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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schulwechsel nach Klasse vier Das Ende der Unbeschwertheit?
Für Viertklässler steht mit den Halbjahreszeugnissen die Wahl der weiterführenden Schule an. Für viele ist dieser Wechsel nicht nur mit Erwartung und Freude verbunden. Sie sind unsicher, weil sie nicht wissen, was sie erwartet. Wir sagen, wie Eltern ihre Kinder unterstützen können.
Die renovierungsbedürftige Turnhalle des altehrwürdigen Gymnasiums platzte aus allen Nähten, als der Direktor an einem heißen Sommertag die 120 Neuankömmlinge mitsamt ihren Familien begrüßte. Die Gesichter waren allesamt ein wenig angespannter als vier Jahre zuvor. Damals traten die Kinder freudestrahlend mit leuchtenden Augen und bunten Schultüten zum "Ernst des Lebens" an. Doch glaubte man den skeptischen Mienen, begann der "Ernst des Lebens" erst jetzt - mit dem Übertritt in die weiterführende Schule.
Mehr Lehrer, mehr Fächer, mehr Hausaufgaben
Genau das machte der Direktor unmissverständlich klar: "Ihr wisst, dass es hier nicht mehr so ist wie in der Grundschule. Ihr habt viel mehr Fächer, mehr Lehrer und ihr bekommt mehr Hausaufgaben auf. Nachmittagsunterricht wird es auch geben. Außerdem werden die Zensuren nicht mehr so gut ausfallen. Ihr werdet euch daran gewöhnen müssen, dass es nun schlechtere Noten gibt als eine Drei. Immerhin bedeutet eine Vier ja ausreichend." Meistens wird der Direktor Recht behalten - vor allem, was die Noten und den damit verbundenen Leistungsdruck betraf.
Zu frühe Aufteilung
Kinder sind am Ende der vierten Klasse tatsächlich noch sehr verspielt und behütet, wenn sie den geborgenen Raum Grundschule verlassen müssen. Nach Meinung von vielen Experten ist dies einer der Gründe, warum der Übergang vielen so schwer fällt. Denn mit circa zehn Jahren könne man bei einem Schüler noch nicht endgültig entscheiden, welche Neigungen er hätte und welche weiterführende Schule gemäß seiner Fähigkeiten die beste wäre.
Die Aufteilung der Kinder nach dem vierten Schuljahr in Deutschland ist weltweit nahezu einmalig. Im europäischen und angloamerikanischen Bereich gibt es das nirgendwo. In den erfolgreichen "PISA-Ländern" bleiben die Kinder mindestens neun bis zehn, in Kanada sogar zwölf Jahre in ihrem vertrauten Klassenverband zusammen.
Nur das Abitur zählt
Als Königsweg der Schulbildung gilt hierzulande immer noch der direkte Weg zum Abitur, der die besten Berufsaussichten garantiert. Deshalb wünschen sich die meisten Eltern diesen Abschluss für ihre Kinder und versuchen am Ende der dritten und in der vierten Klasse alles daran zu setzen, dass ihre Sprösslinge gute Zensuren nach Hause bringen, um den Wechsel aufs Gymnasium zu schaffen.
Vor allem in Akademikerhaushalten und in Großstädten gilt es mittlerweile als selbstverständlich, dass der Nachwuchs die höhere Schule besucht. Die hohen Erwartungen vieler Eltern erzeugen bei den Kindern bereits am Ende der Grundschule großen Druck.
Der Ehrgeiz der Eltern
Wer es sich leisten kann, macht seinen Nachwuchs mit Nachhilfe fit für den Übertritt, beugt sich selbst über die Hausaufgaben und feilscht mit Lehrern über die Bewertungen, auch wenn in den meisten Bundesländern inzwischen die Eltern entscheiden dürfen, welche weiterführende Schule ihr Kind besucht.
Dabei könnten viele Eltern entspannter mit dem Thema umgehen, denn das deutsche Bildungssystem ist durchlässiger als gemeinhin unterstellt wird. Zahlreiche Studien belegen, dass eben nicht über das ganze Leben entschieden wird, wenn ein Schüler nicht sofort aufs Gymnasium kann. Immerhin erlangen circa 45 Prozent der Studenten ihren Hochschulabschluss über einen anderen Bildungsweg.
Mit neuen Herausforderungen umgehen lernen
Wenn der Wechsel auf eine weiterführende Schule geschafft ist, heißt es für die Kinder Einleben und Umgewöhnen. Gerade auf dem Gymnasium beginnt jetzt ein anderes Lernen und auch sonst müssen sich die jungen Schüler mit viel Neuem arrangieren.
Der Schulweg wird für die meisten Kinder länger sein. Viele müssen selbstständig öffentliche Verkehrsmittel benutzen und eventuell umsteigen.
