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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Vertikale Hochschaubahn" Paternoster: Wo gibt es die Aufzüge noch?
In Deutschland sind noch rund 200 Paternoster in Betrieb. In öffentlich zugänglichen Gebäuden sind diese besonderen Aufzüge meist ein Besuchermagnet. Dabei sollten sie schon mehrmals stillgelegt werden.
Seine offenen Kabinen bewegen sich endlos durch zwei Schächte hindurch. Haltestellen gibt es keine. Wer mitfahren will, muss während der Fahrt einsteigen. Der Paternoster ist eine sehr spezielle Form eines Aufzugs.
"Für mich ist es ein besonderes Erlebnis, dieses heute archaisch anmutende Transportmittel zu benutzen", sagt Robin Augenstein, Doktorand an der Universität Hamburg. Er promoviert zu der Frage, wie heute und in Zukunft historische Aufzüge als technische und architektonische Denkmale erhalten bleiben können. Beim Fahren mit dem Paternoster könne man die Technik ganz unmittelbar spüren – durch die Geräusche der Zahnräder und Ketten, die Vibrationen der Kabine während der Fahrt und den Geruch von Maschinenfett.
Und Augenstein findet noch etwas anderes bemerkenswert: "Man kann aus dem Paternoster heraus die ihn umgebende Architektur ganz neu und aus anderen Blickwinkeln erfahren – sozusagen als vertikale Hochschaubahn."
Wie funktioniert ein Paternoster?
Die Kabinen dieser "Hochschaubahn" fahren in einem Schacht nach oben, in einem anderen wieder nach unten. "Das Paternosterprinzip beruht auf der Bauform von Schöpfwerken, wie sie schon in der Antike und im Mittelalter zur Entwässerung genutzt wurden", erklärt Experte Augenstein. Bei dieser hängen mehrere Gefäße an einem endlosen Seil. So sind auch die Kabinen des Paternosters an Vor- und Rückseite jeweils an einer Stahlkette befestigt. Diese wird am oberen und unteren Ende eines Schachtes mithilfe großer Zahnräder oder Scheiben umgelenkt.
Durch eine versetzte Anordnung der Ketten werden die Kabinen einfach zur Seite gesetzt und bleiben dabei in einer aufrechten Position – wer nicht rechtzeitig aussteigt, muss also keine Angst haben, auf den Kopf gedreht zu werden.
"Der Antrieb erfolgt heute durch einen Elektromotor, bis in die 1910er- und 1920er-Jahre war auch Dampfkraft gebräuchlich", so Augenstein.
Warum heißt der nostalgische Aufzug Paternoster?
Paternoster heißt übersetzt "Vater unser", der Aufzug ist benannt nach dem christlichen Gebet. Dieses ist in der Regel Teil des Gebets mit Rosenkranz, der früher "Paternosterschnur" genannt wurde. Er hat einen ähnlichen Aufbau wie der Aufzug: So wie die aneinandergereihten Perlen des Rosenkranzes beim Gebet durch die Finger gleiten, laufen die an den Ketten aufgehängten Kabinen in einer Endlosschleife.
Umgangssprachlich werden Paternoster auch "Beamtenbagger" genannt, da sie typischerweise in Verwaltungsgebäuden zu finden sind.
Wer hat den Paternoster erfunden?
Ursprünglich beförderte der Paternoster aber keine Beamten, sondern Pakete. Der erste bekannte Aufzug dieser Art wurde 1875 in das General Post Office in London eingebaut. Er war von einem Techniker namens Turner entwickelt worden (sein Vorname ist unbekannt). 1880 arbeitete ihn Peter Hart für den Personentransport um. Der "Hart's Cyclic Elevator" wurde zuerst in Geschäftsgebäuden in London und Glasgow installiert. In der Folge wurde der Paternoster als Revolution in der Aufzugstechnik gefeiert.
