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Ureinwohner in Australien: Ist dies das klügste Volk der Erde?


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Entlegene Gruppe
Ist dies das klügste Volk der Erde?


Aktualisiert am 24.12.2024 - 17:19 UhrLesedauer: 6 Min.
Clinton Walker von Ngurrangga Tours in der Nähe von Karratha.Vergrößern des Bildes
Clinton Walker von Ngurrangga Tours in der Nähe von Karratha in Westaustralien. (Quelle: Base Imagery/Courtesy of Tourism Western Australia)
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In einer der entlegensten Gegenden des Planeten lebt ein Volk, das zu den ältesten der Welt gehört. Wer die Reise dorthin wagt, kommt mit erstaunlichen Eindrücken zurück.

Vorsichtig fingert Clinton Walker ein Stück Krabbe aus der heißen Glut. Mit einem Handgriff knackt der Ngarluma-Mann den Panzer, zuzelt mit den Zähnen das weiße Fleisch heraus und wirft die ausgelutschte Hülle zurück ins Feuer. Dann spült er mit einem Schluck Emu Lager nach. "Ich liebe Mangrovenkrabben, die sind besser als Hummer", sagt er und lehnt sich lachend in seinen Campingstuhl zurück.

Kurz bevor die Flut auf der Burrup-Halbinsel im einsamen Norden Westaustraliens anbrandete, ist Walker zur Jagd in die Mangroven gestapft und mit drei prächtigen Riesenkrabben zurückgekommen. Anschließend haben er und seine Nichte Nicky das Camp aufgebaut, Feuer gemacht und die Meeresfrüchte gegrillt, die sie gesammelt haben. In der Dämmerung sitzt der Fünfzigjährige, Nachfahre australischer Ureinwohner, an einem Strand und schaut in den funkelnden Abendhimmel. "Weißt du, wie der Mond entstanden ist?", fragt Clinton.

18 Stunden Autofahrt sind es von der Millionenmetropole Perth bis nach Karratha, der Regionalhauptstadt der Pilbara, zu der auch die Burrup-Halbinsel zählt. Mit der Propellermaschine sind es nur viereinhalb Stunden. Die Landschaft ist karg, aber betörend. Menschen kommen darin kaum vor. Gerade einmal 1,02 Einwohner pro Quadratkilometer zählt die Region im Nordwesten Australiens. Vom hektischen Treiben der Zivilisation ist hier nichts zu spüren, stattdessen überwältigt die Natur mit ihrer ätherischen Weite und verschwenderisch leuchtenden Farben.

Jahrtausendelang war die Pilbara nahezu unberührt, Menschen kamen und gingen, sie hinterließen ein Netz aus mythischen Geschichten. Es sind Geschichten über die Traumzeit, als die Welt entstand, die sich die Ureinwohner und ihre Nachfahren bis heute zuraunen.

Am Lagerfeuer erzählt Clinton eine jener Traumzeit-Geschichten. Der Mond, so hieß es bei den Ngarluma, war ein fetter und ziemlich fauler Mann – hässlich obendrein. Es gab wohl Ärger mit den Frauen, die ihn hänselten, der Mond nahm ab, doch er konnte es nicht lassen, sich den Bauch vollzuschlagen, also nahm er wieder zu. Klassischer Jo-Jo-Effekt. So geht das bis heute. "Wenn der Mond so voll ist, lässt es sich am besten jagen", sagt Clinton.

Ureinwohner als überlegenes Volk?

Clinton Walker jagt, seit er denken kann. So wie seine Eltern, seine Großeltern und alle seine Vorfahren. Seit mindestens 10.000 Jahren bevölkern die Ngarluma schon den westlichen Teil der Pilbara, gemeinsam mit ihrem Schwestervolk, den Yindjibarndi. Insgesamt reicht die Geschichte der Aborigines und Torres-Strait-Insulaner peoples auf dem fünften Kontinent sogar 65.000 Jahre zurück. Damit sind sie älter als alle anderen Kulturvölker. Seine Leute, sagt Clinton, zählten zu den kultiviertesten Menschen des Planeten. "Das ist eine Tatsache."

Aboriginal people bei einer Zeremonie in Westaustralien.
Aboriginal people bei einer Zeremonie in Westaustralien. (Quelle: CJ Maddock)

Aboriginal peoples

In Australien gibt es nicht die Aborigines. Es gibt nur mehr als 600 Einzelvölker, Clans und Stämme, die sich in ihrer Lebensart und Sprache zum Teil deutlich unterscheiden. Der Sammelbegriff Aborigines stammt aus der Kolonialzeit und suggeriert eine angebliche Einheitlichkeit der indigenen Bevölkerungsgruppen, die so nie existierte. Im Englischen werden daher die Begriffe Indigenous peoples, First nation peoples, Aboriginal and Torres Strait Islander peoples oder einfach Aboriginal peoples verwendet.