Die Schule ist nun wahrscheinlich größer und anonymer. Es fehlt die fürsorgliche und liebevolle Atmosphäre der Grundschule. Die Kinder treffen auf viele ältere Schüler, während sie wieder die "Kleinen" sind.
Unterricht findet auch am Nachmittag statt
Es gibt mehr Fächer und viel mehr Lehrer, die nur ein Fach unterrichten. Dadurch wird es schwieriger, ein vertrautes Verhältnis zu den Pädagogen aufzubauen. Mehr Fächer bedeuten auch mehr Hausaufgaben. Diese beanspruchen normalerweise deutlich mehr Zeit als während der Grundschule.
Neu ist auch der Nachmittagsunterricht, der mit aufsteigenden Klassen vor allem im Gymnasium jährlich zunehmen wird.
Ein "anderes Lernen" ist üblich
Das größte Problem für die meisten "Neuzugänge" ist das "andere Lernen": Das Arbeitstempo nimmt zu und die Leistungsanforderungen sind wesentlich höher. Vor allem am Gymnasium wird von den Schülern erwartet zunehmend theoretisch und abstrakt in komplexen Zusammenhängen zu denken. Das setzt eine hohe Lesekompetenz voraus, ohne die man beispielsweise kompliziertere Sachtexte nicht bearbeiten kann.
Die Noten werden schlechter
Das größte "Aha-Erlebnis" wird sich bei den Zensuren einstellen. Denn gibt es die ersten Klassenarbeiten, müssen sich die meisten Schüler darauf vorbereiten, dass nun wesentlich strenger bewertet wird und es schwieriger sein wird eine Eins oder eine Zwei zu schreiben.
Die Herausforderung annehmen
Trotz dieser vielen Herausforderungen müssen Kinder keine Angst vor dem Schulwechsel haben. Denn mit Neuem und Unbekanntem umzugehen, bedeutet nicht automatisch Misserfolg zu erleben und schlechte Erfahrungen zu machen.
So können Eltern ihre Kinder unterstützen
- Fördern Sie die positive Einstellung Ihres Kindes vor dem Wechsel aufs Gymnasium beziehungsweise auf eine andere weiterführende Schule und sprechen Sie auftretende Probleme schnell an, so dass Ihr Kind sie nicht lange mit sich rumschleppt. Vermeiden Sie deshalb Sätze wie: "In der neuen Schule darfst du aber nicht mehr so verspielt sein" oder "du wirst dich noch umschauen, was da alles von dir verlangt wird". Das macht Angst und ist demotivierend.
- Ermutigen Sie Ihr Kind engeren Kontakt zu neuen Klassenkameraden zu knüpfen und unterstützen Sie es auch dabei die "alten Kumpel" weiter zu treffen. Freunde sind wichtig für das seelische Wohlbefinden.
- Versuchen Sie, dass Ihr Kind so selbstständig wie möglich die Hausaufgaben erledigt. Reduzieren Sie Ihre Hilfe auf ein Minimum. Trainieren Sie mit Ihrem Kind, jeweils zwanzig Minuten am Stück zu arbeiten. Dann eine Pause von fünf Minuten einlegen, bevor man weiter lernt. Unterstützen Sie Ihr Kind dabei einen Hausaufgabenrhythmus zu finden und diesen einzuhalten. Nur feste Zeiten helfen bei einer regelmäßigen Bewältigung des Lernstoffs. Länger als zwei Stunden sollten die Aufgaben jedoch nicht dauern.
- Bei den Vorbereitungen auf Klassenarbeiten, Vokabeltests oder Präsentationen ist meist eine längerfristige Zeitplanung nötig. Hier sollten Sie anfangs Ihr Kind mit "begleitender Kontrolle" beim Timing und bei der Portionierung des Lernstoffs unterstützen. Im Laufe des fünften und sechsten Schuljahres wird es dann immer mehr lernen sich eigenverantwortlich und selbstständig zu organisieren.
- Achten Sie auf Ausgewogenheit zwischen Anspannung (Lernen) und Entspannung (Hobby, Sport, Freunde). Nur wer gedanklich auch mal loslassen kann, wird beim Lernen die volle Konzentration abrufen können.
- Lassen Sie Ihrem Kind bei der Eingewöhnung Zeit und erwarten Sie in den ersten Wochen nicht, dass es zu Höchstform aufläuft: Zeigen Sie Geduld und Verständnis, wenn die Noten schlechter sind als in der Grundschule. Vertrauen Sie Ihrem Kind einfach und bewahren Sie einen kühlen Kopf. Mit Lob, Anerkennung und Aufmunterung ist Ihr Nachwuchs besser beraten als mit zusätzlichen Druck.