Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kolumne "Lust, Laster und Liebe" Der Stuhl der Erniedrigung
Wenn Frauen unter sich sind, tratschen und lachen sie die ganze Zeit. Warum sollte es beim Gynäkologen anders sein? Sonst würden Frauen doch auch nicht mehr oder weniger regelmäßig dort freiwillig hingehen, oder?
Direkt am Eingang wird mir von einer attraktiven Frau in rosafarbenen Leggings und weißem Trägertop ein Glas Prosecco überreicht. Sie nimmt mir meine Jacke und meine Tasche ab und bringt mich in den Wartebereich, wo bereits fünf andere Frauen in großen Massagesesseln sitzen, aufgeregt miteinander reden und sich ihre Fingernägel lackieren. Überall hängen Monitore, die entweder "Der Bachelor" oder Auftritte von der Männer-Strip-Gruppe Chippendales zeigen. Ich werde von allen herzlich begrüßt, wir stoßen an und kurz darauf werde ich auch schon in das Behandlungszimmer meiner heißblütigen Frauenärztin gerufen. Wir begrüßen uns mit Luftküsschen und tratschen bei einem weiteren Glas Prosecco über den neusten Promi-Klatsch, ehe wir für die Untersuchung ins Nebenzimmer gehen. Der Raum ist kuschelig eingerichtet, sodass sich jede Patientin hier gleich richtig wohlfühlt und ihre Hemmungen verliert. Auch die Untersuchung läuft liebevoll ab. Mit ihren warmen Händen tastet sie meine Brüste ab und hilft mir kurz darauf auf den Untersuchungsstuhl. Sanfte Musik und Duftkerzen sorgen für eine entspannte Stimmung, während sie mich auch untenrum überall abtastet. Bevor ich die Praxis verlasse, drückt mir die Arzthelferin eine kleine Tüte mit einem rosa Cupcake und Duft- und Produktproben in die Hand.
Nein! Ernsthaft. SO läuft ein Frauenarztbesuch nicht ab. Nein! Selbst wenn lediglich ein Drittel davon stimmen würde, würde uns Frauen das schon reichen. Die Wahrheit ist wesentlich düsterer, kühler und brutaler!
Die Wahrheit über einen Besuch beim Frauenarzt
Mit einem grimmigen Blick und den Worten "Desinfizieren Sie sofort Ihre Hände und warten Sie, bis Sie aufgerufen werden" öffnet mir die Sprechstundenhilfe die Tür und verschwindet wieder hinter dem Empfangstresen. Im Wartezimmer sitzen drei Patientinnen und schauen beschämt auf ihr Smartphone. Der Raum ist steril eingerichtet. Das Licht aus der Neonröhre flackert nervös und an der Wand hängt lediglich ein Din-A0-großes Bild von einem Schneckenhaus. Mein "Guten Tag“ wird von den Anwesenden mit einem musternden Blick entgegnet, ehe sie selbigen wieder auf ihre Displays richten. Nachdem ich 45 Minuten gewartet habe, werde ich in das Untersuchungszimmer gerufen und von der Ärztin mit "Haben Sie irgendwelche Probleme?“ begrüßt. "Nein, ich bin lediglich zur Routineuntersuchung hier", antworte ich. "Okay, dann gehen Sie schon mal rüber und ziehen sich aus."
In dem hell beleuchteten Raum lege ich meine Kleidung auf den kleinen Hocker in der Ecke und stelle mich neben den riesigen Untersuchungsstuhl, der inmitten des Raumes thront. Er wirkt imposant und angsteinflößend zugleich. Mit dem Spruch "Ich habe kalte Hände" fängt die Ärztin an, meine Brüste unsanft abzutasten. "Hätte sie ihre Hände nicht wenigstens hierfür aufwärmen können?", denke ich. Stattdessen höre ich mich sagen: "Haha, ja, meine Brustwarzen haben Ihre kalten Hände auch bemerkt." Emotionslos dreht sie sich zum Untersuchungsstuhl: "Klettern Sie jetzt bitte auf den Stuhl." Vollständig entblößt versuche ich, mich irgendwie in den Stuhl zu setzen, meine Beine auf die entsprechenden Halterungen aus kaltem Stahl zu stellen und dabei nicht herunterzurutschen. Denn Halt hat man in dieser Position überhaupt nicht. Es ist fast wie eine russische Hocke, nur dass die Beine gespreizt sind. Mit einem Ruck fährt der Stuhl in die Waagerechte. "Und jetzt rücken Sie mit Ihrem Po nach vorne", fordert mich die Ärztin auf. "Wie soll ich das denn machen?", denke ich und versuche mit meinem Körper in ihre Richtung zu robben. "Noch ein Stückchen." Ich robbe ein weiteres Stück nach vorne. Mein Po hängt bereits in der Luft. "Noch etwas mehr", verlangt sie genervt. "Gleich falle ich vom Stuhl", denke ich, versuche aber, ihrer Aufforderung nachzukommen. Mit breit gespreizten Beinen, einem in der Luft hängenden Po, mich an den Armlehnen festhaltend liege ich vor ihr und hoffe, dass genau in diesem Augenblick … Bevor ich meinen Gedanken vollenden kann, öffnet die Sprechstundenhilfe die Tür und legt der Ärztin Rezepte zum Unterschreiben auf den Tisch. "Wie schön", denke ich ironisch. Kurz darauf steckt mir die Ärztin auch schon das sehr kalte, harte Untersuchungsbesteck zwischen meine Beine. Während sie ihr Programm durchzieht, fühle ich mich wie eine gerupfte Gans, die gerade gefüllt wird, bevor sie in die Röhre kommt. Wenig später fährt der Stuhl auch wieder in die Senkrechte, meine Ärztin verabschiedet sich und geht zurück in ihr Arbeitszimmer. Schnell ziehe ich mich an, gehe mit einem unerwiderten "Einen schönen Tag noch" an dem Empfangstresen vorbei und verlasse die Praxis. Ohne Cupcake, ohne Produktproben, aber mit dem eine gewisse Erleichterung schaffenden Wissen, dass ich erst nächstes Jahr wieder herkommen muss.
Jennifer Buchholz, Redakteurin bei t-online.de, schreibt in ihrer Kolumne "Lust, Laster, Liebe" über Liebe, Partnerschaft und Sex.