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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Immer heißt es: Corona ist schuld" Wie es ist, wie ein Virus zu heißen
Corona ist ein ernstzunehmendes Virus, das auf der ganzen Welt grassiert. Corona ist aber auch ein Vor- und Nachname, den Menschen in Deutschland tragen. Das hat Auswirkungen auf ihr Leben.
"Hallo, ich heiße Corona." Wenn sich Corona Maule aus Berlin vorstellt, erntet sie oft ungläubige Blicke. "Viele wollen dann meinen Ausweis sehen, weil sie es nicht glauben können", sagt die 45-Jährige. Denn mit Corona verbinden im Jahr 2020 die meisten das gleichnamige Virus. Dass Corona seit Jahrhunderten auch ein Mädchenname ist, ist vielen nicht bekannt. Der Name geht vermutlich auf die Heilige Corona zurück, eine Märtyrerin, die im zweiten Jahrhundert lebte. Im Lateinischen steht er für "Kranz" oder "Krone".
"Corona ist Schuld"
Trotz der anmutigen Bedeutung hat der Name in Zeiten der Pandemie seine negativen Seiten. "Ich habe so meine Ambivalenzen mit dem Namen", sagt Corona Maule im Gespräch mit t-online. Sie finde ihn zwar sehr schön und besonders. Aber im Frühjahr habe er sie sehr bedrückt, weil das Wort so negativ belastet ist. "Die Leute haben dieses Jahr ganz viele Einschnitte in ihrem Leben gehabt. Und immer hieß es: Corona ist Schuld", sagt Maule. "Das hat auch mit mir etwas gemacht. Ich musste mich tatsächlich ein Stück weit abspalten von meinem Namen."
Denn beim Spaziergang witzelte ihre Begleitung "Jetzt habe ich Corona", ein Postbote wünschte ihr angesichts ihres Namens "herzliches Beileid". Und jeden Tag heißt es irgendwo "Gemeinsam gegen Corona". "Ich fahre viel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und dort höre ich ständig meinen Namen", so Maule. Wenn Passanten über das Virus reden oder bei Durchsagen. "Eine Zeit lang war das wirklich massiv und ich fühlte mich ständig angesprochen", erinnert sich Maule. "Heute laufe ich nur noch mit Kopfhörern durch die Gegend, damit ich das nicht wahrnehme. Ich muss mich abschotten."
Oft merkten die Menschen um sie herum gar nicht, welche Tragweite es für jemanden hat, der Corona heißt. In Gesprächen macht Maule mittlerweile darauf aufmerksam, wie es ihr damit geht, wenn das Virus mit Corona bezeichnet und dann negativ darüber gesprochen wird.
Auch Maules Unternehmen trägt ihren Vornamen. In Berlin gibt sie in ihrem Atelier Nähkurse, erledigt Auftragsarbeiten. Wenn sie Werbeanzeigen dafür schaltet, nennt sie den Namen ihres Gewerbes mittlerweile nicht mehr. Sie habe Angst, dass "CoronaM" abschreckend wirken könnte.
Corona ist nicht nur ein Vor-, sondern auch ein Nachname
Etwas anders ist das bei Carlos Corona. Der Berufsmusiker aus Berlin heißt mit Nachnamen so wie das Virus, sieht darin aber kein Problem für seine Karriere. Im Gegenteil: "Ich hatte das Gefühl, dass viele nur zu meinen Konzerten gekommen sind, um einmal das 'Corona-Gesicht' zu sehen", sagt der Gitarrist. "Ich denke, es gibt keine schlechte Werbung."
Dennoch musste auch er dieses Jahr ein wenig mit seinem Namen hadern. Er sei enttäuscht darüber, dass in deutschen Medien der Name des Virus oft nur zu Corona verkürzt wird. "Das ist doch ein Fehler in der Bedeutung", sagt er. "Sie müssten es dann eigentlich 'Krone' nennen." In vielen anderen Ländern werde die Bezeichnung Covid-19 gewählt, das finde er besser. So etwa auch in seinem Heimatland Mexiko. In spanischsprachigen und lateinamerikanischen Ländern sei Corona als Nachname häufig. "In Mexiko gibt es zudem sehr viele Marken, die so heißen", berichtet der 30-Jährige. Das bekannteste Beispiel ist wohl das Corona-Bier.
