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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mythos Arlberg Der Berg, der ein Phantom ist
Magisch zieht der Arlberg Skifahrer und Freerider aus aller Welt an. Doch wer über seine Hänge gleiten will, findet keinen Arlberg. Schauen Sie sich die Region auch in unserer Foto-Show an.
Wie bizarre Zuckerhauben reihen sich die Gipfel bis zum blauen Horizont. Feine Schneekristalle flirren in der klirrenden Kälte. Über uns ist nur noch die 2811 Meter hohe Spitze der Valluga. Vom kleinen Balkon der Gondelstation hoch über St. Anton bietet sich "der schönste Ausblick des Arlbergs". So heißt es in der Werbung. "Den fahren wir jetzt auch noch", sagt Jürgen euphorisch. Irgendwo muss er hier ja sein, der Berg, der Geschichte geschrieben hat.
Der erste Skiclub wurde hier 1901 gegründet
Schließlich ist er die Wiege des alpinen Skifahrens. Der erste Skiclub wurde hier 1901 gegründet und das Wedeln von einem Bauernbuben erfunden. 1903 bekam Hannes Schneider daheim in Stuben seine ersten Brettl. Er war 13 Jahre alt und ein richtiger Draufgänger: "Ich werde Geschwindigkeit ins Skifahren bringen", sagte er damals. Im Nachbarort St. Anton erkannte man sofort sein Talent. Der Telemarkschwung, mit dem die ersten Skifahrer herumstocherten, war nicht geeignet für die hochalpinen Hänge. Schneider entwickelte die Arlberg-Technik und gründete als erste Ski-Akademie der Alpen die Arlberg-Skischule. Also muss es den Arlberg ja geben.
An den lockte der kernige Naturbursche in den 30er-Jahren die Berliner Göre Leni Riefenstahl. Die spätere Hitler-Regisseurin machte ihn zum Filmstar und sich selbst zum ersten Skihaserl, indem sie mit drei Skilehrern hintereinander liiert war. Den Arlberg machte sie mit dem Streifen "Der weiße Rausch" berühmt. Den Beweis für seine Existenz liefern eigentlich jeden Winter die österreichischen Verkehrsnachrichten: "Arlbergpass nur mit Schneeketten befahrbar", heißt es dann. Der Pass aber schlängelt sich zwischen den Gipfeln der Valluga und dem Peischlkopf hinüber zum Flexen. Von einem Arlberg keine Spur.
Ist der Arlberg ein Phantom?
Den Arlberg-Tunnel gibt es ja auch noch. An dem stehen an den Winterwochenenden Autos Schlange. Er führt in Wahrheit jedoch durch den Brunnenkopf. Also wieder kein Arlberg in Sicht. Die berühmten Abfahrten in St. Anton, die das Adrenalin der Skifahrer steigen lassen, tragen Namen wie Kandahar, Galzig und Kapall, Schindlergrat, Mattun, Rendl und Albona. Der Arlberg kommt da nicht vor. Ist der etwa ein Phantom? Adi Werner, der legendäre Senior-Chef des noblen Arlberg-Hospiz in St. Christoph direkt unterhalb des Arlbergpasses, behauptet: "Nur wir sitzen auf dem Arlbergpass." Den eleganten Nachbarn Zürs und Lech will er den Titel nicht so recht gönnen. "Zürs liegt am Flexen und Lech am Tannberg." Arlbergpass hin oder her: Die Frage, wo nun der Arlberg ist, ist damit noch nicht beantwortet. "Den Arlberg, den spürst du, wenn du rüberkommst", appelliert Adi Werner da lieber an die Sinne der Skifahrer. Vor allem, wenn man Halt macht in seinem Weinkeller, den der umtriebige Hotelier wie eine Schatzkammer unter seiner urigen Hospiz-Alm angelegt hat. In der stapeln sich dicke Riesenflaschen Bordeaux mit bis zu 18 Liter kostbarem Inhalt. Da kann der weiße Rausch auch mal die Farbe wechseln.
In den 50er-Jahren hat Werners Schwiegervater das Nobelhotel gekauft. Der Grundstein dafür wurde vor mehr als 600 Jahren gelegt - von einem Schweinehirten, Heinrich dem Findelkind. Er war im Frühjahr entsetzt vom Anblick der Leichen, die auf dem Arlbergpass den Kampf gegen die Naturgewalten verloren hatten. So sammelte er Geld und baute eine Herberge, um Menschen vor dem Tod im Schnee zu retten. Die interessierten sich damals nicht für die Berggipfel, sondern nur für die kürzeste Verbindung, um von einem Tal ins andere zu kommen. Deshalb bekamen auch die Pfade einen Namen und nicht die Berge.
Mit geschickten Ideen zur berühmten Marke
"Im Sprachgebrauch war der Berg damals noch ein ganzes Landschaftsgebiet", weiß Adi Werner. Als Beweis führt er Graf Hugo von Montfort an. Der legte 1218 in einer Urkunde ein Gebiet fest: "Bis zu den Arlen." Dem Arlberg also. Denn die Arlen, das sind die Bergkiefern, die Latschen, die mit ihren grünen Nadeln aus dem Schnee spitzen und sich bis an die schroffen Felswände drücken. In Vorarlberg nennt man sie heute noch so. "Pass. Region. Marke." Das ist der Titel einer kleinen Ausstellung im romantischen Ski-Museum von St. Anton, die die Geschichte des Arlbergs erklärt. Geschickt haben ihn die Tourismusmanager zu einer weltweit berühmten Marke gemacht.
Skipädagoge Franz Klimmer, der schon den Kennedys und den englischen Prinzen den richtigen Schwung am Arlberg beibrachte, schmunzelt: "Wo der Arlberg ist, das hat mich noch nie jemand gefragt." Dabei kann er fast jeden weißen Gipfel erklären, der vor der Valluga, dem Hausberg St. Antons, in den Himmel ragt: "Der markante Dreizack ist der Patteriol mit 3056 Meter. Der nächsthöhere Berg ist die Kuchenspitze. Da drüben seht ihr den Kaltenberg, einen klassischen Skitourenberg." "Aber an welchem Berg liegt nun der Arlbergpass?", lässt Jürgen nicht locker. Studiert man die Alpenkarte, liegt er fast am Fuße des Knödelkopfs. Ob der aber ein solcher Mythos geworden wäre? Einem Knödelkopf den Buckel herunter zu rutschen klingt ja nicht gerade verlockend - auch wenn er herrliche Tiefschneeabfahrten zu bieten hat.
Weitere Informationen:
Zum Arlberggebiet gehören St. Anton, St. Christoph, Stuben, Zürs, Lech, Sonnenkopf und Warth-Schröcken mit 340 Kilometer Pisten, 200 Kilometer Tiefschneeabfahrten und 97 Liftanlagen, darunter der futuristischen Galzigbahn in St. Anton. Der Tagesskipass kostet 49,50 Euro, sechs Tage 245 Euro. Auskünfte gibt es bei den Arlberger Bergbahnen unter www.abbag.com und beim Tourismusbüro St. Anton unter Tel. 0043/5446/22690 und www.stantonamarlberg.com. St. Anton ist auch bequem mit dem Zug erreichbar. Vom Bahnhof sind es nur fünf Minuten zur Galzigbahn.