Fünf Jahre später kam diese Form nach Deutschland: In das neue Kontorhaus Dovenhof in Hamburg wurde ein Paternoster eingebaut, der mit Dampfkraft betrieben wurde. Mit der Zeit wurde Hamburg sogar zur Paternoster-Hauptstadt Deutschlands: 1901 gab es rund 40 Paternoster in der Hansestadt, 1905 bereits knapp doppelt so viele. 1936 fuhr Wikipedia zufolge mehr als jeder zweite der 679 Paternoster in Deutschland dort auf und ab.
In anderen deutschen Städten wurden Paternoster nicht ganz so schnell eingesetzt. In Berlin etwa verbat die Polizeibehörde noch um 1910 den Einbau dieses Aufzugstyps, weiß Robin Augenstein durch seine Recherchen. "Sie gab dazu den Hinweis, dass nur die Hamburger durch ihre Nähe zum Hafen und den dort geleisteten körperlichen Arbeiten in der Lage seien, einen Paternoster unfallfrei zu benutzen."
Einst Revolution, dann angebliche Gefahr
Die vermeintliche Unfallgefahr beim Ein- und Aussteigen führte auch bald dazu, dass deutschlandweit kritische Stimmen laut wurden. Immer wieder entfachten Diskussionen um die Aufzüge mit den offenen Kabinen, auch wegen des mangelnden Brandschutzes. Eine 1972 in Westdeutschland verabschiedete Verordnung untersagte schließlich den Bau neuer Paternoster. Gleichzeitig sah sie vor, bis 1994 alle bestehenden Aufzüge dieser Art stillzulegen. Proteste und der neu gegründete "Verein zur Rettung der letzten Personenumlaufzüge" kippten diesen Plan.
2015 trat dann eine "Betriebssicherheitsverodnung" des Bundesarbeitsministeriums für die Aufzüge in Kraft. Diese erlaubte es nur noch betriebsangehörigen und eingewiesenen Personen, einen Paternoster zu benutzen.
Das rief erneut den "Verein zur Rettung der letzten Personenumlaufzüge" auf den Plan. Er schaffte es, dass diese Verordnung bereits einige Wochen später wieder gekippt beziehungsweise angepasst wurde. Seitdem können Paternoster wieder von jedem genutzt werden – sofern die Betreiber sich verpflichten, "durch zusätzliche Maßnahmen Gefährdungen bei der Benutzung zu vermeiden". So warnen nun etwa Schilder die Nutzer vor den speziellen Gefahren bei den Personenumlaufzügen.
Wie schnell ist ein Paternoster unterwegs?
Ein solcher Aufzug befördert seine Insassen laut dem Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg mit 0,20 bis 0,45 Meter pro Sekunde.
Wie viele Paternoster in Deutschland sind in Betrieb?
In Deutschland sind noch etwa 200 Paternoster in Betrieb. Die Zahl ist laut Doktorand Augenstein aber schwer abschätzbar, da aktuelle Informationen zum jeweiligen technischen Zustand der Paternoster fehlten. Der Großteil ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich, vielen Gebäudeeigentümern erscheint das Risiko eines Unfalls zu groß, wenn Ungeübte den Aufzug nutzen.
So dürfen mit dem Paternoster im Polizeipräsidium in München oder jenem im Augsburger Finanzamt nur Angestellte fahren. Im Stuttgarter Rathaus hingegen darf jeder den Aufzug benutzen. Ein besonderes Erlebnis.
Wo gibt es noch Paternoster?
Unsere Übersicht verrät, in welchen Städten in Deutschland es unter anderem noch Paternoster gibt:
Berlin
In Berlin fahren noch etwa 30 Paternoster. Öffentlich zugänglich ist zum Beispiel jener im Bürohaus Franz-Mehring-Platz 1 am Ostbahnhof sowie einer von zweien der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) in Oberschöneweide. Im Axel-Springer-Haus gibt es zwei Paternoster, die aber nur die Mitarbeiter nutzen dürfen. Sie umfassen 20 Stockwerke und sind damit die höchsten Europas. Im Auswärtigen Amt fahren gleich sieben Umlaufaufzüge – aber ebenfalls nur für Mitarbeitende.
