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Bahn: Pro Bahn kritisiert vor Fußball-EM marodes Netz


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Nach Warnung vor deutschen Zügen
"Das rächt sich jetzt"

  • Dorothea Meadows
InterviewVon Dorothea Meadows

Aktualisiert am 15.05.2024Lesedauer: 5 Min.
Fußballfans im Zug mit illegalem Feuerwerk: Sie können sich in angetrunkenem Zustand als Sicherheitsrisiko herausstellen.Vergrößern des Bildes
Fußballfans im Zug mit illegalem Feuerwerk: Sie können sich in angetrunkenem Zustand als Sicherheitsrisiko herausstellen. (Quelle: Vladimir Prycek/imago-images-bilder)
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Europa freut sich auf die Fußball-EM in Deutschland. Aber kommen die Fans auch pünktlich an ihr Ziel? Pro Bahn hat einen Tipp für ausländische Reisende.

In einem Monat wird die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland angepfiffen. Zum Eröffnungsspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Schottland am 14. Juni in München rollt ab 21 Uhr der Ball – aber rollen auch die Züge mit deutschen und schottischen Fans pünktlich im Hauptbahnhof der Bayernmetropole ein?

40.000 Mitglieder der "Tartan Army", wie die schottischen Fans sich nennen, werden in Deutschland erwartet. Insgesamt sollen etwa 1,9 Millionen Gäste aus dem Ausland anreisen, die auf ihren Fahrten zwischen den verschiedenen Spielorten auf die Bahn angewiesen sein werden. Für viele klingt es erschreckend, dass 36 Prozent der deutschen Fernverkehrszüge nicht pünktlich an ihr Ziel kommen.

Paul Goodwin, Mitbegründer des Verbands schottischer Fußballfans, warnte jetzt im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP sogar vor deutschen Zügen (lesen Sie hier alles dazu). Hat er recht? Droht zur EM womöglich sogar ein Verkehrschaos? Das hat t-online den Bundesvorsitzenden des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Detlef Neuß, gefragt.

t-online: Herr Neuß, am Montag musste bei Rotenburg ein ICE der Deutschen Bahn evakuiert werden, wegen eines Stromausfalls nach einem Feueralarm. Steht das sinnbildlich für den Zustand der Bahn in unserem Land?

Detlef Neuß: Ein Feueralarm im Zug ist jetzt nicht unbedingt charakteristisch. Die Hauptprobleme liegen woanders. Sie liegen beim maroden Netz. Das ist völlig auf Verschleiß gefahren worden, weil es über Jahrzehnte hinweg unterfinanziert worden ist. Da hat die Politik immer viel zu wenig Geld reingesteckt. Ein weiteres riesengroßes Problem sind spontane Störungen: Die entstehen im Regelfall durch gestörte Signale, gestörte Weichen und dergleichen – und Züge bleiben dann einfach liegen. Und ein fast genauso großes Problem ist das Personalproblem. Vor allem in der Fläche fallen massenhaft Züge aus, wenn ein Stellwerk wegen Personalmangels nicht besetzt werden kann. Wenn dann ein wichtiger Bahnhof nicht angefahren werden kann, sehe ich eine große Gefahr für den Bahnbetrieb während der Fußball-Europameisterschaft.

Womit wir beim Thema wären. Zur EM im Juni werden 1,9 Millionen Fans aus dem Ausland erwartet, die sicherlich zum großen Teil mit dem Zug unterwegs sein werden.

Wenn Züge liegen bleiben und sie Fans im Zug haben, die nicht rechtzeitig zum Spiel kommen, dann haben sie auch noch ein Sicherheitsproblem obendrauf.

Ein Mitbegründer des schottischen Fan-Verbandes hat jetzt vor der Deutschen Bahn gewarnt und seinen Mitstreitern geraten, immer einen Zug früher zu nehmen. Was sagen Sie dazu?

Ich schließe mich dieser Empfehlung an. Auch ich persönlich nehme mittlerweile immer einen früheren Zug, wenn ich irgendwo einen Termin habe. Und selbst dann ist es mir schon passiert, dass ich trotzdem zum Termin zu spät gekommen bin. Den Schotten würde ich raten, sogar einen ganzen Tag früher in München zum Eröffnungsspiel anzureisen. Dann ist man auf der sicheren Seite und es lohnt sich, sich München anzuschauen.

Glauben Sie, wir werden während der EM ein Verkehrschaos erleben?