Über 60 Frauen in Deutschland heißen Corona
In Deutschland ist Corona als Name vergleichsweise selten. 184 Menschen haben den Familiennamen Corona und weitere 160 Korona. Den Vornamen Corona/Korona erhielten laut der Datenbank der Gesellschaft für deutsche Sprache in den vergangenen zehn Jahren knapp über 20 Neugeborene. Insgesamt gibt es hierzulande mindestens 68 Frauen, die so heißen, heißt es aus dem Namenkundlichen Zentrum der Universität Leipzig. Gabriele Rodríguez, die dort als Namenberaterin arbeitet, bestätigt, dass der Name heutzutage eher selten eingetragen wird. "Und wenn, dann vor allem in Süddeutschland beziehungsweise in katholisch geprägten Gebieten."
Hobby-Namensanalytiker Knud Bielefeld fügt hinzu: "Die meisten Namensträgerinnen haben einen italienischen oder spanischen Migrationshintergrund." Bielefeld hat in seiner Vornamendatenbank für das Jahr 2020 bisher noch kein Mädchen mit diesem Namen erfasst.
Gabriele Rodríguez wundert das nicht. Sie geht davon aus, dass der ohnehin seltene Vorname künftig noch seltener vergeben wird. "Allerdings gibt es immer wieder Fälle, bei denen die Kinder als Zweit- oder Drittnamen noch einen Heiligennamen, in dessen Schutz sie gestellt werden, bekommen", sagt sie. "Vereinzelt erhalten Kinder auch einen weiteren Namen zum Rufnamen, der sich auf ein Ereignis bezieht." 2020 könnte das die Pandemie sein. Dafür hat sich offenbar bereits ein Paar aus Rotenburg in Niedersachsen entschieden. Einem Medienbericht zufolge hat es seinem Sohn den zweiten Vornamen Corona gegeben.
Frauke Rüdebusch von der Gesellschaft für deutsche Sprache rät davon ab, sein Kind so zu nennen, zumindest, wenn der Name als Einzel- oder Erstname dienen soll. "Darunter könnte das Kind leiden – gerade, wenn es dann mit dem Geburtsjahr 2020 oder auch 2021 in Verbindung gebracht wird." Corona sei kein Name mehr, der leichthin gesagt wird, ohne Assoziationen hervorzurufen. "Corona ist jetzt einfach in aller Munde, das wird niemand so schnell vergessen können."
Es sei etwas so Schwerwiegendes und Negatives in unserer Gesellschaft. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Eltern ihrem Kind so etwas aufbürden wollen, geschweige denn, dass Standesämter das akzeptieren würden." In Deutschland entscheiden die zuständigen Standesämter, welche Namen eingetragen und welche abgelehnt werden. Sie richten sich dabei nach den Namensrichtlinien. Die sehen etwa vor, dass keine lächerlich wirkenden Namen gewählt werden dürfen oder welche, die sich wahrscheinlich als lebenslange Belastung erweisen. In ihrer Funktion als Vornamenberatungsstelle berät die Gesellschaft für deutsche Sprache aus sprachlicher Sicht. "Bisher hatte ich aber weder von Standesämtern, noch von Eltern eine Anfrage zu Corona", sagt Rüdebusch zu t-online.
Eine Namensänderung ist möglich
Und wenn man den Namen bereits trägt? "Wenn man noch einen zweiten Vornamen hat, ist das ganz einfach, dann kann man Corona unter den Tisch fallen lassen." Wenn dem nicht so ist, haben betroffene Frauen immer noch die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen, um sich umbenennen zu lassen. "Das ist in der Regel ganz schwierig und man braucht wichtige Gründe dafür. Es werden auch psychologische Gutachten eingeholt", sagt Rüdebusch. "Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass das ganze Verfahren beim Namen Corona erleichtert werden könnte. Wenn man heute angibt, Corona zu heißen, dann wird jeder wissen, dass der Name eine Bürde ist."
Als solche sieht Corona Maule ihren Vornamen nicht mehr. Für sie kommt eine Namensänderung nicht in Frage. Mittlerweile hat sie das Thema abgeschlossen und kann auch Erfreuliches entdecken: "Im Lockdown sind viele in Selbstreflexion gegangen und haben dadurch Veränderungen in ihrem Leben bewirkt", sagt sie. "Das hat für sie etwas Positives gehabt und damit auch eine positive Verbindung mit meinem Namen. Das relativiert das Ganze für mich."