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Windeln: Blick hinter die Kulissen der Windelforschung


High-Tech in einer Windel
Wie Windelforscher den Windelpopo geliftet haben

Die Windel ist der Wegwerfartikel schlechthin. Nach jedem Wickeln fliegt ein High-Tech-Produkt in den Mülleimer. Wer eine Windel zerlegt, stößt auf seltsame weiße Kügelchen. Was ist das eigentlich? Die Redaktion von t-online.de bekam einen Einblick in die Windelforschung.

Aktualisiert am 22.08.2016|Lesedauer: 5 Min.
t-online, Tanja Zech
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Im Städtchen Schwalbach bei Frankfurt am Main betreibt der US-Konzern Procter & Gamble ein Windelforschungszentrum für die Marke Pampers. Dort arbeiten fast 600 Menschen daran, dass sich Babys in Windeln wohlfühlen. Die Dermatologen, Biochemiker, Materialforscher, Metereologen und Schlafforscher sind dabei auf Hilfe vieler kleiner Windeltester und ihrer Eltern angewiesen.

Windeln: Eine Windel muss auch beim Spielen und Krabbeln auslaufsicher sitzen.Vergrößern des Bildes
Ein Baby beim Windeltest: krabbeln, klettern, spielen – und die Windel muss sitzen! (Quelle: Procter & Gamble)

Wunschvorstellung: Unterhose mit Windelfunktion

"Nach Vorstellungen von Eltern soll die perfekte Windel wie eine Unterhose aussehen, aber wie eine Windel funktionieren", sagt der Leiter des Forschungszentrums, Frank Wiesemann. Das stellt die Entwickler vor die Aufgabe, Windeln immer leichter, dünner und dabei trotzdem extrem saugfähig zu gestalten.

Die heutigen Modelle wögen etwa 30 Gramm und seien damit halb so schwer wie frühere Windeln. Dank ihres ausgeklügelten Innenlebens könnten sie das Zehnfache ihres Eigengewichts an Flüssigkeit aufsaugen, so Wiesemann. Mit der jüngsten Weiterentwicklung sei es nun gelungen, den typischen ausgebeulten "Windelpopo" zu reduzieren und die Flüssigkeit gleichmäßig zu verteilen.

"Schlaf ist eine Stresssituation für die Windel"

Katharina Marquardt, Biochemikerin und Leiterin der Wissenschaftskommunikation, verdeutlicht: Babys tragen tagein, tagaus eine Windel. Schutz der Haut vor Feuchtigkeit ist deshalb das A und O. Das Material ist fast ununterbrochen mit der empfindlichen Babyhaut in Kontakt, nachts besonders lang. "Schlaf ist eine Stresssituation für die Windel." Damit umgekehrt nicht die volle Windel nachts zum Stressfaktor für Baby und Eltern wird, muss sie einiges aushalten können.

Babyurin ist für die Forscher dabei im wahrsten Sinne Pipifax. "Unsere größte Herausforderung ist der Stuhl. Das ist für alle der unangenehmste Teil der Windelentwicklung", sagt Wiesemann. Das Verdauungsprodukt ist unberechenbar, denn mit jeder Ernährungsumstellung ändert sich die Darmflora, und Verdauungsenzyme greifen die Haut an, wenn die Windel nicht rasch genug gewechselt wird.

Eltern führen Windeltagebuch

Pro Woche kommen rund 1000 Babys und Eltern ins Pampers-Forschungszentrum in Schwalbach bei Frankfurt. Manche werden dafür direkt aus dem Bettchen hergebracht. Wenn die Testbabys morgens um kurz nach 6 Uhr mit der vollen Nachtwindel ins Hautlabor kommen, wartet dort schon eine Dermatologin mit einer Sonde in der Hand. Sie misst die Hautfeuchte des Babys – erst auf trockener Haut am Schenkel, dann am Po, wo eben noch die Windel war. Die Messung dauert ein paar Sekunden. Solange lenkt die Mama das Baby mit Spielzeug ab. "Die Differenz zwischen Referenzwert und Windelwert sollte möglichst gering sein", erklärt Marquardt.

Die Testfamilien werden kostenlos mit Windeln ausgestattet. Aber dafür müssen sie eine enorme Disziplin aufbringen: Ein Windeltagebuch führen, in dem sie jeden Windelwechsel akribisch dokumentieren, und regelmäßig für weitere Tests ins Forschungszentrum kommen. Dort wiegen Forscher volle Windeln und legen sie sogar unter den Röntgenapparat, um die "Ladungsverteilung" zu ermitteln.

Magische Kügelchen im Innern der Windel

Experimentierfreudige Eltern staunen über den Effekt, wenn sie einmal eine leere Windel in ein Wasserbecken tauchen. Im Forschungszentrum dürfen die Besucher zur Schere greifen und Schicht um Schicht das Innenleben einer Windel zu erkunden: Topsheet, Trockenheitslage mit Aufnahmevlies und Verteilervlies, und schließlich der Windelkern, der den sogenannten Superabsorber enthält.

