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Erica Fischer: "Als alte Frau werde ich heute nicht mehr ernst genommen"


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Bestseller-Autorin Fischer
"Alte Frauen verlieren ihre Sichtbarkeit"

  • Claudia Zehrfeld
InterviewVon Claudia Zehrfeld

Aktualisiert am 13.04.2021Lesedauer: 7 Min.
Erica Fischer: Die Autorin gründete Anfang der 1970er Jahr die Neue Frauenbewegung in Wien mit.Vergrößern des Bildes
Erica Fischer: Die Autorin gründete Anfang der 1970er Jahr die Neue Frauenbewegung in Wien mit. (Quelle: Jennifer Endom)
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Frauen haben es deutlich schwieriger im Alter als Männer, kritisiert Bestsellerautorin Erica Fischer. Im Interview spricht die Feministin über die Mechanismen dahinter, über den Verlust der Sichtbarkeit und den Schock beim Blick in den Spiegel.

"Ich bin alt", sagt Erica Fischer. Die 78-jährige Bestsellerautorin ("Aimée & Jaguar") hadert nicht mehr mit ihrem Alter. Sie hat sogar ein Buch darüber geschrieben ("Alt. Na und?"). Was sie aber stört: dass es die Gesellschaft besonders Frauen schwer macht, älter zu werden.

Ein Gespräch über den Verlust der eigenen Sichtbarkeit, Überraschungen im Spiegel, und darüber, was ihr jetzt Freiheit verleiht – per Mobiltelefon, denn da hört Fischer besser als mit dem Festnetztelefon, wie sie sagt. "Das Alter."

t-online: Frau Fischer, viele Schriftsteller beschreiben das Altwerden als einen empörenden Vorgang, auch Sie. Was empört Sie denn daran?

Erica Fischer: Wenn man jung ist, ist das Älterwerden so abstrakt und so weit weg, dass man sich keine größeren Gedanken darum macht. Doch eines Tages wird es plötzlich zum Thema – weil der Blick in den Spiegel ein Schock ist. Und bei Frauen ist das ein noch größerer Schock als bei Männern.

Warum?

Weil bei ihnen Aussehen, Jugendlichkeit, ein straffer Körper und ein faltenloses Gesicht einen größeren Stellenwert haben als bei Männern. Denn die haben anderes anzubieten – oder man denkt zumindest, dass sie anderes anzubieten haben.

Alt werden ist nicht nur ein empörender Vorgang, sondern auch eine "unerhörte Verletzung der Eigenliebe", schreiben Sie in Ihrem neuen Buch. Bedeutet das, man verliert im Alter ein bisschen die Liebe zu sich selbst?

Nein, das meine ich nicht. Ich meine nur, dass man – Frauen ebenso wie Männer – ein inneres Bild von sich selbst hat, das offensichtlich in der Jugend geprägt wurde. Wenn man dann plötzlich im Spiegel sieht, dass dieses nichts mehr mit dem Status quo zu tun hat, ist das eine Verletzung der Eigenliebe. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass die alte Frau oder der alte Mann im Spiegel man selbst ist. Aber das äußere Ich im Spiegel stimmt nicht mit dem überein, was man innerlich empfindet.

Wie alt ist denn Ihr inneres Ich?

Ich würde sagen, es ist so Mitte dreißig. Da war ich auf dem Höhepunkt meiner Kraft und habe eine gesellschaftliche Rolle als Feministin gespielt, damals in Wien. Das war eine Zeit, in der ich sehr glücklich war. Ich hatte unglaubliche Hoffnungen, dass ich dazu beitragen kann, dass sich in der Gesellschaft etwas positiv für Frauen verändert.

Ihr chronologisches Alter beträgt hingegen 78. Verraten Sie das Menschen, die danach fragen?

Ja, ich stehe mittlerweile dazu. Das hat mich in gewisser Weise befreit. Mein neues Buch heißt mit Absicht "Alt". Denn mit 78 Jahren ist man einfach alt. Wann sollte man sonst alt sein, wenn nicht mit Ende 70?

Früher hingegen haben Sie Ihren Verlag darum gebeten, Ihr Alter in Ihrer Biografie nicht zu erwähnen.

