionen ausgelöst.
Der Bundestag hat Olaf Scholz während einer Sitzung am Montagnachmittag das Vertrauen entzogen. Bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage votierten 207 Abgeordnete für Scholz, 394 gegen ihn und 116 enthielten sich. Der Kanzler verfehlte damit wie beabsichtigt die notwendige Mehrheit von mindestens 367 Stimmen deutlich.
Zwei "müde und kranke Länder"
Das sei "ein kleines Erdbeben" in einem Land, das für seine Stabilität bekannt ist, schreibt die französische Zeitung "Dernières Nouvelles d'Alsace" am Dienstag. "Die Deutschen, die sowohl auf Effizienz als auch auf Klarheit bedacht sind, haben das Auseinanderbrechen des rot-gelb-grünen Gespanns mit Erleichterung beobachtet", schreibt das Blatt weiter.
Deutschland und Frankreich hätten zwar nicht die gleiche politische Kultur, doch die Länder seien von den gleichen Symptomen betroffen. "Die repräsentativen Demokratien des Westens, die mit einer Zersplitterung der Parteien und einer Polarisierung der Meinung konfrontiert sind, haben Schwierigkeiten, auf die Proteste der Bevölkerung zu reagieren", analyisert "Dernières Nouvelles d'Alsace". "Die beiden müden und kranken Länder sind gezwungen, sich mit einer Instabilität auseinanderzusetzen, die andauern wird."
Deutschland schwächelt statt zu führen
Die liberale schwedische Tageszeitung "Göteborgs-Posten" sieht die Bundesrepublik in einer nie dagewesenen Krise. "Deutschland ist weiterhin eine der energieintensivsten Volkswirtschaften Europas, unter anderem mit großen Stahlwerken und der Chemieindustrie. Der Stolz des Landes – die Autoindustrie – hat parallel zur Energiekrise damit begonnen, von den Chinesen vom Markt verdrängt zu werden."
Nach der Wahl im Februar spreche nun alles für eine Große Koalition. "Diese Koalitionen nützen weder der CDU, der SPD noch der deutschen Demokratie. Aber die Möglichkeiten der CDU, den 'schwedischen Weg' zu gehen und eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten in der AfD einzugehen, werden nicht nur durch das historische Schuldbewusstsein Deutschlands erschwert", analysiert das Blatt.
Keine Investitionen in Sicht
Insbesondere die ablehnende EU-Haltung der AfD und ihre verständnisvolle Russland-Politik würden den Grundfesten der CDU widersprechen. "Deutschland wird genau in dem Moment weiter schwächeln, in dem die EU eine stärkere Führung des wichtigsten Landes der Union benötigen würde", so "Göteborgs-Posten".
Die Wirtschaftszeitung "Hospodářské noviny" aus Tschechien schreibt am Dienstag: "Deutschland braucht Reformen. Seine Wirtschaft stagniert seit langem – und das nicht nur wegen der hohen Energiepreise. Die Deutschen haben so sehr gespart, dass sie gegenüber anderen zurückgefallen sind. Sie haben weder in Innovationen noch in die Infrastruktur investiert, was sich an zerfallenden Autobahnbrücken und ewig verspäteten Zügen zeigt. Wie ein Totem hat man in der Bundesrepublik die Schuldenbremse hochgehalten."
Deshalb müsse Deutschland nun gezielt investieren. "Dass dies geschehen wird, deutet das Programm der in Umfragen vorn liegenden CDU/CSU indes nicht an. Zudem wird Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz wahrscheinlich in einer Koalition mit Sozialdemokraten oder Grünen regieren müssen. Die Aktionsfähigkeit eines solchen Kabinetts dürfte ähnlich gering sein wie diejenige des bestehenden", schreibt die "Hospodářské noviny".