Die Ureinwohner als überlegenes Volk? Das entspricht nicht unbedingt dem westlichen Blick auf indigene Völker. Der ist meist vom stereotypen Bild des australischen Ureinwohners als primitivem Nomaden definiert. Doch dieser stark verengte Blick weitet sich seit einigen Jahren.

Lange, bevor das erste Rad rollte, die Pyramiden standen, Guttenbergs Buchdruckpresse ratterte, zogen auch Clintons Vorfahren schon durch Murujuga, wie sie das Land der Burrup-Halbinsel nennen. Sie fischten an den Küsten, pirschten durch das rote Hinterland und nutzten hoch entwickelte Techniken des Ackerbaus. Lange, bevor die Menschen in Europa das erste Brot backten, pflückten die Frauen der Ngarluma schon die Samen des Spinifex-Strauchs, mahlten daraus Mehl und machten Brot. Die Männer trugen auffällige Narben als Zeichen ihrer Jagderfolge.

Größtes Steinkunst-Museum der Welt

Clinton trägt Tattoos und eine Nike-Schirmmütze. Er fährt einen Geländewagen mit Allradantrieb und hat lange für einen Bergbaukonzern gearbeitet. Mit dem Geld, das er dort verdiente, gründete er Ngurranga Tours, ein Tourismusunternehmen, das sich auf die Vermittlung von geführten Touren auf der Burrup-Halbinsel spezialisiert hat.

Auf Fremde wirkt die Halbinsel zunächst spartanisch. Am meisten los ist am Liquor store, wo Saisonarbeiter mit staubgrauen Gesichtern gleich mehrere Kartons Bier mit Handkarren zu ihren Trucks rollen. In einer Kurve am Highway 1 taucht eine Filiale von Rosie’s Chicken auf, das Schild am Eingang verspricht "Australiens leckerstes Hühnchen", drinnen riecht es nach Frittiertem und dunkler Bratensoße. Wer nur bei "Rosie's" hält, übersieht leicht die Schönheiten der Region.

Über staubtrockene Pisten voller Schlaglöcher jagt Clinton seinen Geländewagen. Dann stoppt er den Wagen plötzlich an einer haushohen Steinhalde und steigt aus: Er zeigt auf Unmengen von Rock Art, frühzeitliche Felskunst.

In der Pilbara liegt die größte Ansammlung dieser Kunst unter freiem Himmel. Ein unvorstellbarer Schatz, den viele Australien-Besucher übersehen. Wissenschaftler schätzen, dass in der Gegend eine Million Petroglyphen lagern, frühzeitliche Artefakte, die bis zu 50.000 Jahre alt sind. Indigene Australier wie Clinton sehen in den Steinkunst-Galerien heilige Stätten. Jede Zeichnung atmet den Geist der Ahnen, jeder Stein spricht zu den Nachfahren.

"Sieht aus, als hätte jemand den ganzen Berg gesprengt"

Mit den Zeichnungen schufen die Ureinwohner Botschaften an die Gemeinschaft, Zeugnisse des alltäglichen Lebens in der Region und Wegweiser für die Nachfahren. Die Malereien zeigten, wo es das leckerste Essen gab, wo gefährliche Tiere lauerten oder die besten Orte zum Siedeln waren. "Ich sehe das als frühe Form von Social Media", sagt Clinton.

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Eine Gruppe Touristen hat auch an einer der zahlreichen Rock Art-Stätten angehalten. "Sieht aus, als hätte jemand den ganzen Berg gesprengt", sagt eine Frau aus Sydney. Chaotisch stapeln sich die Felsen, als hätte der liebe Gott eine Kiste mit rostroten Legosteinen umgeworfen.

Früher waren an der Stelle, wo heute die Felskunst liegt, hohe Bergrücken. Wind und Wetter haben die Berge abgetragen, neu angeordnet und abgeschliffen. Über Jahrmillionen hat die Natur sich hier als Bildhauerin verewigt. Später kam der Mensch und hinterließ seine Spuren. "Das sind die ältesten Felsen, die es auf unserem Planeten gibt", sagt Clinton, "und die ersten Zeichen menschlichen Lebens."

Dann brachte der moderne Mensch alles durcheinander

Die Vertretung der Murujuga Aboriginal-Gruppe hat schon vor einiger Zeit einen Antrag auf Aufnahme in die Liste der Unesco-Welterbe gestellt. Bislang steht die Region nur auf der Warteliste. Der Welterbestatus würde mehr Touristen auf die Burrup-Halbinsel bringen und dabei helfen, die heiligen Stätten vor der Zerstörung durch die Schwerindustrie zu schützen, die in Westaustralien omnipräsent ist. Es wäre auch eine Form der Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht.

