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Abfall oder Wertstoff: Das passiert wirklich mit Ihrem Plastikmüll


Deutsches Recyclingmärchen
Das passiert wirklich mit Ihrem Plastikmüll


Aktualisiert am 18.08.2021Lesedauer: 4 Min.
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Gelbe Tonnen stehen vor einer Hecke (Symbolbild): Viele Kunststoffe, die dort hineinkommen, werden nicht zu neuen Produkten gemacht.Vergrößern des Bildes
Gelbe Tonnen stehen vor einer Hecke (Symbolbild): Viele Kunststoffe, die dort hineinkommen, werden nicht zu neuen Produkten gemacht. (Quelle: Achim Duwentäster/imago-images-bilder)

Deutschland gilt als Recyclingnation. Doch der Schein trügt: Die meisten Abfälle aus Kunststoff werden nicht für neue Produkte genutzt.

Dem Verpackungsmüll geht es gut in deutschen Haushalten. Bevor Kunststoffe im Gelben Sack landen, gilt ihnen oftmals mehr Aufmerksamkeit als manchem Meerschweinchen: Joghurtbecher werden ausgewaschen, Schilder von Zitronennetzen abgeschnitten und Plastikfenster aus Briefumschlägen gerissen. Alles für ein Leben nach der Tonne – als Bikini, Eisbecher oder Stoßstangenhalterung aus recyceltem Plastik. Der meiste deutsche Verpackungsmüll landet aber anderswo.

Statt tatsächlich in den Recycling-Kreislauf, geht es für den größten Teil dieser Abfälle in die Müllverbrennung. Bei durchschnittlich 39 Kilogramm Plastikmüll pro Person und Jahr kommt da einiges zusammen. Laut Umweltbundesamt wurden 2019 rund 53 Prozent aller Kunststoffe bei der Entsorgung verbrannt – eine kaum vorstellbare Menge von mehr als drei Millionen Tonnen.

In Plastikmüll versteckt sich ein Klimakiller

Zwar lässt sich dadurch Strom erzeugen, gleichzeitig entstehen aber sehr viele Treibhausgase. Denn auch wenn man es einer Klarsichtfolie nicht ansieht: der Ausgangsstoff für die meisten Plastikprodukte ist Erdöl, die Klimabilanz bei ihrer Verbrennung entsprechend schlecht.

Laut der Umweltschutzorganisation WWF produziert allein Deutschland bei der Herstellung und Verbrennung von Kunststoffabfällen rund 15,3 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr – so viel, als führe man mit einem durchschnittlichen Diesel-SUV 974.522-mal rund um die Erde. Dafür, dass mehr Plastikmüll in Deutschland verbrannt als recycelt wird, gibt es mehrere Gründe.

Viele Plastikverpackungen sind inzwischen zu komplex, um weiterverarbeitet zu werden: Mehrere Schichten verschiedener Kunststoffe und chemische Zusätze helfen zwar dabei, Lebensmittel besonders haltbar zu machen. Sie lassen sich häufig aber nur schwer trennen und wiederaufbereiten.

Parkbänke statt Schokoladenfolie

Außerdem ist recyceltes Plastik nicht für jede Anwendung geeignet. Wegen möglicherweise giftiger Inhaltsstoffe dürfen beispielsweise Joghurt- und Sahnebecher nicht wieder zu Lebensmittelverpackungen werden. Das Gleiche gilt aktuell für fast alles, was in den Gelben Sack kommt.

Stattdessen werden daraus Parkbänke, Kunststoffpullover oder Standfüße für Verkehrsschilder. Ideal ist das aber nicht. Im Verpackungssystem fehlt der andernorts verwendete Rohstoff und muss durch Neumaterial ersetzt werden. Dazu kommt, dass es für die meist minderwertigeren Alternativprodukte aus recyceltem Kunststoff noch keine eigenen Kreisläufe gibt – Bänke, Bikinis und Halterungen gehen am Ende ihrer Lebensdauer in die Müllverbrennung.

Je besser die Aufbereitung, desto größer der Nutzen

"Deshalb ist es der beste Ansatz, Verpackungen und Produkte so zu konzipieren, dass sie besonders gut recycelt und für dieselbe Anwendung wieder im Kreislauf gefahren werden können", erklärt Thomas Fischer, der bei der Deutschen Umwelthilfe den Bereich Kreislaufwirtschaft leitet.

Um das für Essens- und Getränkeverpackungen zu ermöglichen, laufen bereits Antragsverfahren bei der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit. Aber selbst wenn recyceltes Plastik für mehr Anwendungen freigegeben wird: Entscheidend ist, ob die Verpackungsunternehmen mitmachen.

Recycelter Kunststoff ist Verpackungsfirmen zu teuer

Vielen Firmen ist es schlicht zu teuer, Verpackungen aus recyceltem Kunststoff zu produzieren. Sie greifen lieber auf Neumaterial zurück – im Schnitt kostet das im Einkauf 25 Prozent weniger als Recyclingmaterial, so der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft. Zumindest, solange der Erdölpreis nicht deutlich steigt.

