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Ukraine: Orbán erpresst Europa – Brüssel muss sich entscheiden


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Demokratie in Europa in Gefahr
Jetzt droht Orbán der ganz große Knall


Aktualisiert am 03.12.2023Lesedauer: 5 Min.
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Viktor Orbán beim EU-Gipfel Ende Oktober in Brüssel (Archivbild): Der ungarische Ministerpräsident will EU-Gelder, damit er die Ukraine-Hilfen durchwinkt. (Quelle: Zhao Dingzhe/imago-images-bilder)
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Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán will Militärhilfen für die Ukraine so lange blockieren, bis er mehr Geld von der EU bekommt. Ein Pole könnte im festgefahrenen Streit den Ausweg weisen.

Mehr als zwei Stunden sollen sie zusammengesessen haben, der mächtige Mann aus Brüssel, EU-Ratspräsident Charles Michel, und der mächtige Mann aus Budapest, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Am vergangenen Montag trafen sich beide in der ungarischen Hauptstadt – sie hatten einiges zu bereden. Als "nützliches Treffen" bezeichnete Orbán die Zusammenkunft mit Michel im Anschluss. Dazu teilte er ein Foto mit Handschlag, beide lächeln darauf leicht angestrengt in die Kamera.

Orbán setzt die Europäische Union unter Druck – wieder einmal. Diesmal ist die ungarische Drohkulisse existenziell: Es geht entweder um die Zukunft der EU oder um die Sicherheit der Ukraine – und damit über kurz oder lang auch um die Sicherheit der EU.

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Brüssel muss sich entscheiden: die Ukraine retten oder die EU?

Orbán erpresst die EU: Einige Tage vor Michels Besuch in Budapest hatte Orbán gefordert, beim kommenden Gipfeltreffen, dem Treffen der Staats- und Regierungschefs am 14. und 15. Dezember in Brüssel, müsse eine Grundsatzdebatte über die Ukraine-Politik der EU geführt werden. Auch eine Einigung auf weitere Sanktionen gegen Russland seien bis dahin nicht möglich. Die Ankündigung Ungarns kam einem Schock gleich: Denn eigentlich wollen die Staats- und Regierungschefs beim nächsten Gipfeltreffen den Beitrittsprozess der Ukraine anstoßen und das kriegsgebeutelte Land mit weiteren 50 Milliarden Euro bis Ende 2027 unterstützen.

Doch Orbán zieht den Joker, wie schon so oft: Solche wichtigen Entscheidungen können im Europäischen Rat nur einstimmig getroffen werden. Solange er nicht mitzieht, passiert gar nichts.

So stellt der ungarische Premier die gesamte EU, allen voran Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, vor eine schwierige Entscheidung: Retten sie die Ukraine? Oder opfern sie demokratische Standards innerhalb der EU? "Orbán zeigt deutlich, dass die Europäische Union an dieser Stelle nicht handlungsfähig ist", sagte der EU-Abgeordnete Daniel Freund (Grüne) dem Deutschlandfunk.

Orbán will endlich das Geld aus Brüssel

Denn worauf Orbán mit seiner Ankündigung eines Vetos abzielt, ist klar: Er will die Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds der EU endlich ausgezahlt bekommen. Damit könnte er seiner angeknacksten Wirtschaft (die durchschnittliche Inflationsrate wird in diesem Jahr bei 17,7 Prozent liegen) wieder auf die Beine helfen.


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Doch die EU hat das Geld eigentlich an Bedingungen geknüpft: Brüssel will, dass Ungarn den Weg zum Rechtsstaat zurückfindet. Die Auszahlung von insgesamt 13,3 Milliarden Euro an Ungarn hat die EU im Jahr 2020 gesperrt, weil dem Land Korruption und zahlreiche Verstöße gegen EU-Recht vorgeworfen werden. Dafür wurde ein eigener Rechtsstaatsmechanismus geschaffen. Die Kommission hat Sorge, dass europäische Fördergelder in dem Land nicht ausreichend vor Missbrauch geschützt sind. Bisher ist aber nicht erkennbar, dass sich Ungarn in die von Brüssel gewünschte Richtung zurückentwickelt.

EU hat Ungarn vergangene Woche 920 Millionen Euro überwiesen

Umso erstaunlicher ist, dass die EU vor dem Besuch Michels in Budapest eine Tranche in Höhe von 920 Millionen Euro nach Budapest überwiesen hat, für den Umbau des ungarischen Energiesystems. Offenbar – so analysiert es das Brüsseler Onlinemedium "EUobserver" –, um Orbán in vorauseilendem Gehorsam keinen Grund zu geben, sein Veto beim EU-Gipfel im Dezember einzulegen. "Einen dreckigen Deal darf es nicht geben", sagte der EU-Abgeordnete Moritz Körner (FDP) dem Deutschlandfunk. "Jeder Cent der EU-Gelder sollte unter der Bedingung gezahlt werden, dass die Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt", kritisierte die liberale belgische EU-Abgeordnete Hilde Vautmans den Schritt in einem Beitrag auf X (vormals Twitter).