Das stimmt. Ich habe mich erst in den vergangenen Jahren dazu durchgerungen, mein Alter zu nennen. Mit 50 war das ganz anders. Da habe ich es verschwiegen. Mit 50 ist es ganz klar, dass man in die zweite Lebenshälfte eintritt. Das wollte ich nicht so zeigen.

Erica Fischer, Jahrgang 1943, wurde in England als Tochter von Emigranten geboren. Sie kehrte später nach Wien zurück, wo sie sich in der österreichischen Frauenbewegung engagierte. Die Autorin der dokumentarischen Erzählung "Aimée & Jaguar" arbeitet als Journalistin und Schriftstellerin. Sie lebt heute in Berlin.

Sie sind bei Weitem nicht die einzige Frau, die ihr Alter verschweigt beziehungsweise verschwiegen hat. Was steckt denn dahinter?

Frauen haben Angst, dass sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, wenn man weiß, wie alt sie sind. Dahinter steckt vor allem der Bezug zu Männern. Denn Frauen sind ungefähr ab 50 nicht mehr als Sexualpartnerin interessant. Ihnen wird dann die erotische Anziehungskraft abgesprochen. Im Beruf wird es ebenfalls schwierig, Frauen ab 50 finden nur schwer einen neuen Job. Dieses Problem hatte ich zwar nie, weil ich freiberuflich tätig war. Aber auch ich hatte immer die Angst, dass ich marginalisiert werde.

War die Angst berechtigt?

Ja, tatsächlich passiert das genau so: Als alte Frau werde ich heute nicht mehr so wirklich ernst genommen und oft übergangen – wenn ich überhaupt gesehen werde. Alte Frauen verlieren ihre Sichtbarkeit. Das ist nicht angenehm.

Wie äußert sich das konkret?

Ich habe es zum Beispiel bemerkt, als ich einmal allein in einem Restaurant saß. Der Kellner ging an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Er hat Paare und Gruppen bedient. Nur mich nicht. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich in einem Spanischkurs. Ich habe mich des Öfteren gemeldet, aber der Lehrer hat mich übergangen. Das war sehr verletzend. Und ich nehme an, wenn ich ihm das vorwerfen würde, würde er es leugnen, weil es ein unbewusstes Verhalten war.

Haben es Frauen in unserer Gesellschaft also schwerer zu altern als Männer?

Ja, eindeutig. Männer werden einfach nicht oder nur wenig nach ihrem Aussehen bewertet. Sie werden mehr danach bewertet, ob sie witzig sind oder ob sie Geld haben. Zudem bekommen Frauen 60 Prozent weniger Rente als Männer. Das hat etwas damit zu tun, dass sie weniger verdienen als Männer, es hat mit ihrer Lebensbiografie zu tun, mit den Kindern und damit, dass sie oft keinen durchgehenden Arbeitsverlauf haben. Das rächt sich im Alter. Und das ist etwas sehr Empörendes, weil man im Alter eher mehr Geld braucht als in jungen Jahren. Schließlich muss man ab und zu mit dem Taxi fahren oder auf Reisen in besseren Hotels absteigen.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass es zwar schade ist, dass man im Alter die erotische Anziehungskraft verliert. Gleichzeitig könne es aber auch entlastend sein. Warum?

Zum einen muss man sich nicht mehr kümmern um solche Dinge. Ich schminke mich zwar und ziehe mich gerne schön an, aber das mache ich für mich selbst. Es ist kein Druck mehr da, dass ich besonderen Vorgaben an Weiblichkeit entsprechen muss. Und auch ich bin nicht mehr darauf aus, dass mich irgendjemand noch erotisch interessant findet. Das wäre auch unsinnig.

Und zum anderen?

Ich muss keine Angst mehr haben, belästigt zu werden. Frauen verbringen einen Großteil ihres jüngeren Lebens damit, Belästigungen abzuwehren. Es ist wirklich angenehm, wenn das wegfällt.

Sie schreiben sogar, dass Sie durch den Verlust der erotischen Anziehungskraft mehr Sie selbst sein können.

Ja, man kann sich dann auf das Wesentliche konzentrieren. Und das Wesentliche ist für jede Frau etwas anderes. Für mich ist es nach wie vor die Arbeit. Andere Frauen haben Enkelkinder oder einen großen Freundinnenkreis, mit dem sie verreisen. Ich habe zum Beispiel eine Freundin, deren Mann gestorben ist. Sie ist jetzt 81 und aktiver als je zuvor.

