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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Homophobie in Deutschland "Eigentlich ist es ganz einfach: Schwulsein ist nicht witzig"
Machen TV-Komiker wie Bully Herbig Witze auf Kosten von Schwulen? Und verbreiten Politikerinnen wie Annegret Kramp-Karrenbauer Hassreden? Johannes Kram meint: ja. Der Autor und Blogger sagt, wie homophob unser Alltag ist.
Ein Zeichen setzen gegen Diskriminierung: Das ist die Botschaft des alljährlichen Christopher-Street-Days (CSD). Bis zum 8. September werden in 58 deutschen Städten Lesben, Schwule und Transgender auf die Straßen gehen. Und für mehr Akzeptanz und Gleichberechtigung demonstrieren.
Dass es damit aber nicht weit her ist, meint Johannes Kram. Der Wahl-Berliner hat 2016 mit seinem "Nollendorfblog" – in dem er über Homophobie und die Rolle von Lesben und Schwulen in der Gesellschaft schreibt – eine Nominierung für den "Grimme Online Award" erhalten.
Einige Blogartikel hat der 51-Jährige jetzt in einem Buch veröffentlicht. Im Interview mit t-online.de spricht er über die kaum geführte Homophobie-Debatte in Deutschland.
Herr Kram, in Angela Merkels Kabinett sitzt ein offen homosexueller Minister, die ARD holt sich den offen schwulen Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger als TV-Experten für die Fußball-WM und seit gut einem Jahr gibt es die Ehe für alle. Warum ist Deutschland für Sie trotzdem ein homophobes Land?
Johannes Kram: Dass das so ist, kann man etwa daran sehen, dass nur ein Drittel aller Lesben und Schwulen offen im Job zu ihrer sexuellen Identität steht, dass "schwule Sau" das beliebteste Schimpfwort an deutschen Schulen ist, und dass TV-Komiker wie Dieter Nuhr immer noch Schwuchtelwitze aus den 50er-Jahren reißen und denken, dass sei deshalb nicht homophob, weil sie ja für die Ehe für alle sind.
Was heißt für Sie Homophobie?
Homophobie ist die Abwertung von Lesben und Schwulen. Um herauszufinden, ob etwas homophob ist, kann man oft ganz einfach den Gegentest zu machen. Also: Gilt das Gesagte umgekehrt auch für Heteros? Wer etwa wie CSU und AfD von Frühsexualisierung spricht, äußert sich deshalb homophob, weil er einen wertenden Unterschied zwischen hetero und nicht-hetero macht. Wieso müssen Kinder vor der Realität eines küssenden Lesben- oder Schwulenpärchens geschützt werden, aber nicht von der eines Kusses zwischen Mann und Frau?
Sie haben Dieter Nuhr erwähnt. Auch Bully Herbig zieht Schwule in seinen Kinofilmen "(T)Raumschiff Surprise" oder "Der Schuh des Manitu" durch den Kakao – ohne dass das jemanden stört. Was sind für Sie abwertende Witze auf Kosten von schwulen Männern?
Eigentlich ist es ganz einfach: Schwulsein ist nicht witzig. Es gibt witzige Schwule und es mag witzigen Sex geben. Aber wenn die sexuelle Identität schon die Pointe ist, dann ist das abwertend.
Johannes Kram, 1967 in Trier geboren, lebt in Berlin. Er ist Kolumnist beim "BILDblog" – eine unabhängige, journalistische Internetseite, die sich kritisch mit der deutschsprachigen Presselandschaft auseinandersetzt. Zuletzt hat Kram das Theaterstück "Marx! Love! Revolution!" geschrieben, das am 2. Mai 2018 in Trier uraufgeführt wurde.
Ist es überhaupt okay, Witze über Homosexuelle machen?
Ja, natürlich darf man Witze über Lesben und Schwule machen und natürlich gehört es auch dazu, Klischees zu strapazieren. Doch wenn der Schwule witzig ist, weil er eine Tunte ist und die Tunte witzig, weil sie dumm ist, wenn also der eigentliche Witz die Lächerlichkeit ist, dann ist der Witz nicht nur dumm, sondern auch homophob.
Und warum lachen die Deutschen immer noch so gerne darüber?
Weil der gute alte Schwuchtelwitz nicht nur im Karneval stattfindet, sondern eben auch noch von so netten Menschen wie Dieter Nuhr vorgetragen wird. Die Zuschauer denken dann, das ist doch Satire, das läuft doch in der ARD, das ist doch seriös, wo soll denn da das Problem sein?
Gibt es deutsche Berufskomiker, die es Ihrer Ansicht nach besser machen?
Oliver Welke und sein Team von der ZDF-Nachrichtensatire "heute-show". Oder die Entertainerin Désirée Nick. Es gibt nicht so viele.
In Ihrem Blog schauen Sie auch den Politikern auf den Mund. So warnte fünf Tage nach der Abstimmung zur Ehe für alle die jetzige CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, "dass das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts dadurch nicht schleichend erodiert".
Als der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder von der deutschen Musikindustrie forderte, den Musikpreis "Echo" abzuschaffen ...