Die Auszahlung kommt ausgerechnet in der Woche, in der Orbán seine Hauptstadt mit antisemitischen Plakaten zupflastern ließ. "Tanzen wir nicht nach ihrer Pfeife", steht auf den Plakaten. Daneben: die Köpfe von Kommissionspräsidentin von der Leyen und Alexander Soros, dem Sohn von Orbáns einstigem Förderer und heutigem Erzfeind George Soros, einem liberalen jüdischen Mäzen. Kritik an ihm mischt sich häufig mit antisemitischen Verschwörungstheorien. Außerdem sendet die Fidesz-Regierung jedem Bürger einen Fragebogen zu, was er oder sie von der EU-Unterstützung für die Ukraine halte.

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Die Maus, die freiwillig in die Krallen der Katze springt

Für Orbán muss der Brüsseler Geldsegen wirken wie die Maus, die freiwillig in die Krallen der Katze springt: Ihn könnte das animieren, noch mehr zu fordern. Denn wenn die EU ohne notwendige Verbesserungen und weitere Provokationen die ersten Millionen überweist, warum sollte sie dann mit Druck nicht auch die restlichen Milliarden schicken?

Wohl auch deswegen war Michel am Montag eilig nach Budapest gereist. Es geht darum abzuwägen, was genau Orbán fordert, was die EU ihm geben muss (und auch will). Alles läuft auf einen Showdown beim EU-Gipfel Mitte Dezember hinaus.

Wenn Europa Orbán damit durchkommen lässt, könnten sich weitere populistische Regierungen ermutigt sehen, den Rechtsstaat abzubauen, die Pressefreiheit zu beschränken, EU-Gelder zu korrumpieren. Das Angstszenario in Brüssel: Nach und nach wird die EU undemokratischer, die Arbeit in den Institutionen verhakt, die EU kann nichts entscheiden. Viele Entscheidungen müssen nämlich einstimmig gefällt werden, ein großer Kritikpunkt auch aus Deutschland.

Donald Tusk könnte Orbán stoppen

Am Ende könnte ein alter Bekannter von Orbán dessen Erpressungsversuche beenden: Der Pole Donald Tusk dürfte schon bald Ministerpräsident in Warschau werden. Er gilt als pro-europäisch, liberal – also genau das Gegenteil der Vorgängerregierung der nationalkonservativen PiS um Mateusz Morawiecki.

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Ausgerechnet dieser Morawiecki, der bei der Wahl am 15. Oktober eigentlich seine Mehrheit im Parlament verlor, wurde aber am Montag erneut von Präsident Andrzej Duda zum Premier ernannt. Allerdings wird das Kabinett von Morawiecki wohl nur zwei Wochen halten. Die Ernennung ist reine Show, um die Amtszeit der PiS künstlich zu verlängern.

Morawiecki muss sich nämlich spätestens 14 Tage nach Ernennung einer Vertrauensfrage im polnischen Parlament stellen. Diese wird er nicht überstehen, weil er keine Mehrheit hat. Danach sollte der Weg für den neuen Hoffnungsträger der EU, Donald Tusk, frei sein.

So lässt sich Orbán stoppen

Tusk, einst selbst EU-Ratspräsident, könnte dann die ewige Blockade des Ungarn beenden. Der einzige Ausweg aus den Orbánschen Erpressungsversuchen geht so:

Der Europäische Rat kann die Mitgliedschaft eines Landes suspendieren. Dabei kann auch das Stimmrecht im Rat versagt werden. Dieser Entschluss muss allerdings einstimmig (ohne den Suspendierten) fallen. Bisher war eine Abstimmung darüber, Ungarn oder Polen zu suspendieren, aussichtslos, weil sie einander geholfen und mit "Nein" gestimmt hätten.

Doch die Blockade könnte mit der Wahl Tusks vorbei sein: Der Pole steht sicher nicht an der Seite Orbáns, er würde mit den restlichen Europäern für eine Suspendierung Ungarns stimmen – oder was sicher auch ausreichen sollte: Orbán bei weiteren Erpressungsversuchen eine Suspendierung androhen. Dann hätte Orbán seine mächtigste Waffe verloren: das Veto im Europäischen Rat.

Offen bleibt, wie der neue slowakische Ministerpräsident Robert Fico sich verhalten wird: Der Linkspopulist stoppte die Militärhilfe seines Landes für die Ukraine, auch gegen neue Russland-Sanktionen sprach sich Fico aus. Doch bisher haben er und Orbán noch keine Achse Budapest-Bratislava geschmiedet. Der neu gewählte slowakische Regierungschef wird sicher auch erst einmal die Füße ruhig halten. Zu viel steht für sein – vergleichsweise kleines – Land Slowakei auf dem Spiel, wenn er sich mit Brüssel anlegt.

Ob das die Ukraine-Hilfen retten kann, ist aber weiter offen: Morawiecki ist noch bis 11. Dezember im Amt. An dem Tag will er im Parlament die Vertrauensfrage stellen – und wird ziemlich sicher scheitern. Ob Tusk bis zum EU-Gipfel drei Tage später schon Ministerpräsident ist, weiß wohl nur der Mann im Warschauer Präsidentenpalast: Andrzej Duda.

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