Der legendäre deutsch-französische Motor macht Schlapp
Die spanische Zeitung "La Vanguardia" schreibt, dass die deutsche Instabilität Europa schaden würde. "Seit fünf Jahren steckt das Land in einer anhaltenden Stagnation. Die Folgen für die europäische Wirtschaft sind gravierend. Bemerkenswert ist, dass in dieser Situation ausgerechnet die Länder des Südens zur Stabilität Europas beitragen, während der historische Motor Frankreich-Deutschland in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise steckt".
Auch die britische Zeitung "The Guardian" äußert sich am Dienstag besorgt über die aktuelle politische Situation in Deutschland und in Frankreich: "Europa steht vor großen Herausforderungen in Bezug auf die Ukraine, den Umgang mit Donald Trump und mit China. Es wäre schlecht, wenn der legendäre deutsch-französische Motor des Kontinents ausgerechnet jetzt schlapp machen würde. Doch auf beiden Seiten des Rheins sind keine einfachen Lösungen in Sicht."
Der nächste Bundeskanzler würde wahrscheinlich Friedrich Merz werden. "Er hat versprochen, den Cordon sanitaire aufrechtzuerhalten, der die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) von der Macht ausschließt. Doch die Pläne der CDU, die Unternehmenssteuern zu senken und die öffentlichen Ausgaben zu kürzen, würden die sozialen Spannungen, die den Aufstieg der AfD begünstigt haben, nur noch verstärken", analysiert der "Guardian".
Scholz' Ideenlosigkeit für die Zukunft
Die "Neue Zürcher Zeitung" kommentiert am Dienstag das Nein des Bundestages zur Vertrauensfrage von Kanzler Olaf Scholz: "Der Sozialdemokrat Scholz hat sich schon in den vergangenen Jahren des in ihn gesetzten Vertrauens nicht würdig erwiesen. Vor allem aber hat er neues nicht verdient. Ersteres belegt die angespannte wirtschaftliche Lage des Landes, dessen Volkswirtschaft anders als die vergleichbarer Länder bereits im zweiten Jahr stagniert, Letzteres seine Ideenlosigkeit für die Zukunft."
Die Deutschen könnten bei der Wahl im Februar über die Richtung des Landes entscheiden. "Angesichts der zentralen Rolle, die Deutschland in der EU politisch und wirtschaftlich spielt, ist das Wahlergebnis vom Februar deshalb von Bedeutung weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus – wegen der tiefgehenden politischen und haushälterischen Krise Frankreichs sogar stärker als zuvor."
Der Feldherr im Bundestag
Nach der Vertrauensfrage im Bundestag schreibt die italienische Zeitung "Corriere della Sera" am Dienstag: "Wie ein Feldherr, der die Bedingungen seiner eigenen Kapitulation festlegt, hat Olaf Scholz zumindest den Zeitpunkt seines eigenen Abgangs bestimmt. Er hat die Vertrauensfrage im Bundestag gestellt – die Abgeordneten haben ihm das Vertrauen entzogen. Regungslos saß er in der ersten Reihe und hörte um 16.30 Uhr zu, als Bundestagspräsidentin Bärbel Bas das Abstimmungsergebnis gegen ihn verkündete. Damit endet nun eine der kürzesten Regierungen in der deutschen Geschichte. Was nach Scholz' Worten eine mutige Koalition sein sollte, ist jetzt nach Meinung von Beobachtern ein gescheitertes Experiment."
Das Scheitern von Scholz schreibt Scholz unter anderem dem russischen Angriffskrieg zu, der den Koalitionsvertrag zu Makulatur machte. "Man kann darüber diskutieren, ob er an seiner eisigen, arrogant wirkenden Persönlichkeit gescheitert ist, die keinen Draht zum Land fand. Oder ob nicht sogar seine Art der Sozialdemokratie – wirtschaftsfreundlich, technokratisch, wenn auch sozial – ein Überbleibsel der 2000er-Jahre ist, das die Wähler ablehnen. In diesem Punkt ähneln Scholz' Charakter und Werte auf gefährliche Weise denen seines vermeintlichen Nachfolgers Friedrich Merz", meint "Corriere della Sera".
- Nachrichtenagentur dpa