Die Nachfrage nach sogenanntem "Kunststoffrezyklat" ist deswegen bisher gering: Nur in 11 Prozent aller Verpackungen findet sich recycelter Kunststoff, stellte die Branche in ihrer Conversio-Studie zuletzt selbst fest. Die Politik will deshalb nachhelfen.

So gilt seit Juli ein überarbeitetes Verpackungsgesetz in Deutschland. Neben dem Aus für Plastikbesteck, -strohhalme und Co. gibt es darin auch Zielvorgaben für mehr recycelte Kunststoffe in Einwegflaschen – ab 2025 mindestens 25 Prozent bei PET-Flaschen, von 2030 an dann mindestens 30 Prozent bei allen Einweggetränkeflaschen aus Plastik. Für den Recycling-Experten Fischer reicht das längst nicht.

"In vielen Anwendungsbereichen müsste der Einsatz von Rezyklat selbstverständlich sein. Waschmittel, Toilettenreiniger, Müllsäcke oder Transportverpackungen können völlig problemlos in Verpackungen aus Recyclingmaterial verpackt werden", erklärt er.

Verbraucher oder Hersteller: Wer trägt Verantwortung?

Dass der Standard noch ein anderer ist, zeigen die Selbstbeglückwünschungen der Industrie: So bekam die Firma Henkel vergangenes Jahr einen Umweltpreis dafür, dass sie eine Sorte ihres Persil-Waschmittels in Kartons verpackt, deren Kunststoff zur Hälfte aus dem Recycling kommt.

Die Frage der Verantwortung schwebt beim Thema Recycling über allem: Sind diejenigen verantwortlich, die Kunststoffverpackungen produzieren, oder die, bei denen sie in Kühlschrank, Bad oder Keller stehen?

"Weniger Fehlwürfe zwischen Restmülltonne und dem Gelben Sack steigern die Recyclingchancen bei verbrauchernahen Abfällen", sagt beispielsweise Sven Weihe, Kommunikationschef des Branchenverbandes Plastics Europe. Was er damit meint: Verbraucherinnen und Verbraucher werfen ihre Plastikabfälle zu häufig in den falschen Müll. Gleichzeitig arbeite die Branche intensiv an recyclingfähigeren Verpackungen, so Weihe.

Darauf, dass es deutlich nachhaltiger ist, Plastikabfall zu vermeiden, statt ihn bestmöglich zu recyceln, kommt er nicht zu sprechen. Die deutschen Umweltschutzorganisationen nehmen derweil Weihes Auftraggeber ins Visier: Die Verpackungshersteller kommen ihnen bisher zu leicht davon.

Steuerzahler schultern Strafabgabe

Nicht zuletzt muss Deutschland seit diesem Jahr für jedes Kilo Plastikabfall, das nicht recycelt wird, eine Abgabe von 80 Cent an die EU überweisen. Bisher holt die Regierung sich dieses Geld nicht bei den Verpackungsfirmen, sondern nimmt es aus Steuertöpfen. "Allein 2021 überweist die Bundesregierung rund 1,3 Milliarden Euro Steuergeld nach Brüssel, anstatt die Verursacher unökologischer, nicht recyclingfähiger Verpackungen in die Pflicht zu nehmen und zur Kasse zu bitten", bemängelt Thomas Fischer.

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Laut einer neuen Studie des WWF dürfte selbst die Umsetzung aller bestehenden politischen Verpflichtungen nicht reichen, um Deutschland im Umgang mit Plastikmüll auf einen nachhaltigen Kurs zu bringen. Noch immer rangiert die Bundesrepublik bei den Müllmengen auf einem der vordersten Plätze – nur zwei andere Länder in Europa produzieren noch mehr Kunststoffabfälle. Die Umweltschützer des WWF fordern deshalb ein grundlegendes Umdenken.

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Abfallvermeidung schlägt bestes Recycling

"Statt den Ex- und-Hopp-Konsum mit Infrastruktur für Verpackungsabfälle aufzufangen, müssen Abfallvermeidung und innovative Mehrwegmodelle ins Zentrum rücken", sagt die Kunststoff-Expertin des WWF, Laura Griestop. Bis 2040 soll das helfen, mehr als 20 Millionen Tonnen Kunststoff einzusparen und deutlich weniger Plastikabfälle in die Müllverbrennung zu schicken.

Während das Verpackungsgesetz die nächsten bedeutenden Schritte für Hersteller derweil erst ab 2023 vorsieht, kommt für die Haushalte schon 2022 eine große Änderung. Kommendes Jahr wird die Pfandpflicht erweitert – Aufpreis und Strichcode sollen dafür sorgen, dass dann auch weniger Einwegflaschen aus PET in Gebüsch oder Restmüll landen.

Verwendete Quellen
  • Anfrage an Thomas Fischer, Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe
  • Anfrage an Sven Weihe, Leiter Geschäftsbereich Information und Kommunikation beim Branchenverband Plastics Europe
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