... weil die Rapper Kollegah und Farid Bang trotz ihrer antisemitischen und homophoben Texte eine Auszeichnung erhielten ...
... dachte ich, mit der gleichen Logik müsste er sich jetzt dafür einsetzen, die CDU abzuschaffen. Denn Frau Kramp-Karrenbauer ist ja nicht CDU-Generalsekretärin trotz ihrer homophoben Hassreden geworden, sondern genau deswegen. Nur so war die ansonsten als liberal geltende Politikerin auch den sogenannten Konservativen vermittelbar. Was sie da sagt, klingt zwar harmloser, ist aber nicht besser als die Hass-Texte der Rapper. Es macht eine Minderheit zu einer Gefahr, die die Gesellschaft zersetzt. Das ist ein Prinzip, wie wir es vom Antisemitismus her kennen.
Apropos: rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare. Für Sie war das damals eher eine "politische Sturzgeburt" und den meisten Deutschen bestenfalls egal. Wie sehen Sie die Situation heute – fast ein Jahr später?
Einerseits ist die Ehe für alle Normalität geworden und den Gegnern ist aufgefallen, dass die Welt immer noch nicht untergegangen ist. Andererseits wird auch in linken Kreisen vermehrt so getan, als ob die Eheöffnung irgendjemandem etwas weggenommen hätte, als ob es etwa dem Industriearbeiter deshalb so schlecht geht, weil man sich lieber um so Luxusprobleme wie Gerechtigkeit für Lesben und Schwule gekümmert hat.
Aber schließen sich links-liberales Milieu und Homophobie nicht aus?
Links-liberale Kreise versichern sich ihre Weltoffenheit gerne, indem sie ihre Supertoleranz gegen Homosexuelle betonen. Wer zum Beispiel die "Zeit" liest, kann ja gar nicht homophob sein. Der Erfolg des "Zeit"-Kolumnisten Harald Martenstein liegt auch darin begründet, dass er seine Klientel darin schult, das Bewahren von allen möglichen Ressentiments als ihr gutes Recht zu betrachten und dumpfe Reflexe kulturell zu verklären. In meinem Buch beschreibe ich, wie Martenstein als ein Pionier dieser ganzen "Das-wird-man-doch-mal-sagen-dürfen"-Pose früher als andere auf Homosexuelle losgegangen ist, und das dann als Mut deklariert hat.
Mitte April sorgte ein brutaler Angriff auf einen Israeli in Berlin deutschlandweit für Aufsehen. Viele Politiker verurteilten aufs Schärfste diese antisemitische Attacke. In mehreren Städten fanden Aktionen gegen Judenhass statt. Wenige Tage zuvor wurde in Berlin ein junger Mann mit einem Messer angegriffen, weil er schwul ist. Die Öffentlichkeit nahm davon aber kaum Notiz. Warum gibt es wenig Sensibilität für homophobe Straftaten?
Ich glaube nicht, dass ein Großteil der Bevölkerung überhaupt Homophobie als ein wirkliches Problem sieht. Deswegen gelten auch homophobe Straftaten eher wie Zufallsdelikte nach dem Motto: Das kann ja jeden treffen. Warum müssen die Lesben und Schwulen sich auch hier noch mit Homosexualität so wichtig tun? Und wenn Homo- und Transsexuelle dann darauf hinweisen, dass Homo- oder Transsexualität zusätzlich Faktoren sind, die einen zum Opfer machen können, dann sehen viele das als einen Beweis dafür, wie besessen die Homos und die Transmenschen darin sind, sich als Opfer darzustellen.
Seit 2005 wird jährlich am 17. Mai der Internationale Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie, kurz: IDAHOT, begangen. Wie wichtig finden Sie diesen Aktionstag?
Außerhalb der Community spielt er leider keine große Rolle. Warum kommen eigentlich so wenig Schulen auf die Idee, das Datum für einen Projekttag zu nutzen? Innerhalb der Community finde ich es besonders wichtig, die internationale Solidarität in den Vordergrund zu rücken. Bei allen Problemen, die wir in Deutschland haben, dürfen wir nie vergessen: Menschen wie wir werden in vielen Ländern staatlich verfolgt und umgebracht.
Der Eurovision Song Contest gilt als Highlight im Jahreskalender von Schwulen und Lesben. Sie waren der Manager von Schlagersänger Guildo Horn, als er 1998 mit "Guildo hat euch lieb!" einen siebten Platz erreichte. Schauen Sie sich heute noch den ESC an?
Hab gerade gar nicht auf dem Schirm, wann das ist. Aber wahrscheinlich werde ich es mir anschauen. Stimmt, Guildo, das ist jetzt 20 Jahre her.
Ihr Tipp: Wo wird der deutsche Beitrag in diesem Jahr landen?
Das klingt jetzt böser, als es gemeint ist: Aber während des deutschen Vorentscheides bin ich eingeschlafen. Deswegen kann ich das leider wirklich nicht einschätzen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kram.
Johannes Kram: "Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber ... Die schrecklich nette Homophobie in der Gesellschaft". Quer-Verlag. 190 Seiten. 14,90 Euro.