Denn die Ureinwohner wurden trotz ihres enormen Wissens und ihrer erstaunlichen Fähigkeiten im Umgang mit der Natur von den Europäern unterworfen, die Eindringlinge verdrängten ihre Kultur und zerstörte ihre Lebensräume. Heute sind die Aboriginal und Torres-Strait-Insulaner peoples eine stark marginalisierte Gruppe in Australien, die gerade mal 3,8 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Politisch sind sie unterrepräsentiert und wirtschaftlich oft abgehängt. Dabei gäbe es so viel von ihnen zu lernen. Etwa im Hinblick auf Nachhaltigkeit.

"Als Jäger pflegen wir unsere Nahrungsquellen, wir schlagen keinen Profit daraus", sagt Clinton. Während anderswo etwa Thunfisch oder Hering schon so stark überfischt ist, dass es die ganze Art bedroht, nehmen sich Aboriginal peoples nur das, was sie zum Leben benötigen. Die Natur ist für sie kein Supermarkt, in dem jeder seinen Einkaufswagen nach Belieben vollpackt. "Wenn du auf die Umwelt aufpasst, passt die Umwelt auch auf dich auf", sagt Clinton.

Indigene Australier achten auf die Schöpfung und respektieren die kosmische Energie. So lebten sie jahrtausendelang. Bis der moderne Mann kam und alles durcheinander brachte. Plötzlich wurde das Ego zum Götzen, das Individuum zum Fixpunkt. Aboriginal peoples halten nichts vom Ego. Sie existieren in der Gemeinschaft, im Austausch mit den Ahnen und den Geistern der Natur.

Die Einsicht in die Natur der Dinge

Am nächsten Morgen kriecht Clinton aus seinem Zelt, zündet ein Feuer an und setzt die Kaffeekanne auf. Er schaut zum Himmel, wo die aufgehende Sonne den Mond ganz sachte beiseiteschiebt. Clinton spricht darüber, wie in der Natur alles miteinander zusammenhängt. "Der Mond sorgt dafür, dass es Gezeiten gibt, die wiederum dafür sorgen, dass es Mangroven gibt, und in den Mangroven leben Seeschnecken, die von Krabben gefressen werden, die wiederum im Maul von Seemöwen und Fischadlern landen." Und so weiter. Der Mensch, sagt Clinton, sei dabei die unwichtigste Größe.

Der Mensch, die Krone der Schöpfung? "Wohl kaum", sagt der Ngarluma-Mann und zeigt auf einen Mann, der seinen Geländewagen schon am frühen Morgen über den Strand lenkt. Jener Strand, an dem auch die Meeresschildkröten ihre Eier legen. Der Motor heult auf, der Wagen hinterlässt tiefe Spuren im Sand, der Mann am Steuer freut sich. Clinton sagt, dass Autos in diesem Naturparadies verboten sein sollten. Aber das sehen nicht alle in der Regionalverwaltung so.

Clinton hegt keinen Groll. Er fragt sich nur, wann die Menschen endlich begreifen, dass man den Planeten besser behandeln muss: "Schließlich wollen wir Menschen doch auch die nächsten 65.000 Jahre noch überleben. Oder etwa nicht?"

Einsame Strände auf der Burrup Halbinsel.
Einsame Strände auf der Burrup Halbinsel. (Quelle: CJ Maddock)

Anreise nach Westaustralien

Die Pilbara-Region befindet sich im Nordwesten Australiens, zu erreichen ist sie am besten über die Landeshauptstadt Perth. Von dort Weiterflug mit dem Air Taxi von Nexus Airlines nach Karratha oder mehrtägige Fahrt mit dem Auto/Wohnmobil. Übernachtung etwa im Karratha International oder im eigenen Wohnmobil auf ausgezeichneten Campingplätzen.

Indigene Entdeckungstour durch Westaustralien.
Indigene Entdeckungstour durch Westaustralien. (Quelle: Base Imagery/Courtesy of Tourism Western Australia)

Die Pilbara auf indigenen Traumpfaden entdecken

Clinton Walker und seine Mitarbeiter führen ihre Gäste zu abgeschiedenen Stränden, an denen Schildkröten ihre Eier legen, gemeinsam sammeln sie Bushtucker, das traditionelle Buschessen der Region, und erkunden entlegene Schluchten, wo es sich in Swimming Pools aus Naturstein baden lässt. Umgeben von Traumgeschichten und der überwältigenden Schönheit der Gegend, bieten sich Europäern geradezu spirituelle Erfahrungen. Ngurranga Tours bietet indigene Erlebnistouren, die zwischen zwei und vier Stunden oder mehrere Tage dauern.

Transparenzhinweis: Diese Reportage wurde vom Tourismusverband Westaustraliens unterstützt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtung
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