Die Deutsche Bahn AG wird sich Mühe geben, so etwas während der Fußball-Europameisterschaft zu vermeiden und die Schäden so gering wie möglich zu halten. Aber ich halte es für fast ausgeschlossen, dass nicht doch an der einen oder anderen Stelle irgendetwas schiefgeht. Und daher ist man auch ja wirklich gut bedient, wenn man einen Zug früher fährt.

Sie sprachen das Sicherheitsproblem an. Wie groß schätzen Sie das ein?

Viele Fans werden tatsächlich auch ein Sicherheitsrisiko für die Bahn sein. Die Gewerkschaft EVG hat aus meiner Sicht nicht umsonst gesagt, dass es möglicherweise zu Arbeitsniederlegungen kommt, wenn sich die Sicherheitssituation in den Zügen als Gefährdung für ihre Mitarbeiter darstellt. Deshalb auch der Appell an die Fußballfans von unserer Seite: Treibt es nicht zu bunt, denn ihr provoziert damit am Ende, dass ihr gar nicht erst zu den Spielen anreisen könnt.


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Wenn sich beispielsweise sehr viele Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt wegen Überlastung krankmelden, dann haben Sie eigentlich den gleichen Effekt wie beim Streik.


Detlef Neuß


Könnte es während der EM tatsächlich zu einem großen Bahnstreik kommen?

Im Moment herrscht Friedenspflicht. Ob ein Streik während der EM vom Streikrecht abgedeckt ist, das weiß man nicht. Aber wenn sich beispielsweise sehr viele Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt wegen Überlastung krankmelden, dann haben Sie eigentlich den gleichen Effekt wie beim Streik.

Und dann wird es ungemütlich in deutschen Zügen.

Richtig, das ist ein echtes Problem. Vor allen Dingen, weil die Fans aus dem Ausland im Regelfall nicht mit dem Auto anreisen und sich auf einen funktionierenden öffentlichen Personenverkehr verlassen. Und ja, wenn es diesen dann nicht geben sollte, aus welchen Gründen auch immer, dann wird das schon ein Problem.

 
 
 
 
 
 
 

Die Deutsche Bahn hat einen ICE im EM-Look gestaltet und schickt ihn als eine Art Fanzone los. Könnte das als Hohn wahrgenommen werden?

So weit würde ich nicht gehen, aber es ist zumindest mutig. Die Deutsche Bahn AG ist zu hundert Prozent im Besitz des Bundes. Und auch viele Politiker nutzen natürlich solche Großereignisse wie die EM, um sich zu profilieren. Dazu gehört dann eben auch ein bunter Zug. Wenn man das Geld dafür eingespart und in die Schiene gesteckt hätte, das wäre nicht mal ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen. Da brauchen wir viel, viel mehr Geld.

Zur EM werden nach Angaben der Bahn täglich 14 Sonderzüge eingesetzt. Was, wenn die nicht pünktlich sind?

Es ist auf jeden Fall eine gute Sache, wenn man versucht, die normalen Fahrgäste, die im Zug ja auch teilweise ihre Ruhe haben wollen, von den euphorisierten Fußballfans zu trennen. Wenn man von der Arbeit im Zug nach Hause fährt, will man nicht zwischen Alkohol konsumierenden, lauten Fans eingekeilt sein.

Die Deutsche Bahn und unser Verkehrsnetz aus Autobahnen und Straßen, das war immer ein Aushängeschild für unser Land – eben eine Top-Infrastruktur. Warum ist das nicht mehr so?

45 Milliarden für die Instandsetzung des Bahnstreckennetzes waren zugesagt. Unterm Strich haben wir jetzt 27. Und es gibt Experten, die sagen, wir brauchen mindestens 60 bis 90 Milliarden, um das Netz in einen wirklich einwandfrei befahrbaren Zustand zu bekommen. Auch auf den Autobahnen haben wir Schwierigkeiten. Unsere ganze Infrastruktur ist unterfinanziert. Aber die Bahn eben ganz besonders, weil man seit der Bahnreform und auch schon vorher viel zu wenig getan hat und die Notwendigkeit, dieses System zu stärken, unterschätzt hat. Wir brauchen ein funktionierendes Bahnnetz wegen des Klimaschutzes und auch, weil unsere Städte aus allen Nähten platzen.

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Gerade in diesem Sommer wäre es bitter nötig, dass die Infrastruktur funktioniert.

Über Jahre hinweg ist viel zu wenig Geld in das System gesteckt worden, und das rächt sich jetzt. Ganz besonders, wenn wir Großveranstaltungen wie die EM haben und eigentlich mit unserer öffentlichen Mobilität mal ein bisschen protzen wollen. Also damit können wir auf keinen Fall protzen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Neuß.

Verwendete Quellen
  • telefonisches Interview mit Detlef Neuß, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn
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