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Gibt es etwas, das Sie mit dieser Erfahrung Ihrem 50-jährigen Ich, das mit dem Altern hadert, heute sagen würden?

Ich denke, das Hadern gehört einfach zum Alterungsprozess dazu. Das kann man nicht überspringen. Und es hängt sicher auch von der jeweiligen Lebenslage ab. Ich habe mich zum Beispiel mit 50 scheiden lassen und das war eine traumatische Erfahrung. So etwas verschärft natürlich das Gefühl: Jetzt bist du allein und wirst nie mehr jemanden finden. Was ich dazu meinem 50-jährigen Ich und allen anderen Frauen sagen würde, ist, dass Frauen heutzutage durchaus im Alter noch einen Partner finden können.

Wenn sie das überhaupt wollen.

Ja, genau. Frauen bleiben schließlich viel jünger als Männer – also in dem Sinne, dass sie mehr Interesse an der Welt haben, kulturell mehr interessiert und insofern lebendiger sind. Männer hingegen machen irgendwie ab einem gewissen Alter zu, vor allem, wenn sie in Rente gehen. Viele Männer sind deshalb für Frauen meines Alters nicht interessant. Da bleiben die Frauen lieber allein oder haben eben einen großen Freundinnenkreis als sich mit einem Mann abzumühen, der keine Interessen mehr hat.

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Glauben Sie, dass weniger attraktive Frauen auch weniger Probleme mit dem Älterwerden haben, weil Sie den Verlust der Schönheit nicht ganz so stark erfahren?

Das kann sein. Das habe ich mich auch gefragt. Aber es ist ja auch nicht bei allen gleich. Ich wurde von meiner Mutter einerseits sehr emanzipatorisch erzogen, sollte einen Beruf ergreifen, studieren und so weiter. Aber gleichzeitig wurde ich auf Schönheit getrimmt. Sollte gut gekleidet und hübsch sein. Das hat sich mir eingegraben. Es war für mich lange Zeit das Wesentlichste. Oft denke ich mir, ich habe viel Zeit damit verplempert, mich auf mein Äußeres zu konzentrieren, anstatt etwas Wichtigeres zu machen. Ich hatte immer einen Mangel an Liebe und war sehr abhängig davon, dass Männer mich begehren. Insofern war es für mich vielleicht schwerer älter zu werden als für manche andere.

Das klingt gar nicht mal so feministisch. Dabei haben Sie sich jahrelang für Frauenrechte eingesetzt. Warum gelingt es selbst Ihnen nicht, sich von dem patriarchalen Blick zu lösen?

Erstens war ich in jungen Jahren, wo mein Selbstbild als Frau geprägt wurde, noch nicht Feministin. Das kam erst später. Zweitens muss ich aber auch selbstkritisch sagen, dass mich der Feminismus nicht geschützt hat vor dieser Depression, die eintritt, wenn ich in den Spiegel schaue und älter werde. Das ist jetzt vorbei, aber das war da. Und der Feminismus hat mich natürlich auch nicht geschützt vor dem Bedürfnis, eine Liebesbeziehung mit einem Mann zu haben. Natürlich habe ich mir Männer gesucht, die mich als Feministin respektiert haben. Aber trotz alledem kann der Feminismus den patriarchalen Blick nicht beseitigen.

Bei all den Schwierigkeiten, mit denen eine Frau im Alter zu kämpfen hat: Was ist denn im Alter besser geworden?

Bei mir ist es eindeutig das Selbstbewusstsein. Wenn ich daran denke, wie schüchtern ich als Teenager und als junge Frau war und wie ich mir nichts zugetraut habe … Und wie die ganze jugendliche Schönheit mir überhaupt nicht geholfen hat. Mit 30 habe ich begonnen, mich im Feminismus zu engagieren und dadurch habe ich Selbstbewusstsein erlangt. Da habe ich auch nicht mehr drüber nachgedacht, wie ich ausschaue, wenn ich demonstriere und die Faust hebe.

Und noch etwas?

Oh ja – ich kann endlich bequeme Schuhe tragen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Fischer.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Erica Fischer
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