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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Das sagen Experten Das sind die zehn schlimmsten Erziehungssünden
Gute Eltern werden nicht geboren, zu guten Eltern kann man sich entwickeln. Mit viel Liebe, Respekt und einem Verhalten, das sich abzuschauen lohnt. Erziehungsexperte Ulrich Gerth spricht mit t-online.de über Erziehungssünden von Eltern.
Klappt es in Deutschland mal wieder nicht so richtig mit der Erziehung und häufen sich die Negativschlagzeilen, dann wird regelmäßig der Ruf nach einem Erziehungsführerschein laut. Zu Unrecht, findet der Vorsitzende der Bundeskonferenz der Erziehungsberatung (bke), Ulrich Gerth.
"Ich glaube, ein Erziehungsführerschein ist nicht notwendig. Denn wenn man respektvoll mit seinen Kindern umgeht, dann ist das bereits die halbe Miete. Wer zusätzlich noch auf seine Gefühle hört und sich auch mal traut, bei auftretenden Problemen den Rat anderer einzuholen, kommt prima klar. Und zwar ohne dass sein Erziehungswissen abgeprüft werden muss." Schmunzelnd fügt er hinzu: "Vielleicht braucht er dann nicht mal einen Erziehungsratgeber!"
Die schlimmste Erziehungssünde ist Gewalt jeglicher Art
Auf die Frage, welche Erziehungssünde er als die Schlimmste ansieht, weiß Ulrich Gerth sofort eine Antwort: "Die schlimmste Erziehungssünde ist in meinen Augen Gewalt und zwar nicht nur körperliche, sondern auch seelische." Also Herabsetzung, verletzende Äußerungen und Erniedrigungen.
Nicht so streng mit sich selbst sein
Jeder Mutter, jedem Vater rutscht einmal etwas heraus, was er oder sie nicht sagen wollte und jeder von uns macht seine Fehler in der Erziehung, die er oft schon bereits kurz danach erkennt und bereut. Nicht selten machen sich Eltern fürchterliche Vorwürfe, wenn sie sich dem Kind gegenüber mal nicht so verhalten haben, wie sie es von sich selbst erwarten.
Doch da kommt Trost vom Fachmann: "Kinder sind ziemlich fehlertolerant. Sie können Erziehungsfehler ganz gut wegstecken." Wichtig ist, dass man selbst erkennt, dass hier an dieser Stelle etwas schiefgelaufen ist, dass man darüber nachdenkt, sich Rat holt und versucht, eine entsprechende Situation in der Zukunft anders zu lösen.
"Man muss sich hier nicht total unter Druck setzen", beruhigt der Diplom-Psychologe. "Wenn solche Erziehungsfehler aber dauernd auftreten, abwertende Äußerungen dazukommen, Freiräume mehr beschnitten werden als nötig und das Kind entwertet wird, dann kommt man immer mehr in Richtung seelischer Gewalt." Und damit in Richtung Erziehungssünde Nummer eins.
Konsequenz nicht um jeden Preis
Nach einem Blick in oder auf die derzeit gängigen Erziehungsratgeber glauben viele, dass Konsequenz das Allheilmittel in der heutigen Erziehung ist, und wer diese nur androht, aber nicht erfüllt, letztendlich eine Erziehungssünde an dem Kind begeht. Doch auch hier kann Ulrich Gerth Eltern beruhigen.
"Natürlich sind wohlüberlegte Konsequenzen ein gutes Mittel in der Erziehung. Aber manchmal muss man sich auch eingestehen können, dass man sich verrannt hat." Wichtig ist dabei, dem Kind gegenüber altersgerecht zu begründen, warum man nicht konsequent ist.
Zu erklären, dass man die ein oder andere Strafe aufhebt, weil man sie nach reiflicher Überlegung doch für falsch oder überzogen hält oder weil man sich hat von besseren Argumenten überzeugen lassen. So gibt man dem Kind die wichtige Chance, daraus sogar etwas zu lernen.
Erziehungssünde mangelnder Humor
Ralph Dawirs und Gunther Moll, Professoren für Neurobiologie beziehungsweise Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Erlangen, prangern in ihrem Buch "Die zehn größten Erziehungsirrtümer und wie wir es besser manchen können" mangelnden Humor als eine der großen Erziehungssünden an.
"Gibt es eine schönere Art der Vorsorge für eine gesunde Entwicklung Ihres Kindes als die Humorerziehung?" heißt es dort. Die beiden Wissenschaftler raten dazu, Formen des erwachsenen Humors wie Ironie im Umgang mit kleinen Kindern erst einmal beiseite zu lassen, den eigenen Humor aber zu pflegen oder notfalls zu reaktivieren. "Denn eines ist sicher, Sie werden ihn auch in Zukunft brauchen."
Das sind die zehn schlimmsten Erziehungssünden
1. seelische und körperliche Gewalt
Ein Kind zu schlagen oder es seelisch mit Herabsetzungen und verletzenden Äußerungen zu entwürdigen, hat zum Teil fürchterlichen Folgen für das Kind.