Maike Siemons, Manager der Pampers Forschung und Entwicklung, lüftet das Geheimnis dieser kleinen weißen Kügelchen: Es handelt sich um Natriumpolyacrylat. Das Granulat hat eine enorme Wasserspeicherkapazität und verwandelt sich dann zu einem Gel. "Natürlich absolut unbedenklich für das Baby", betont Siemons. Der Superabsorber revolutionierte Ende der 80er Jahre die Babywindel. Er wird übrigens auch in Damenbinden und Lebensmittelverpackungen verwendet.

Jetzt preisen die Forscher von Procter & Gamble ihre neuste Entwicklung: Eine Babywindel mit drei absorbierenden Kanälen. So wird die die Flüssigkeit gleichmäßig im Windelkern verteilt. "Dadurch haben die Babys keinen ausgebeulten 'Windelpopo' mehr", sagt die Expertin. Das allerdings kommt auch auf die Tragezeit an. Eltern wissen, dass eine Windel nach einer langen Nacht mit voller Ladung nicht mehr einer Unterhose ähnelt.

So werden Windeln passend gemacht

Eine Windel ist wie ein Kleidungsstück für Babys. Aber bei dieser "Kleidung" ist es besonders kompliziert, Konfektionsgrößen zu entwickeln. "Einerseits gibt es immer mehr Frühgeburten, andererseits auch dickere Kinder. Deshalb sind Zwischengrößen nötig", erklärt Wiesemann. Hinzu kommt: "Der Umfang eines Babybauchs kann im Lauf des Tages um zehn Zentimeter schwanken."

Wiesemann und seine Kollegen brauchen deshalb viele Messwerte von möglichst vielen Babys: Höhe, Breite, Bauch- und Beinumfang. Früher dauerte so eine Babyvermessung bis zu fünf Minuten. Da verloren die Testbabys schnell die Geduld. Heute sind 3D-Scanner im Einsatz. "Das ist eine Sache von Sekunden." Ruckzuck sind Vergleichsmessungen möglich: Wie sitzt die Windel nach Bewegung, wie sitzt ein anderes Modell?

Krabbeln, Rutschen, Toben - und die Windel sitzt

Beim "Fit-Test" bekommen Babys und Kleinkinder Windeln mit künstlicher Beladung – Kochsalzlösung – angezogen und werden in die Spielecke geschickt. "Wir wollen sehen, wie die Windel beim Krabbeln, Rutschen und Toben verhält", sagt der Forschungsleiter.

Diese Beobachtungen sowie Rückmeldungen von Eltern fließen direkt in die Testproduktion ein. In einem Raum, der an eine Schneiderei erinnert, nehmen Mitarbeiterinnen kleine Änderungen in Handarbeit vor. Sie messen, falten, kleben und walzen das Rohmaterial, versetzen Klettverschlüsse, erweitern Bündchen und ändern den Beinausschnitt. Aus diesen Prototypen werden in Schwalbach kleinere Auflagen für weitere Tests produziert.

So fühlt sich Laufenlernen an

Klar ist: Auch bei noch so ausgelassenem Spielen sollte bei einer Windel nichts auslaufen. Gleichzeitig sollte sie das Kind nicht stören. Das ist allerdings nicht zu 100 Prozent möglich. Kaum vermeidbar ist jedenfalls der breitbeinige Cowboygang der kleinen Windelhelden. Als erwiesen gilt, dass ein Kind, das eine Windel trägt, beim Laufenlernen etwas länger braucht, um den Bewegungsablauf zu koordinieren. Wie sich einst die ersten, unsicheren Schritte angefühlt haben, können Erwachsene im "Equity Space" des Forschungszentrums nachempfinden. Auf einem Wackelparcours mit Holzscheiben auf Federn gerät man leicht aus dem Gleichgewicht.

Wer Windeln entwickelt, muss sich in die Erfahrungswelt eines Kindes zurückversetzen können.

Zehn verblüffende Windel-Fakten

  • um die 4000 Mal müssen Eltern Windeln wechseln, bis ein Kind trocken ist.
  • die 100. Windel trägt ein Baby schon nach etwa drei Wochen.
  • im Durchschnitt dauert es 30 Monate, bis ein Kind keine Windeln mehr braucht.
  • jede Nacht scheidet ein Baby rund 200 Milliliter Urin aus, etwa so viel wie ein Wasserglas.
  • bis zu zehn Zentimeter schwankt der Bauchumfang eines Neugeborenen über den Tag, je nach Nahrung und Verdauungsprozess.
  • es stimmt nicht, dass ein Baby später trocken wird, wenn Windeln sehr saugfähig und angenehm sind. Jedes Kind braucht seine eigene Zeit und muss erst lernen, seine Blase zu kontrollieren.
  • Babys, die Windeln tragen, brauchen etwa vier Wochen länger beim Laufenlernen.
  • An der Entwicklung von Windeln wirken auch Schlafforscher und Metereologen mit.
  • Es gibt kulturelle Unterschiede beim Wickeln: Amerikanische Mütter legen Windeln sehr fest an, japanische Mütter dagegen locker und luftig.
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