Im Rathaus Schöneberg befinden sich zwei Paternoster, die in der Vergangenheit auch vom Publikumsverkehr genutzt werden durften. Sie stammen aus dem Jahr 1914 und besitzen jeweils zehn Kabinen. Einer von ihnen dient auch gelegentlich für Filmaufnahmen, er kommt etwa in der Serie "Babylon Berlin" vor.
Derzeit sind beide Aufzüge aber aufgrund von Wartungsarbeiten stillgelegt, heißt es aus dem Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg. Einer sei durch Vandalismus schwer beschädigt worden, zudem sei es beinahe zu einem schweren Unfall gekommen. Ob die Paternoster nach der Wartung erneut von der Öffentlichkeit genutzt werden dürfen, sei deshalb derzeit zweifelhaft.
Frankfurt
Fünf Paternoster nur für Mitarbeitende sind im Industriepark Höchst installiert, einer im Oberlandesgericht Frankfurt. Im Flemings Deluxe Hotel bringt ein Paternoster die Gäste bis zur siebten Etage zum Restaurant und zur Dachterrasse.
Hamburg
In Hamburg gibt es noch viele der Nostalgie-Fahrstühle, so wie etwa in den Bezirksämtern Eimsbüttel und Hamburg-Nord, in mehreren Finanzämtern und in der Behörde für Inneres und Sport.
Der wohl älteste Paternoster der Welt befindet sich im Hamburger Flüggerhaus. Nach seiner Wiederentdeckung hinter einer Hartfaserverschalung und aufwendiger Restaurierung soll er im Herbst 2022 wieder in Betrieb genommen werden – allerdings nur für Angestellte in dem Kontorhaus.
Mit den zwölf Paternoster-Kabinen im Laeiszhof etwa kann auch die Öffentlichkeit fahren. Im Landgericht am Sievekingplatz ist der Aufzug zwar außer Betrieb, er kann aber noch besichtigt werden. Sehenswert sind auch die Paternoster im Levantehaus, die in beleuchtete Schaukästen mit Werbung verwandelt worden sind.
Hannover
In der Galeria Karstadt Kaufhof am Ernst-August-Platz in Hannover dreht ein Paternoster nur für die Mitarbeiter seine Runden.
Köln
In Köln können Besucher den Paternoster im WDR-Funkhaus am Wallrafplatz von außen zwar sehen, öffentlich zugänglich ist er aber nicht. Auch in den nostalgischen Aufzug in der Industrie- und Handelskammer zu Köln darf nur die Belegschaft einsteigen.
München
In München gibt es Paternoster etwa im Deutschen Patent- und Markenamt, im Kaufhof am Marienplatz und im Polizeipräsidium. Sie sind alle nicht öffentlich zugänglich. Der Aufzug im Städtischen Hochhaus (Altes Technisches Rathaus) hingegen schon. Im Moment wird er aber saniert und repariert und ist deshalb vorübergehend nicht in Betrieb, teilt das Referat für Stadtplanung und Bauordnung auf Anfrage mit.
Stuttgart
Das Stuttgarter Rathaus besitzt je einen Paternoster im Marktplatzflügel, im Altbau und in der Rathauspassage. Sie sind öffentlich zugänglich, allerdings nur unter der Woche. Die Mitarbeiter der Firma Robert Bosch und der Allianz Lebensversicherungs-AG können ebenfalls Paternoster fahren.
- Eigene Recherchen
- Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg
- Nachrichtenagentur dpa
- Duden
- Daniel Tilgner: Kleines Lexikon Hamburger Begriffe
- Wikipedia: Liste von Paternosteraufzügen
- The Elevator Museum