2. Liebesentzug
Bewusst als Mittel der Bestrafung eingesetzt ist Liebesentzug eine grausame Methode. "Nicht alle Eltern sind in der Lage, ihren Kindern Liebe zu geben, was oft mit der eigenen Geschichte zusammenhängt. Sie allerdings gut und respektvoll zu behandeln, das ist jedem möglich.“
3. Desinteresse
Kinder sind stolz auf das, was sie gemacht haben und wollen mitteilen, was sie erlebt haben – hier deutliches Desinteresse oder gar Überheblichkeit an den Tag zu legen, tut dem Kind weh und setzt es herab. Manchmal genügt schon ein kurzer Moment, in dem man seine Tätigkeit unterbricht und dem Kind bewusst zuhört.
4. Ein schlechtes Vorbild sein
Karl Valentin hat mal gesagt: "Wir können Kinder nicht erziehen, die machen uns doch eh alles nach." Erziehung lebt durch Vorbild. Man kann noch so viel reden, wenn man das Gegenteil davon vorlebt, wird man keinen Erfolg damit haben. "Eltern aber, die sich unter Druck setzen, um nur ja kein schlechtes Vorbild abzugeben, die wirken gekünstelt.“ Und werden von ihren Kinder schnell durchschaut. Der Trost: Man muss nicht perfekt sein, um ein gutes Vorbild darzustellen.
5. Kind als Statussymbol missbrauchen
Ein Kind ist als Statussymbol völlig ungeeignet. Und doch scheint es manchmal so, als solle das fein herausgeputzte Kind die Eltern gesellschaftlich aufwerten. "Da fehlt der Respekt vor der Würde des Kindes, es wird so seiner Persönlichkeit beraubt."
6. Mit anderen Eltern konkurrieren
"Das sollte man unbedingt vermeiden, weil Wettbewerb hier nicht wie auf dem freien Markt die Qualität steigert. Kinder lassen sich nämlich nicht vergleichen“, warnt Gerth. Jedes Kind ist anders, alle Eltern sind anders und der "Entwicklungsfahrplan" sowieso. Ein Vergleich setzt nur den Fokus auf etwas, was das Kind noch nicht kann, statt seine Fähigkeiten zu stärken.
7. Überforderung
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und viel zu häufig wird das auf die Kinder projiziert. Dahinter steht die durchaus gut gemeinte Absicht, dem Kind möglichst viel an Bildung mitzugeben. Die daraus entstandene Förderindustrie freut sich über satte Gewinne. Den Kindern allerdings wird die kindliche Spontaneität und das freie Spiel - beides ausgesprochen wichtig für die persönliche Entwicklung - dadurch versagt.
8. Unterforderung
Ein Kind zu unterfordern ist genauso schlecht wie es zu überfordern. Wenn man gar nichts mit dem Kind unternimmt, ihm nichts von der Welt um es herum zeigt und erklärt, ihm nicht hilft, seinen Weg zu finden, dann ignoriert man die kindlichen Bedürfnisse.
9. Reizüberflutung
In unserer schnelllebigen Zeit muss man sein Kind vor zu vielen Reizen, der so genannten Reizüberflutung schützen. Nicht das Fernsehen, das Smartphone oder der Computer an sich sind schlecht. Schlecht ist ein falscher Umgang mit den Medien: ein unkontrolliertes Zuviel.
10. Kumpelverhältnis zum Kind
Dass sich ein Kind mehr oder weniger von seiner Geburt an von seinen Eltern löst, ist der normalste Vorgang der Welt. Und vor allem in der Pubertät ist es wichtig, seinen eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden und sich abzugrenzen den Eltern gegenüber. Sind Eltern zu "junggeblieben" oder kumpelhaft, verwirren sie das Kind nur und behindern es in seinem Weg in die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit.
So gehen Eltern am besten mit Kritik um
"Was, das Kind schläft noch bei euch im Bett?" "Also ich würde mein Kind ja nie so viel Fernsehen lassen". Oder: "Der hat euch schon ganz schön im Griff!" Wer Kinder hat, dem mangelt es nicht an Ratschlägen oder unverhohlener Kritik von außen. Für Eltern ist dieses Trommelfeuer manchmal schwer auszublenden und irgendwann zweifeln sie: Machen wir alles richtig? Haben die Schwiegereltern vielleicht doch Recht? Auch wenn es schwer fällt – am besten bleiben Eltern in solchen Situationen locker. "Und sie sollten sich fragen: "Ist mir der Mensch wichtig, von dem die Kritik kommt?"", rät Ulric Ritzer-Sachs von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung.
Lautet die Antwort darauf "Ja", könne man sich den Tipp oder die Kritik in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Bei allen anderen lautet die Devise: Ohren auf Durchzug stellen und ignorieren. "Wenn sowas häufiger passiert, legt man sich vielleicht schon ein paar Sätze zurecht, was man darauf sagen kann."
Bei engen Freunden oder Verwandten können Eltern nach Kommentaren zum Kind auch gerne den Ball zurückspielen und fragen: "Was schlägst du denn vor, wie ich darauf reagieren kann?" Ob man den Vorschlag dann in Erwägung zieht oder nicht, sei ja jedem selbst überlassen.